14. Januar – Friedensbewegt

In den 1980er Jahren bin ich an Ostern zu Friedensmärschen aufgebrochen, ich habe gegen die Stationierung der Pershing II Raketen demonstriert und unsere Gemeinde hat sich zur „Atomwaffenfreien Zone“ erklärt. Was war ich damals friedensbewegt! „Schwerter zu Pflugscharen“ war mein Slogan, Mahatma Gandhi mein Vorbild und die weiße Taube mein Symbol.

Heute denke ich lieber nicht darüber nach, dass deutsche Soldaten weltweit im Einsatz sind. Und falls doch, dann mache ich mir unterstützt von beruhigenden Medienberichten romantische Vorstellungen: Unsere Soldaten sorgen für Ruhe und Ordnung. Und die einheimische Bevölkerung ist unseren Jungs dafür dankbar.

Keiner meiner Freunde und Bekannten kam auf die Idee eine Karriere bei der Bundeswehr anzustreben. Die Chancen standen also gut, dass ich niemals mit den Realitäten der deutschen Auslandseinsätze konfrontiert würde.

Dann begegnete ich Klaus! Er saß mir im Zug gegenüber und schüttete mir ungefragt sein Herz aus. Klaus ist Anfang vierzig und wie ich ihn verstanden habe Reserveoffizier mit Spezialausbildung. Er entschied sich zu einer Zeit für diese Laufbahn, als ich noch für den Frieden marschierte. Und er hat sich damals auch nicht träumen lassen, dass es mit dem Job jemals richtig Ernst würde.

Aber heute reicht es ihm – nach insgesamt 12 mehrmonatigen Auslandseinsätzen in Kriegsgebieten vom Kosovo bis Afghanistan und bald im Sudan, von denen er zehnmal verwundet heimgekehrt ist. Vor allem, weil die Bilder ihn nicht loslassen. Bei seinem letzten Einsatz sei er auf eine Mine gefahren, bei dem Einsatz davor in Afghanistan sei er angeschossen worden. Der Schütze sei ein höchstens vierzehn Jahre alter Junge gewesen. Da hieß es: „Der oder ich“. Klaus habe das Kind getötet. Er selbst kam mit dem Leben davon.

Ich habe mich nicht getraut, Klaus zu fragen, ob er sich deshalb schlecht fühlt, ob es ihm leidtut, dass er ein Kind erschießen musste. Stattdessen erzählt er mir, dass durch die ständigen Auslandseinsätze bereits seine erste Ehe gescheitert sei. Und er befürchte, dass dies auch seiner jetzigen Beziehung blühe. Heiraten wolle er seine Freundin trotzdem. Er überlege noch, wie er um weitere Einsätze herumkommen könne. Er erzählt, dass er bereits versucht habe, sich zu weigern. Leider sei ihm daraufhin vorgerechnet worden, wie viel Geld seine Ausbildung den Staat gekostet habe. Er habe unterschrieben, die Vorteile genutzt, nun müsse er auch dienen.

Und Klaus erzählt weiter. Kürzlich habe er sich auf einen Einsatz vorbereitet, bei dem ein Kamerad befreit werden sollte. Aber der Einsatz habe sich dann erledigt. Der Kamerad sei hingerichtet worden. Und dessen Ehefrau habe ihr Kind verloren. Totgeburt im sechsten Monat. Wir schweigen einen Augenblick, beide Tränen in den Augen. Dann hält der Zug und Klaus steigt aus.

Zweifel steigen in mir auf, das kann, das darf doch alles nicht wahr sein. Falls es wahr wäre, dann dürfte das ein Soldat niemals einer wildfremden Person erzählen, oder? Vielleicht lacht sich Klaus jetzt auf dem Bahnsteig schlapp, welchen Bären er mir aufgebunden hat.
Ganz ehrlich: Mir hat die Vorstellung besser gefallen, dass die deutschen Soldaten im Ausland alles gute Kerle sind, die sich ganz freundschaftlich für den Weltfrieden einsetzen, niemanden töten müssen, niemals sterben und niemals verletzt werden.