31. Mai – Große und wilde Freiheit

Große und wilde Freiheit! So ein dramatischer Ausdruck für eine so kleine Sache. Freiheit ist gar nichts Besonderes, solange du sie hast. Erst wenn einer kommt und dir deine Freiheit einschränkt, dir deine Freiheit wegnimmt, da wird das plötzlich zu einer großen Sache.

Was aber, wenn du wie ein Zootier noch niemals gelernt hast, in der großen und wilden Freiheit zu bestehen?

Große und wilde Freiheit – eingelesen von Ruth Schilling

Wenn die Freiheit für dich noch nie erreichbar, noch nie lebbar war?

Wirst du dich dann nach ihr sehnen?

Und falls ja, wirst du sie mögen, wenn du sie wirklich erlangst?

Gefangenschaft im goldenen Käfig ist das Schlimmste, was man jemandem antun kann.

Gefangenschaft im artgerecht eingerichteten Gehege.

Gefangenschaft mit der Absicht, dem Insassen nur das Beste anzutun.

Manchmal verlogen, manchmal ganz ehrlich gemeint. Wenn dein Freiheitsdrang die Angst und Bequemlichkeit überwindet, wirst du dich wohl fühlen in all der Freiheit, wirst du der Wildnis gewachsen sein?

Vielleicht wirst du am ersten Tag der großen Freiheit gefressen, vielleicht macht dir die Freiheit so viel Angst, dass du schnell einen neuen Käfig suchst.

Aber hast du die Süße der Freiheit einmal gekostet, wird dich die Sehnsucht niemals verlassen. Irgendwann musst du hinaus in die große und wilde Freiheit – oder jämmerlich zu Grunde gehen.

30. Mai – Claire

Claire streckte sich und angelte die große Pappkiste vom Schrank. Mit der flachen Hand wischte sie den Staub von der Oberseite und rieb dann die Hand an ihrer Hose ab. Ein paar Staubflocken flogen durch die Luft und kitzelten Claire in der Nase.

Mit klopfendem Herzen setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden, die Kiste stellte sie vor sich. Einen Moment verharrte Claire, plötzlich sank ihr doch der Mut, schließlich hob sie den Deckel mit zitternden Fingern ab. Ein wildes Sammelsurium von alten, vergilbten Fotos, von abgegriffenen Briefen mit Stockflecken schaute ihr entgegen.

Wieder zögerte Claire und begann dann, die Bilder durchzusehen. Auf einigen erkannte sie ihre Mutter, als Kind, als junge Frau, wahrscheinlich mit deren Familie, Geschwistern und Eltern, Menschen, die Claire nicht kannte. Und dann, das musste er sein. Ihr Vater, in Uniform, in der deutschen Uniform eines Feindes, damals zumindest.

Niemals hatte Claire ihn kennengelernt. Bis heute hatte sie nicht einmal von ihm gewusst. Und er hatte niemals erfahren, dass es Claire gab. Claires Mutter hatte erst jetzt gesprochen, als sie schon zum Sterben im Krankenhaus lag. Und Claire hatte geweint.

Dann hatte sie den Schlüssel genommen von Mutters Haus, das jetzt verwaist und dunkel dalag. Claire war in den Keller gestiegen und hatte die alte Kiste vom Schrank geholt, von der Mutter gesprochen hatte und nun sah sie ihren Vater dort stehen in seiner Uniform. Jung und unbeschwert lachte er in die Kamera.

Damals war doch Krieg, wie konnte er so lachen?

Aber er war ja jung gewesen, jung und verliebt.

Claire erkannte sich selbst wieder in dem Gesicht, das sie dort sah. Irgendwann, als sie selbst jung gewesen war, hatte sie ihm noch ähnlicher gesehen.

Claire nahm das Foto in beide Hände, als könnte sie so die ganze Energie dieses jungen Mannes auf dem Foto in sich aufnehmen. Als könnte sie all die verlorenen Jahre nachholen.

Dann drückte sie das Foto an ihr Herz und fühlte sich in all der Verwirrung und Trauer das erste Mal in ihrem 62-jährigen Leben ganz.

