11. August – Eines Morgens

Eines Morgens wachte ich sehr früh auf, weil ich ein ungewohntes Geräusch vernommen hatte. Ein Klappern oder Schlagen. Sehr merkwürdig. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Es war noch dunkel. Ich hielt den Atem an und konzentrierte mich. Doch ich konnte einfach nicht feststellen, wo das Geräusch herkam.

Vielleicht vom Fenster her oder doch aus der linken Ecke, vielleicht von irgendwo außerhalb meines Schlafzimmers. Ich kam nicht dahinter, wie angestrengt ich auch lauschte. Das Geräusch klang irgendwie metallisch und je länger ich zuhörte, umso bekannter kam es mir vor. Aber ich kam nicht darauf.

Natürlich hätte ich jetzt das Licht einschalten können. Davon hielt mich etwas zurück. Ich weiß nicht was.

Ich ahnte nur, dass das Geräusch im grellen Lampenlicht sofort verstummen würde. Also wartete ich. Das rhythmische Geräusch schläferte mich wieder ein. So hätte ich fast verpasst, wie das erste Tageslicht langsam durch das Fenster kroch und graues Zwielicht in die Dunkelheit goß. Und da erkannte ich sie.

Völlig ruhig und dabei geschäftig, wie ich sie stets gesehen hatte, saß meine verstorbene Großmutter im Sessel am Fenster und strickte einen Pullover. Sie war berühmt für ihre wunderschönen Stricksachen. Auch dieser Pullover versprach ein Meisterwerk zu werden.

Ich traute mich kaum, zu atmen. Natürlich konnte nichts von dem, was ich hier erlebte wahr sein. Schließlich gab es keine Geister und schon gar keine, die in meinem Sessel Pullover strickten und aussahen wie meine Oma.
Trotzdem sah ich sie. Unzweifelhaft hatte ich die halbe Nacht das Klappern der Stricknadeln gehört und nun sah ich tatsächlich mit meinen eigenen Augen meine Großmutter dort im Sessel sitzen und stricken.

Meine Kleider, die ich dort immer hinlegte, hatte sie fein säuberlich auf einen Bügel an den Schrank gehängt. Vorsichtig blinzelte ich mit den Augen und erwartete, dass sie verschwinden würde. Aber nein, ungerührt strickte sie weiter an dem Pullover. Schließlich räusperte ich mich vorsichtig.

„Wird auch Zeit, dass du endlich aufwachst“, kam es aus Richtung des Sessels. Die Stricknadeln klapperten weiter.

„Mmh. Ja. Was machst du denn hier?“, fragte ich lahm und fügte schnell ein gestammeltes „Schön, dich zu sehen!“ hinzu.

„Dachte, ich komme besser mal vorbei. Bevor du dein Leben total verschwendest“, kam es streng von ihrem Platz neben dem Fenster.

„Was?“

Nun war ich wie vor den Kopf geschlagen. Wieso verschwenden? Und warum kam ausgerechnet meine Oma? Die hatte sich doch niemals in meine Lebensführung eingemischt. Ganz im Gegenteil war sie stets die Güte in Person, nachsichtig und liebevoll. Niemals hatte ich auch nur ein böses Wort von ihr gehört, solange sie noch gelebt hatte. Warum fing sie ausgerechnet jetzt mit dem Meckern an, als Geist oder Erscheinung oder Halluzination. Genau, es musste einfach ein Traum sein. Ich kniff mir fest in den Arm und brüllte: „Aua“. Vielleicht kann man im Traum doch Schmerz empfinden, dachte ich sofort.

Oma kicherte nur in ihrem Sessel. Ich setzte mich auf.

„Und deshalb“, sagte ich mit einem etwas gereizten Ton in der Stimme, „kommst du extra aus – keine Ahnung dem Totenreich oder wo auch immer ihr euch rumtreibt?“

„Genau, nur deshalb! Und das war wirklich nicht angenehm, den langen Weg habe ich nur für dich auf mich genommen. Also sei gefälligst dankbar. Ich habe mir das lange genug mit angesehen. Als Kind warst du so vielversprechend und jetzt verschwendest du all deine Talente aus reiner Feigheit. Ich dachte, wenn ich vorbeikomme, dann wird dich das aufrütteln. Die anderen Zeichen, die ich dir geschickt habe, hast du ja ständig missachtet.“

„Was für Zeichen?“

„Dummes Kind, das weißt du selbst ganz genau. Jedenfalls bin ich nun hier und sage es dir persönlich. Ändere endlich dein Leben, sonst ist es vorbei mit freundlichen Zeichen und es gibt kein zurück mehr.“

„Aber, aber…“, stotterte ich wieder.

„Ist nur ein freundlicher Rat von mir, mein Kind. Du kannst natürlich auch so weitermachen und solange wiederkommen, bis du es endlich kapierst. Aber glaube mir, das ist auch nicht viel besser. Also, ich habe gesagt, was ich wollte und muss jetzt aufbrechen.“

„Aber, ich…“

Ein Sonnenstrahl glitzerte über den Horizont, fiel durch mein Schlafzimmerfenster und Großmutter war verschwunden. Nur das Klappern der Stricknadeln hallte noch einen Moment nach.