28. Februar – Der Baum

Es war einmal ein großer Baum, der stand ganz allein auf einem Hügel. Um ihn herum gab es nur Wiese und Felsen. Der Baum war groß gewachsen.

Er hatte den Stürmen getrotzt. Seine Wurzeln hatte er tief in die Flanken des Hügels eingegraben. Er hatte sie um die Felsen geschlungen und so Anker geworfen wie ein mächtiges Schiff im Ozean.

Zwei Mal hatte der Blitz in ihn eingeschlagen. Das hatte seine Krone gespalten, aber er war dennoch weiter gewachsen. Und nur wenn man genau schaute, sah man die Narben seines Alters und seines langen Lebens.

So stand der Baum dort auf dem Hügel mächtig und auch ein bisschen einsam. Er konnte nur allein im Wind rauschen und dem Tröpfeln des Regens auf seinen Blättern lauschen. Kein anderer Baum lehnte sich an ihn oder wetteiferte mit ihm um den besten Platz an der Sonne. Nur manchmal flüsterten die Gräser dem alten Baum etwas zu.

29. Juli – Philosophie mit Wald

Im dichten Wald herrscht ein ständiges Zwielicht, manchmal unterbrochen von ein paar Sonnenflecken.

Die großen Bäume wetteifern um den besten Platz an der Sonne, recken sich in die Höhe und wachen eifersüchtig darüber, dass kein anderer Baum sich zu nah bei ihnen breitmacht. Sie brauchen den Raum um sich, die Sonne, das Wasser, die Mineralien, die Tiere, einige Pflanzen – aber bloß keine anderen Bäume zu nah auf der Pelle. Es ist doch ohnehin schon voll hier.

Ab und zu schubsen und rangeln die Bäume um ein paar Zentimeter mehr. Wir Menschen können das nur nicht sehen, weil das viel, viel zu langsam für unsere schnelle Lebensweise geschieht.

Natürlich könnten wir uns neben einen Baum setzen, um ihm beim Wachsen zuzuschauen. Aber der ist ja immer noch ein Halbstarker, während wir schon alle Zähne und Haare verloren haben und unser letztes Gebet sprechen.

Mit anderen Worten: Keine Chance, sich wirklich in den Baum hineinzufühlen, der seit langer, langer Zeit auf dieser Welt nichts weiter tut als Einatmen, Ausatmen, Wachsen und Gedeihen und seinen Platz behaupten. Er macht also das Gleiche wie du und ich – nur auf seine Art.