4. Juni – Nie passiert etwas

Doris sitzt am offenen Fenster und beobachtet. Meyers schwarze Katze läuft über Boltes Hofeinfahrt, schnüffelt an ein paar Grasbüscheln, die zwischen den Steinen hervorsprießen, und tappst dann den langen Weg am Haus entlang Richtung Garten.

Jede Katze der Nachbarschaft hat Doris dort schon entlanglaufen sehen. Was sie auf Boltes Grundstück zu suchen haben, ist ihr ein Rätsel. Dann kommt der Peppi mit seinem Einkaufstrolley die Straße hinaufgeschnauft. Er hält an jedem Briefkasten und steckt das Blättchen hinein.

Ein blaues Auto fährt vorbei, das Doris nicht kennt. Ein rotes Auto kommt vorgefahren, stoppt bei Trägers schräg gegenüber. Ein Mann im dunklen Anzug steigt aus, stapft die Treppen zur Haustür hinauf und schellt. Keiner öffnet. Trägers sind beide arbeiten.
Der Mann klingelt erneut, schaut auf seine Schuhspitzen, rückt die Krawatte gerade. Er schreibt etwas auf ein Kärtchen, das er aus der Innentasche seines Sakkos fischt, klemmt es an die Tür und fährt wieder davon.

Es ist ruhig, so ruhig, dass sich eine Rabenkrähe in Sicherheit wiegt und aufgeregt an dem Gelben Sack neben Meyers Mülltonnen zerrt. Eifrig stochert sie mit ihrem Schnabel. Das Plastik ist schon halb aufgerissen, die leeren Verpackungen quillen hervor. Dann schlittert eine Dose laut scheppernd zu Boden. Erschrocken flattert die Krähe davon.

Etwas später kommt der Postbote. Doris sieht ihn schon von weitem die Straße heraufkommen mit seinem gelben Minitransporter. Alle zehn Meter hält er an und verteilt die Post an die zwei oder drei naheliegenden Häuser. Es dauert fast eine Viertelstunde bis er endlich auf der Höhe von Doris‘ Fenster angekommen ist.

Trägers bekommen nur Briefe, Meyers ein Paket, Boltes eine Zahlungsaufforderung. Für Doris hat der Postbote nichts, nicht einmal Reklame.

Der Schmidt aus dem Hegelweg fährt in seinem alten VW vorbei.

Doris stemmt sich hoch, um Mittag zu kochen, Da sieht sie Frau Träger nach Hause kommen und mit vollgepackten Armen umständlich die Haustür aufschließen, dabei flattert das kleine Kärtchen von ihr ungesehen zu Boden.

Doris holt tief Luft, um der Träger zuzurufen.
Aber dann sagt sie sich: „Lieber nicht, die denkt sonst noch, ich hänge den ganzen Tag nur am Fenster herum.“