28. Mai – Ziegenkäse

Meistens schaut Ziegenkäse ganz unschuldig weiß aus, riecht auch nicht von weitem schon wie so widerlicher Stinkekäse. Völlig ahnungslos also nimmst du den leicht bröckeligen Käse auf die Gabel und dann explodiert plötzlich eine Kakophonie von Geschmacksnoten in deinem Mund.

Irgendwie scharf und leicht faulig, spritzig und grasig, so ganz schwer zu beschreiben.
Vielleicht ist mir der unschuldig ausschauende aber höchst auffällig schmeckende Ziegenkäse deshalb eingefallen, weil ich selbst auch ein bisschen so bin. Understatement würde es der Anglophile vornehm nennen. Tiefstapeln sagt man hier zu Lande.

Ist das nur Tarnung? Aus Angst?

Oder fehlgeleitete Erziehung?

Schließlich kennen wir alle den Spruch: Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommst Du ohne ihr.

Nun ja, wenigstens beim Reinbeissen merkt dann ein jeder, dass er es mit keiner weißen Unschuld zu tun hat.

Aber will ich eigentlich so sein?

Wie Ziegenkäse?

Aber wenn ich ehrlich bin lieber Ziegenkäse anstatt Pitahaya, sieht ganz toll aus, schmeckt aber nach nix.

27. Mai – Life is a Lemon

„Life is a lemon and I want my money back“ – „Leben ist eine Zitrone und ich verlange mein Geld zurück“. Diese Liedzeile von Meat Loaf fand ich immer besonders lustig. Diese absurde Vorstellung, man könne sich für sein verhonktes Leben irgendwo beschweren, vielleicht in der Universumsreklamationsabteilung.

Eine ordentliche Reklamationsabteilung, die was auf sich hält, würde dann natürlich erst einmal Bearbeitungsgebühr verlangen, dir dann erklären, dass deine Garantiezeit längst abgelaufen ist und du dir am besten gleich ein komplett neues Leben zulegen solltest, weil sich reparieren nicht mehr lohnt.

Wie gut, dass es kein bösartiger Monopolist mit verkaufsfördernder Reklamationsabteilung war, der das Produkt Leben auf den Markt geworfen hat.
Ganz im Gegenteil.

Und zum Glück ist das ganz einfach mit den Reklamationen: Fass dir an die eigene Nase.
Wenn du dich nicht glücklich machst, wer soll das sonst für dich tun?

Also bitteschön selbst die Verantwortung für die Zitronen übernehmen und Limonade draus machen oder Zitronensorbet.

Dir fällt bestimmt noch viel mehr ein. Es gibt immer mindestens drei Möglichkeiten, du musst dich nur freimachen sie zu erkennen und das Wagnis eingehen dich für eine zu entscheiden.

12. Juni – Der Zwerg

Es war einmal ein Zwerg, der wohnte im Land der Riesen. Dort fühlte er sich immer klein, unnütz und hässlich. Die Riesen verspotteten ihn und machten Weitwurf mit ihm oder steckten ihn in eine Showkanone und schossen ihn damit in einen Riesendunghaufen. Es war ein elendes Leben.

Und der Zwerg jammerte und haderte: „Es ist ja so gemein, was diese Riesen mir antun“. Jeden Tag betete er: „Lieber Gott, rette mich aus dieser gräßlichen Lage!“

Eines Tages hatte Gott ein einsehen. Er nahm den Zwerg und setzte ihn in die Welt der Zwerge. Plötzlich war der Zwerg nichts Besonderes mehr, er war nicht größer, nicht kleiner, nicht schöner, nicht hässlicher als all die anderen Zwerge um ihn herum.

Da begann er sich zu fürchten. Wo waren die Beschimpfungen und Demütigungen, wo die Kanonenschüsse und Weitwürfe geblieben? Welchen Sinn hatte sein Leben jetzt noch?

Also heuerte der Zwerg bei einem Zirkus an, der Zwergenweitwurf zeigte, Zwerge mit Kanonen in Dunghaufen schoss und alberne Zwergenclowns über sich selbst lustig machen ließ. Aber im Zwergenland wollte keiner diesen merkwürdigen Zirkus sehen.