29. Mai – Wäldchestag

An Pfingsten war Mia drei Jahre alt und durfte das allererste Mal mit ihren Eltern und Geschwistern auf den Wäldchestag. So hieß der Rummel im Niederräder Wäldchen, der jedes Jahr an Pfingsten stattfand. Da ihre Geschwister so aufgeregt waren und immer wieder von diesem Wäldchestag redeten, steckten sie schließlich auch Mia damit an und sie konnte kaum erwarten, dass es endlich losging.

Am Samstag war Familientag und so zogen Mama, Papa, Esther, Robert und Mia bei herrlichstem Sonnenschein los zum Wäldchen. Für die langen Beine von Mama und Papa war der Weg nicht sehr weit, auch für Esther und Robert war die Strecke von ihrer Wohnung zum Wäldchen gemütlich zu überwinden, aber Mia mit ihren kurzen Beinchen hatte schon beim Erreichen des Wasserhäuschens auf halber Strecke keine Lust mehr und wollte lieber ein Eis haben.

Nun wurde diskutiert, ob sie doch die Straßenbahn nehmen sollten. Aber als Papa sagte, das geht alles vom Fahrgeld auf dem Rummel ab, waren Esther und Robert absolut dagegen. Also musste Mia weiterzockeln. Sie ließ sich Zeit. Dieser blöde Rummel, sie wusste ja sowieso nicht, was das überhaupt war. Vielleicht am Ende genau so langweilig wie dieses Museum, wo Mama sie manchmal mit hinnahm. Da hingen nur Bilder an der Wand und Mia musste still sein, durfte nicht rennen und schon gar nichts anfassen

Da am Straßenrand wuchsen Gänseblümchen, lauter Ameisen kamen aus einem kleinen Loch und liefen im Rinnstein entlang. Das war doch viel interessanter als so ein blöder Rummel.

„Mia, jetzt komm doch“, rief Mama. Aber Mia tat so, als hörte sie nichts. Dann kam Papa und nahm sie auf die Schultern. Das fand Mia dann doch lustig. Seine Glatze war ganz rot und fühlte sich feucht an. Von hier oben war die Aussicht auch viel besser. Nun ging es schneller voran. Schon konnte Mia das Wäldchen in der Ferne sehen und die ganzen Leute von oben betrachten, die dort hinströmten. Mia hörte auch ein Wummern und Johlen und eine verzerrte Stimme krächzte: „Bittä zuruckbleibän!“In den Bäumen hing ein großes, buntes Banner und alle Menschen strömten durch den Eingang darunter.

„Oh“, staunte Mia, als sie von Papas Schultern über alle Köpfe hinweg auf den großen Platz mitten im Wald blickte. Auf der einen Seite drehten sich kreischende Leute in bunten Pilzen und sich überschlagenden Rädern, auf der anderen Seite gab es gebrannte Mandeln, Schaumwaffeln und sonst allerlei Süßzeug. Aber das tollste erhob sich genau vor Mia: Ein riesengroßes Rad mit Gondeln, das sich weit über die Bäume erhob und mit dem man bis in den Himmel fahren konnte.

Die Leute strömten und schoben durch die Gänge zwischen den Buden. Weiße und rosa Zuckerwatte flog an Mia vorbei, ein junges Pärchen schleckte gemeinsam an einem mit knallrotem Zuckerguss überzogenen Liebesapfel. Plötzlich zuckte Mia zusammen, Geister und Hexen schauten von einer schäbigen Hütte auf sie herab.

Robert und Esther riefen: „Da, die Geisterbahn, Geisterbahn, wir wollen zur Geisterbahn!“

Da sagte Mama: „Ich bleibe bei den beiden Großen. Du kannst ja mit Mia zum Kettenkarussell“.

Sie gab Papa einen flüchtigen Kuss und ging rüber zum Kassenhäuschen, um drei Karten für die Geisterbahn zu erstehen. Dann ging es weiter auf Papas Schultern.

„Du hast doch bestimmt Durst“, rief er Mia zu und steuerte einen Bierpilz an.
Mit Schwung setzte er Mia auf den Tresen, knapp neben eine Wasserlache. Mia bekam eine Limonade mit Strohhalm und Papa ein Bier mit ganz viel Schaum. Er nahm einen langen Schluck von seinem Bier und seufzte dabei. Mia baumelte mit den Beinen, saugte an ihrem Strohhalm und guckte den Leuten zu, wie sie in einem großen Schiff hin und her geschaukelt wurden, immer höher und noch höher.

