12. Dezember – Was klopft denn da?

Was klopft denn da? Zwischen Baum und Borke ist ja strenggenommen kein Platz. Dennoch höre ich es dort klopfen. Pock, pock, pock, pock klingt es aus dem Baum, manchmal auch krch, krch, krch.

Was dort so eifrig klopft und schabt, weiß ich nicht. Keine Ahnung. Ein wenig beunruhigend kommt mir das sogar vor. Überall so krabbelige Insekten. Müssen die dann auch noch so einen Lärm machen?

Ich meine, welche Geräuschkulisse wäre das wohl, wenn wir die Milben in unseren Teppichen und Betten hören könnten? Wahrscheinlich klänge das wie New York, Tokio, Singapur und Bombay zusammen. Zum Glück kann ich die Milben nicht hören. Es genügt mir bereits, dass ich vom feinen Staub ihrer Exkremente niesen muss.

Nun klopft es aus dem Baum. Es klopft ausdauernd und unverdrossen. Natürlich könnte ich hingehen und dort, wo es klopft, ein kleines Loch in die Rinde pulen. Ich könnte sehen, wer da solch einen Lärm veranstaltet, wer da unbedingt heraus will. Aber mich hält eine Überlegung davon ab, die ich seit einiger Zeit öfter anstellen musste. Vielleicht störe ich das Wesen durch mein gutgemeintes Eingreifen empfindlich und am Ende töte ich es womöglich sogar damit.

Wer von uns hat noch nicht von den unglücklichen Lottomillionären gehört, die der plötzliche Reichtum ins Unglück gestürzt hat. Oder was ist mit den unzähligen Menschen, die sich nach Freiheit sehnen, aber schlotternd und heulend zusammenbrechen, sobald sie plötzlich und unerwartet befreit sind.

Also klopfe ich nur ganz vorsichtig zurück. „Du bist auf dem richtigen Weg“, flüstere ich. „Du schaffst das.“ Einen Augenblick hält das auf der anderen Seite inne und lauscht. Dann klopft und schabt es unverdrossen weiter. Ich halte mich heraus. Verschränke die Hände hinter dem Rücken und gehe weiter meinen Weg entlang.