So kehrte der Zwerg in dem Zirkus zu den Riesen zurück und führte nun freiwillig die Nummern auf, mit denen er damals gedemütigt wurde. Aber eines Abends trat er vor seinen Wohnwagen und schaute hinauf zu den Sternen.

Da wurde ihm klar, dass er endlich wachsen musste. So ließ er den Zirkus hinter sich und kehrte nie wieder ins Land der Riesen und Zwerge zurück.

6. Juni – Sängerwettstreit

Sabine schnürt die festen Schuhe und schleicht sich am frühen Morgen aus dem Haus. Mann und Kinder schlafen. Endlich aufatmen, ein bisschen gestohlene Zeit nur für sie allein.

Hinter dem Haus überquert sie eine frisch gemähte Wiese und läuft über die Feldwege Richtung Wald. Obwohl es so früh ist, wärmt die Sonne sie. Und Sabine ist froh, dass sie Sonnencreme auf Gesicht und Arme aufgetragen hat. Im Schatten des Waldes ist es noch kühl. Und die Vögel singen lauthals um die Wette.

In weiter Entfernung hört Sabine ein „Schuhuhuuuhuuu“, zwei Mal. Aber dann wird es vom Pfeifen und Tirilieren und Jubeln aus allen Richtungen übertönt. Was gäbe Sabine darum, wenn sie die Vögel verstünde.

Vielleicht rufen sie sich zu: „Schaut mal eine Menschenfrau! Was will die so früh hier? Warum stört sie uns? Wer traut sich, ihr auf den Kopf zu scheißen?“

Aber vermutlich, überlegt Sabine, kümmern die Vögel sich kein bisschen um mich.
Sie pfeifen und singen, weil das Leben in ihnen einen Druckausgleich sucht wie bei einem Dampfdrucktopf, weil das Leben immer einen Ausdruck sucht.

Und voller Inbrunst stimmt Sabine ein.

2. Juni – Gesines Leben

Gestern besuchte mich eine Freundin und sagte: „Du, borg mir doch mal eben dein Leben aus.“

Ich musterte sie von oben bis unten. Sie sah aus wie immer, hennagefärbtes Haar, wilde Locken, Ringelpulli, Cordhose, zwei nicht zusammenpassende Socken in offenen Sandalen, Gesine eben. Nur ihre Augen hatten heute so einen merkwürdigen Glanz.

„Was willste denn damit?“, fragte ich.

„Jetzt sei doch nicht so. Als wollte ich jetzt irgendwas Besonderes oder so. Nur heute, ehrlich.“

Sie schaute mich ungeduldig an. Ich zuckte mit den Schultern, schüttelte leicht den Kopf.

„Hm, nö!“, sagte ich. „Mein Leben geb’ ich dir nicht.“

Gesine kullerte mit den Augen.

„Das hab ich mir doch gleich gedacht, dass du wieder soo bist. Da brauche ich einmal deine Hilfe. Echt jetzt.“

„Wie, wieder soo? Außerdem ist mein Leben schon was Besonderes. Kannste Dir nicht einfach ausleihen. Und was mach ich solange? Dein Leben hüten, oder was?“

„Ist doch für’n guten Zweck. Brauch das doch nur heute mal.“

„Aber warum?“

„Na, naja“, Gesine druckste herum, „ist nicht so einfach zu erklären.“

„Dann geb’ ich dir mein Leben erst Recht nicht. Wer weiß, was du damit anstellst. Ne, das geht nicht.“

„Ach menno, ich brauch’ das wirklich nur ganz kurz, heute Abend bring ich’s zurück. Lass dir auch meins als Pfand da.“

Sie ließ nicht locker und ich mich breitschlagen. Wir haben also getauscht.

Natürlich kam Gesine gestern Abend nicht wieder.

Sie ist mit meinem erstklassigen Leben durchgebrannt.

Es wundert mich nicht mehr, wenn ich mir den Saustall so angucke, den sie dagelassen hat.
Bei meinem Glück kommt die wieder, sobald ich alles aufgeräumt und in Ordnung gebracht habe.

Aber bis dahin wundert Euch nicht, wenn ich ab und zu mal verschiedene Socken anhabe. Das passiert einem schnell bei so einem chaotischen Gesine-Leben.