Als Mia nur noch Blasen in ihre Limonade pustete, hob Papa sie vom Tisch und sagte: „Du kannst jetzt mal laufen“.

Aber das gefiel Mia gar nicht. Sie sah nur noch Beine und Schuhe vor sich. Wenn Papa sie nicht an der Hand hielte, würde sie bestimmt zertreten werden.

„Guck, da ist das Kettenkarussell“. Papa war stehen geblieben und nahm Mia wieder auf den Arm.

„Willst Du mal fahren?“

„Au ja!“, jauchzte Mia und strampelte, weil sie ganz schnell zum Karussell laufen wollte.

„Warte, warte, wir müssen Dir erst ein Billet kaufen“, sagte Papa und nahm sie mit zum Kassenhäuschen.

„Drei für Zwei“, sagte er zu der Dame, die hinter einer Glasscheibe mit einem kleinen runden Loch saß. Mia drehte sich auf Papas Arm soweit herum, wie sie nur konnte, damit sie das Karussell sehen konnte, das gerade wieder anfing sich zu drehen.

„Och, menno!“, rief sie.

„Hör doch mal auf zu zappeln“, sagte Papa und steckte das Wechselgeld umständlich ein, ohne Mia loszulassen.

„Dann fährst Du halt das nächste Mal mit.“

Mia maulte ein bisschen und schaute zu, wie toll die Kinder immer im Kreis wirbelten.
Endlich saß Mia auch im Karussell und lachte und jauchzte, als sie den Wind spürte und ihr ganz schwindelig wurde. Immer wenn sie an Papa vorbeikam, winkte sie ganz doll und lachte noch mehr. Der musste aber Durst haben, er hatte schon wieder einen Becher mit ganz viel Schaum in der Hand.

Als die letzte Fahrt vorüber war, weinte Mia ein bisschen. Aber dann wurde es wieder besser. Papa nahm sie mit zur „Reitschul“. Ein Karussell mit lauter bunten Holzpferden, die sich im Kreis drehten und dabei Auf und Ab galoppierten.

„Oh“, Mia machte kugelrunde Augen, als sie das sah. Und auch hier erlaubte ihr Papa drei Runden zu drehen. Dann trafen sie sich mit Mama, Esther und Robert am Autoskooter. Mia durfte bei Papa mitfahren. Er ließ sie sogar lenken. Das war klasse, vor allem als sie voll Karacho Robert in die Seite fuhr und der erschrocken aufschrie.

Dann gab es Würstchen mit Senf und Limonade für alle. Das war toll! Und zum Schluss fuhren sie gemeinsam im Riesenrad. Da staunte Mia noch mehr. Ganz weit konnte sie über die Stadt sehen.

„Guck mal, guck mal!“, krähte sie und hopste auf und ab. Mia wollte am liebsten immer hier oben bleiben und weinte bittere Tränen, als sie wieder auf Papas Schultern nach Hause getragen wurde.

„Wir kommen Morgen nochmal her“, sagte Papa, damit sie still war.

Aber am nächsten Tag musste Papa arbeiten gehen, sein Chef hatte angerufen. Also wurde es nichts mit dem Wäldchen und Mia heulte ihrer Mutter den ganzen Tag die Ohren voll.
Doch die sagte: „Papa hat Dir das versprochen, nicht ich.“

Am Pfingstmontag musste Papa schon wieder zur Arbeit und Mama schickte Mia mit ihren Geschwistern auf den Spielplatz, um Ruhe zu haben.

Am Dienstag hatte Papa endlich frei. Als er beim Frühstück saß, rief Mia: „Komm Papa, Wäldchen!

Aber Papa sagte: „Mia, der Wäldchestag ist vorbei.“

„Du hast es versprochen!

„Papa war arbeiten, einer muss ja die Brötchen verdienen. Heute ist kein Wäldchestag mehr, Pfingsten ist vorbei. Es ist alles weg.“

„Aber Du hast es versprochen!“

Mia quengelte und quengelte.

Schließlich sagte Mama: „Geh doch mit ihr hin, dann sieht sie selbst, dass kein Rummel mehr ist. Und ein Spaziergang tut Euch beiden gut!“

Also zog Mia mit Papa los zum Wäldchen. Heute waren fast keine Menschen zu Fuß unterwegs, dafür fuhren viel mehr Autos als am Samstag. Mia wurde der Weg heute gar nicht lang, tapfer hielt sie Schritt mit Papa. Schließlich kamen sie am Wäldchen an und gingen hinein, aber dort war es ganz leer.

