10. Mai – Expertin

Molly war Expertin. Sie zog das Schwert aus der Scheide und zerschnitt mit ihm in großen, ausladenden Bewegungen die Luft, dass es leise pfiff. Sie wog es in der Hand, betrachtete es von allen Seiten genau.

„Wieviel?“

„Das ist ein echt antikes Schwert aus der Zeit von…“ Molly schob das Schwert mit einer brüsken Bewegung zurück in die Scheide und legte es fort.

„Binden Sie mir keinen Bären auf“, fuhr sie den Händler an, „ich kann ein echt antikes Schwert von einer schlechten Fälschung durchaus unterscheiden. Wenn Sie das als Replika anbieten, okay. Aber erzählen Sie mir keine Lügen!“

Der Mann zog den Kopf ein.

„Aber, ich, also…“

Molly ließ ihn einfach stehen. So ein Blödmann! Leider gab es hauptsächlich nur Schrott hier auf der Messe. Schade, dabei hatte sie doch gerade einen Extra-Bonus bekommen, den sie gerne in ein erstklassiges Stück investieren würde. Es musste ja nicht einmal echt antik sein. So hoch war ihr Bonus auch wieder nicht. Aber es sollte wenigstens authentisch gearbeitet sein.

Und dann sah sie es: Ein „Al Fuego“, handgeschmiedet, originalgetreu nach dem Schwert von Fernando Santiago Emilio de Salazar Fuentes aus dem 13. Jahrhundert gearbeitet.

Voller Ehrfurcht starrte Molly in den raffiniert ausgeleuchteten Schaukasten. Der Verkäufer beachtete sie nicht. Ihr übliches Schicksal. Niemals glaubte irgendein Händler, dass Molly zu kaufen beabsichtigte. Wahrscheinlich dachten alle, die kann noch nicht einmal mit einem Kartoffelschäler umgehen. Dabei konnte sie das im Gegensatz zu den meisten anwesenden Herren ebenso erstklassig wie mit dem Schwert kämpfen.

Sie seufzte leise, als sie das Preisschild entdeckte. Das überstieg ihren Bonus um ein Vielfaches, obwohl es nur ein Nachbau war. Aber eben von „Al Fuego“, dem Meister unter den Schmieden, die noch mittelalterliche Schwerter originalgetreu arbeiteten. Molly riss sich los. Aber nach diesem Anblick konnte sie keines der anderen ausgestellten Schwerter mehr beeindrucken.

Trotzdem zwang sie sich, erst die komplette Messe abzulaufen bevor sie wieder zum „Al Fuego“ zurückkehrte. Einfach großartig. Die Verzierung an der Parierstange war hervorragend gearbeitet. Schließlich sprach sie den Händler an. Der zog die Augenbrauen hoch, fummelte aber dann nach dem Schlüssel und öffnete die Vitrine. Ehrfürchtig wog sie das Schwert in der Hand. Es war wunderbar ausgewogen, wie für sie gemacht. Mit großem Bedauern legte sie es schließlich wieder zurück. Der Händler schaute sie an, sagte aber nichts. Molly bedankte sich und ging zum Ausgang.

„Ich muss ja nicht alles haben“, sagte sie zu sich.