5. April – Marie spricht ein Machtwort

Mit wirrem Haarschopf und laut gähnend tappte Marie in die Küche.

„Was macht Ihr denn so einen Lärm?“, fragte sie. Plötzlich war es still. Die Eltern schauten einander betreten an.

Die Mutter sagte: „Es ist alles in Ordnung.“

„Geh’ wieder ins Bett“, der Vater trat auf Marie zu und wollte sie aus der Küche bugsieren.
Aber Marie stand plötzlich hellwach und trotzig da.

Sie schaute von einem zum andern und dachte nicht daran, sich einfach wieder ins Bett abschieben zu lassen.

„Ihr streitet wieder“, stellte sie fest.

„Könnt Ihr Euch nicht mal endlich vertragen? Nie kann man Euch auch nur einen Moment aus den Augen lassen.“

Voller Entrüstung hatte Marie die Fäuste in die Hüften gestemmt.

Plötzlich begann die Mutter zu lachen, auch Marie prustete los.

Der Vater schaute einen Augenblick ratlos, dann stimmte er mit ein.
Das Lachen der drei dröhnte durchs ganze Haus.

1. September – Marie

„Bist du wahnsinnig?“ Mit einer schnellen Bewegung riss Konrad seiner Tochter Marie das Messer aus der Hand, mit dem sie gerade in der Steckdose herumpulen wollte. Die Kindersicherung hatte sie bereits entfernt. Schweißtropfen glänzten auf Konrads Stirn. Irgendwie hatte er sich das Kinderhüten einfacher vorgestellt.

In Ruhe Zeitung lesen, vielleicht eine schöne Tasse Kaffee dazu trinken und ab und zu einen Blick auf die Kleine werfen. Sonst, wenn er abends nach Hause kam, war sie doch immer schön still und machte höchstens noch ein wenig Theater beim Ins-Bett-Gehen. Susanne hatte sie ganz gut im Griff. Außerdem las sie ihr noch vor, damit Marie schnell einschlief.

Konrad wunderte sich plötzlich, woher Susanne die Energie nahm. Sie ging vormittags arbeiten, kümmerte sich fast allein um den Haushalt und um Marie. Donnerstags machte sie Aqua-Gymnastik und Samstag Abend gingen Konrad und Susanne oft tanzen und ließen Marie bei der Oma.

Er war von seiner Arbeit normalerweise so erledigt, dass er es an Wochentagen abends höchstens noch vor den Fernseher schaffte. Manchmal baute er dann noch an seinen Flugzeugmodellen. Aber meistens hatte er gar keine Lust dazu und schlief stattdessen auf dem Sofa ein, bis Susanne ihn wach machte und ins Bett schickte.

Und nun hatte er Urlaub und musste das allererste Mal allein auf Marie aufpassen. Zumindest seit sie ins Krabbelalter gekommen war. Vielleicht hatte Marie einfach die unbändige Kraft von Susanne geerbt, denn anders konnte er sich nicht erklären wie sie derartig schnell durch die Wohnung robben, sich überall hochziehen und auch noch die meisten Schranktüren aufreißen konnte. Gerade zog sie am Tischläufer und drohte die Blumenvase in den Abgrund zu zerren. Mühsam entwand er Marie die Stoffbahnen aus den kleinen Fingern und nahm sie auf den Arm.

„Nach mir kommst du jedenfalls nicht“, murmelte er, als Marie ihn in die Nase zwickte und dabei lauthals lachte.