Keine Bude, keine Fahrgeschäfte, kein Riesenrad. Mia schaute sich entsetzt um.

„Siehst Du“, sagte Papa, „niemand mehr da, der Rummel ist vorbei. Die kommen erst nächstes Pfingsten wieder!“

Mia strahlte erleichtert und guckte zu Papa hoch: „Dann warten wir halt solange!“

28. Mai – Ziegenkäse

Meistens schaut Ziegenkäse ganz unschuldig weiß aus, riecht auch nicht von weitem schon wie so widerlicher Stinkekäse. Völlig ahnungslos also nimmst du den leicht bröckeligen Käse auf die Gabel und dann explodiert plötzlich eine Kakophonie von Geschmacksnoten in deinem Mund.

Irgendwie scharf und leicht faulig, spritzig und grasig, so ganz schwer zu beschreiben.
Vielleicht ist mir der unschuldig ausschauende aber höchst auffällig schmeckende Ziegenkäse deshalb eingefallen, weil ich selbst auch ein bisschen so bin. Understatement würde es der Anglophile vornehm nennen. Tiefstapeln sagt man hier zu Lande.

Ist das nur Tarnung? Aus Angst?

Oder fehlgeleitete Erziehung?

Schließlich kennen wir alle den Spruch: Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommst Du ohne ihr.

Nun ja, wenigstens beim Reinbeissen merkt dann ein jeder, dass er es mit keiner weißen Unschuld zu tun hat.

Aber will ich eigentlich so sein?

Wie Ziegenkäse?

Aber wenn ich ehrlich bin lieber Ziegenkäse anstatt Pitahaya, sieht ganz toll aus, schmeckt aber nach nix.

27. Mai – Life is a Lemon

„Life is a lemon and I want my money back“ – „Leben ist eine Zitrone und ich verlange mein Geld zurück“. Diese Liedzeile von Meat Loaf fand ich immer besonders lustig. Diese absurde Vorstellung, man könne sich für sein verhonktes Leben irgendwo beschweren, vielleicht in der Universumsreklamationsabteilung.

Eine ordentliche Reklamationsabteilung, die was auf sich hält, würde dann natürlich erst einmal Bearbeitungsgebühr verlangen, dir dann erklären, dass deine Garantiezeit längst abgelaufen ist und du dir am besten gleich ein komplett neues Leben zulegen solltest, weil sich reparieren nicht mehr lohnt.

Wie gut, dass es kein bösartiger Monopolist mit verkaufsfördernder Reklamationsabteilung war, der das Produkt Leben auf den Markt geworfen hat.
Ganz im Gegenteil.

Und zum Glück ist das ganz einfach mit den Reklamationen: Fass dir an die eigene Nase.
Wenn du dich nicht glücklich machst, wer soll das sonst für dich tun?

Also bitteschön selbst die Verantwortung für die Zitronen übernehmen und Limonade draus machen oder Zitronensorbet.

Dir fällt bestimmt noch viel mehr ein. Es gibt immer mindestens drei Möglichkeiten, du musst dich nur freimachen sie zu erkennen und das Wagnis eingehen dich für eine zu entscheiden.

26. Mai – Davon träumt die Mama

Der heutige Beitrag aus dem Klosteratelier Kaiserslautern erzählt von Viola. Ihre Mutter will sie immerzu mit einem netten jungen Mann verkuppeln, deshalb auch der Titel „Davon träumt die Mama“. Viel Vergnügen beim Lesen.

„Oh, nein!“

Viola stöhnte laut auf. Immer wieder der gleiche Mist. Mama wollte ihr schon wieder einen jungen Mann vorstellen. Inzwischen hatte sie schon alles durch: Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Versicherungsvertreter und einen, der irgendwas mit Medien machte.

„Mama, hör’ doch einfach damit auf. Ich hasse diesen Blödsinn! Warum tust du mir das an?“
Aber ihre Mutter hörte sie gar nicht und erzählte munter drauf los.

„Der gefällt Dir bestimmt, das ist so ein Künstlertyp. Artist oder sowas. Na, du kennst dich besser damit aus. Ein ganz ein lieber Junge. Lern ihn doch mal kennen. Und außerdem möchte ich ja auch mal bald Oma werden. Wer weiß, wie lange ich noch da bin. Stell dich nicht so an. Kannst ihn doch mal ansehen. Deiner alten Mutter zuliebe!“

Viola schüttelte den Kopf.

„Mama, du weißt doch genau, dass ich seit fünf Jahren mit Karin zusammen bin. Ich interessiere mich überhaupt nicht für Männer! Wann geht das endlich in deinen Kopf?“

Mama schwieg und schnippelte weiter Bohnen. Eine Weile war nichts weiter zu hören als das Plitschplatsch, wenn sie wieder ein paar Bohnen in den Topf warf.

„Der Junge ist wirklich sehr nett. Irgendwann finde ich schon den richtigen für dich, wart’s nur ab.“

25. Mai – Sabine erzählt vom neuen Eheglück

Klosteratelier Ruth Schilling präsentiert stolz den letzten Teil des Mini-Brief-Romans um Sabine, Stella und diverse Herren. In der letzten Nachricht: Sabine erzählt vom neuen Eheglück. Viel Vergnügen beim Lesen!

Liebe Stella!

Nun habe ich treulose Tomate wieder solange Nichts von mir hören lassen. Vielen Dank noch einmal für die herrliche Zeit bei dir in Italien. Wie du von unserem letzten Telefonat weißt, ist Dieter nun reumütig zu mir zurückgekehrt.

Und er will sogar etwas für seine Fitness tun. Er hat es mir versprochen. Am Anfang war das wirklich herrlich. Wir haben uns ausgesprochen. Und sogar der Sex war erstklassig, als wären wir frisch verliebt. Wir haben wieder viel zusammen unternommen.

Aber seit ein paar Wochen muss Dieter ziemlich viel arbeiten und so langsam schleicht sich der alte Trott wieder ein

Na ja, aber es war wahrscheinlich doch die richtige Entscheidung mit Dieter zusammen zu bleiben

Zwanzig Ehejahre wirft man nicht einfach auf den Müll.
Ich habe aber trotzdem beschlossen mal wieder etwas Neues auszuprobieren

Nicht was du denkst. Ich habe mich für Pilates angemeldet. Solltest du auch mal versuchen

Alles Liebe Sabine

_________der letzte Teil eines Mini-Brief/E-Mail-Romans_________

24. Mai – Sabine hört auf Stella

Liebe Stella,

Du hast wohl Recht. Ich nehme mir die Auszeit. Meine Kinder sind groß genug, um den Sommer über mit ihrem Vater und dieser Silke allein zurechtzukommen. Und ich kann das ständige Geturtel nicht mehr mit ansehen.

Und du hattest wieder Recht, wenn ich nett zu dieser Silke bin, ist Dieter deutlich mehr mir zugeneigt. Aber jetzt soll er noch ein bisschen leiden. Jennifer macht Silke jedenfalls gehörig die Hölle heiß. Auf sie kann ich mich in diesem Fall verlassen. Auch wenn sie natürlich die eigenen Interessen verfolgt.

Ich habe Jennifer gefragt, ob sie mit nach Sardinien möchte, ihre Patentante besuchen, aber sie hat abgelehnt. Wir haben also wunderbare Ruhe und können machen, was wir wollen. Vielleicht versuche ich es mal mit der Bildhauerei, das ist bestimmt gut zum Aggressionsabbau.

Ich glaube, Tom bildet sich ein, er könne bei dieser Silke landen. Ihn trennen ja auch nur läppische neun Jahre von ihrem Alter. Aber das ist natürlich undenkbar. Bei einer Frau mit Vaterkomplex hat so ein junger Bursche wenig Chancen. Jedenfalls wirkt Dieter schrecklich gestresst, ich gönne es ihm.

Während ich meine Koffer packte, kam er drei Mal herein und versuchte, mich mit fadenscheinigen Gründen von meiner Reise abzuhalten.

Also, wir sehen uns dann auf Sardinien. Mein Flieger geht morgen früh.

Alles Liebe deine Sabine

23. Mai – Stella verordnet Sabine eine Pause

Liebe Sabine!

Nimm es gelassen. Dein Dieter scheint ja eher zu der Genießen und Schweigen-Fraktion zu gehören. Hättest du den Qigong-Lehrer nicht verführt, wärst du ihm wohl niemals drauf gekommen.

Du solltest dich lieber freuen, dass du es auf diese Weise erfahren hast. Im Angesicht der eigenen Verfehlungen trifft es dich sicher weniger hart. Und Spaß hattest du doch auch!
Na ja, ich war von vorneherein der Ansicht, dass so ein junger Kerl nichts für die Ewigkeit ist. Und diese Silke wird das auch nicht sein.

Mein Rat an dich – und halte dich dieses Mal besser daran – sei ausgesprochen nett zu ihr und lass sie auf das freundlichste Auflaufen, so oft es nur geht.

Das wird dem lieben Dieter schon die Augen öffnen!

Furien mag keiner, wieder Einschmeicheln ist was für schwache Frauchen, also trag es wie eine Lady.

Wenn es wirklich schief geht, denke einfach mal an die schlechten Eigenschaften von deinem Dieter.

Du hast mir doch ausreichend geschildert, wie unerquicklich das Leben mit ihm sein kann. Warum also jetzt so durchdrehen?

Und warum auf den Sommerurlaub verzichten?

Lass den guten Dieter doch einfach mal mit seiner Silke das alltägliche Leben teilen, lass deine Kinder ihr ordentlich auf dem Kopf herumtanzen.

Wenn sie das aushält, hält sie alles aus. Außerdem, wenn deinem Dieter noch etwas an dir liegt, so wird er das am ehesten merken, wenn du fort bist und dich entschlossen amüsierst. Rar machen, rar!

Das kann zwar nach hinten losgehen, aber alles andere funktioniert sowieso nicht. Ich weiß ja, wie du sein kannst, wenn du dich aufregst. Warum soviel Energie verschwenden, wenn du ganz gemütlich in der Sonne liegen kannst, um das gleich zu erreichen. Also, eine Absage wird nicht akzeptiert, ich schicke dir das Flugticket mit der Post.

Herzlich Deine Stella

22. Mai – Sabine hält Stella für eine Hellseherin

Liebe Stella!

Du musst seherische Fähigkeiten haben! Tatsächlich, der liebe Dieter hat eine Silke, schon seit acht Monaten. Ist das zu fassen? Vor allem, was die an ihm findet?

Ich habe ihn geheiratet als er noch, wie ein Adonis aussah. Aber schau ihn doch mal jetzt an!
Wahrscheinlich hat diese Silke einen Vaterkomplex. Sie ist erst 27!

Ja, ja, Du denkst jetzt bestimmt, als ob dieses eine Jahr Altersunterschied etwas ausmachte. Nun gut. Aber dann bedenke bitte, dass Dieter fünf Jahre älter ist als ich. Das sind dann also 6 Jahre mehr, die ihn von seiner Silke trennen.

Zu allem Überfluss ist Mark nun beleidigt, weil ich so eifersüchtig auf Dieter sei, sagt er.
Aber das ist doch nur natürlich!

Den jungen Leuten von heute fehlt da anscheinend die Erfahrung.

Er fährt jetzt erst einmal zwei Wochen nach Nepal, um auf irgendwelche Berge zu kraxeln.
Schön, schön, soll er sich ruhig den Hals brechen, während ich hier allein mit den Problemen dasitze.

Jennifer heult die ganze Zeit, weil sie so gerne gehabt hätte, dass Mark bei uns einzieht, sagt sie. Das macht mir noch weniger Lust, ihn zu behalten. Ich sehe das schon kommen: Die Kinder ziehen zu Dieter und seiner Silke, Mark macht sich aus dem Staub wegen seiner Berge und ich stehe dann ganz allein da. Ohne Familie, ohne Liebhaber und ohne Qigong-Kurs.

Ich glaube nicht, dass ich im Sommer wegfahren kann. Keine Minute kann ich dieses Flittchen aus den Augen lassen. Irgendetwas wird mir schon einfallen, um Dieter wieder auf den Pfad zur Tugend zu führen.

Wild entschlossen Deine Sabine

21. Mai – Stella hört die Flöhe husten und warnt Sabine

Liebe Sabine!

Ich möchte ja nicht sagen, hättest du mal auf mich gehört. Aber recht geschähe es dir. Nur eines sage ich dir, mir kommt das spanisch vor, dass dein Dieter so zahm ist. Da stimmt doch etwas nicht.

Bist du sicher, dass er nicht schon längst eine Freundin hat?

Das wäre in meinen Augen die einzig sinnvolle Erklärung. Es kommt ihm gelegen. Wenn nicht wegen einer Geliebten, dann aus anderen Gründen.

Aber vielleicht haben wir alle deinen Dieter auch unterschätzt und es ist ein Heiliger an ihm verloren gegangen.

Nun ja, ich glaub es ja auch nicht.

Komm auf jeden Fall mit nach Sardinien, das wird dir guttun. Es gibt auch massenweise schöne Männer, die dort am Strand rumspazieren und reich aussehenden Touristinnen den Hof machen. Das wird dich ablenken.

Wenn es nicht so profan sein soll, es gibt auch eine Menge Kultur zu begucken oder belege einen Bildhauerkurs. Die Leitung hat da allerdings eine Frau. Aber das ist vielleicht ganz gut so. Du musst nicht jeden Kursleiter anhimmeln. Also meine Liebe, mir pressiert’s.

Halte mich auf dem Laufenden und die Ohren steif.

Herzlich Deine Stella

20. Mai – Stella erkennt, Sabine macht mal wieder, was sie will und nicht soll

Liebe Stella,

vielen Dank für deine Nachricht. Leider kam sie zu spät. Es stimmt, dein Vorschlag hatte viel Schönes, aber du weißt, wie sehr ich Heimlichkeiten hasse. Nun ist es also passiert. Ich habe Dieter alles gebeichtet.

Und du wirst es nicht glauben, ich bin aus allen Wolken gefallen.

Anstatt – wie ich erwartet hatte – wutschnaubend nach der Adresse von diesem Mark zu fragen, um ihn zu verprügeln, war er völlig lammfromm. Sagte tatsächlich, er wäre ja auch seit längerem mit der Gesamtsituation unzufrieden. Und wenn ich mich trennen wolle, hätte er nichts dagegen. Der Qigong-Lehrer könne auch ruhig hier einziehen, er nähme dann die Einliegerwohnung. Das wäre sicherlich das Beste für die Kinder.

Hast du sowas schonmal gehört?

Ist der Mann verrückt geworden, sind ihm die Eier abgefallen?

Stella, entschuldigen diesen Ausdruck, aber mir fehlten wirklich die Worte.

Kein bisschen Kampf von seiner Seite, lässt mich einfach ziehen. Dann sagt er noch, er schaue sich dann auch nach etwas Frischem um.

Das ist ja wohl die Höhe. Als sei ich nicht mehr frisch.

Dieser alte Esel, kaum noch ein Haar auf dem Kopf, seit Jahren nur noch Bierstemmen trainiert und dann sowas!

Ich war dann so sauer, dass ich Mark für das nächste Wochenende zum Probewohnen eingeladen habe. Die Kinder sollten ihn ja auch kennenlernen.

Und liebe Stella, du hattest völlig Recht. Hätte ich nur geschwiegen und genossen.
Jetzt habe ich den Salat.

Jennifer himmelt Mark an. Nun ja, sie ist ja auch nur 12 Jahre jünger als er, da kann das schonmal vorkommen. Zum Glück steht Mark nicht auf so junges Gemüse. Sagt er jedenfalls.

Und sogar Tom kann Mark prima leiden. Sie haben sich mindesten für 4 Stunden in sein Zimmer verzogen, um irgendein Computerspiel zu zocken.

Also ehrlich, ich wollte nicht drei Kinder haben.

Jetzt bin ich mit der Gesamtsituation unzufrieden.

Und wenn der Sex nicht so sensationell wäre, dann hätte ich diesen Mark wohl längst rausgeworfen.

Dieter ist immer noch ganz zahm. Das muss doch ein Trick sein.

Bitte Gott gib, dass mein Mann nicht ein solcher Schlappschwanz ist!

Du siehst, ich habe mich ordentlich in die Sch… geritten. Vielleicht nehme ich dein Angebot an und lasse mir die Sonne in Sardinien auf den Pelz brennen.

Ein bisschen Abstand tut sicherlich gut.

Schön zu hören, dass bei dir alles beim Alten ist. Wir können dann ja in Ruhe quatschen, wenn wir uns im Sommer persönlich treffen.

Liebe Grüße deine Sabine