18. Oktober – Nachts am Meer

Völlige Dunkelheit umgibt uns, kaum haben wir unser Auto am Parkplatz abgestellt. Außerhalb der Saison sind um diese späte Stunde weder Strandbars geöffnet noch Promenadenbeleuchtung eingeschaltet. Hinter der Düne höre ich das Meeresrauschen aufsteigen. Mit dem funzeligen Licht unserer kleinen Taschenlampe finden wir den Weg zum Strand. Das Meer brandet in tiefer Schwärze an.

Ich kann es hören und spüren aber nicht sehen. Überhaupt ist es mir rätselhaft, wie ich in dieser totalen Schwärze überhaupt einen Weg finde. Aber obwohl ich nicht wirklich sehen kann, gelange ich genau an diese Linie, wo das Meer mit seiner gierigen Zunge am Strand leckt, ein klein wenig Schaum zurücklässt, ein wenig Sand mit zurück ins Meer nimmt.

Das Geräusch der Brandung, das Streicheln des Windes, der Geruch der See, das alles lässt mich jubeln und tanzen dort im tiefen Schwarz am Strand. Ich vergesse völlig meinen Begleiter, der geistesgegenwärtig ein Foto schießt, wie ich wild am Strand entlang hüpfe. So außer mir vor Glück habe er mich noch niemals erlebt.

Natürlich zeigt das Foto nur ein undeutliches völlig überstrahltes Gesicht vor undurchdringlicher Schwärze. Wie ein Herzmonitor ja auch nur den Rhythmus anzeigt, aber niemals, was ein Herz fühlt.

13. September – Ihr Herz spricht

Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, ich bin Ihr Herz! Wahrscheinlich haben Sie sich längst daran gewöhnt, dass ich in ihrer Brust schlage. Womöglich beachten Sie mich kaum. Außer natürlich, wenn Sie sich gerade verliebt haben oder Sie verlassen worden sind. Da greifen Sie sich vielleicht an die Brust, um Ihr gebrochenes Herz zu halten oder Sie freuen sich, wie wild ich auf und ab Hüpfen kann vor lauter Liebe.

Nun ja, aber insgesamt muss ich doch feststellen. Sie kümmern sich viel zu selten um mich und darum, dass es mir gut geht. Und ich meine damit nicht solche Dinge wie Ausdauertraining und gesundes Essen. Natürlich schadet mir das nicht gerade. Aber noch viel wichtiger als womöglich lustlos aber pflichtbewusst auf dem Cardio-Trainer herumzuhampeln ist es, wenn Sie spielen, Spaß haben, herumrennen, lachen, hüpfen, knobeln, singen oder malen.

Sie glauben gar nicht wie gut mir das tut, wenn Sie sich einfach nur mal hängen lassen. Also nicht wirklich, aber so im übertragenen Sinn. Dann fließt das Blut gleich viel leichter durch Ihre Blutbahnen. Das ganze Stressige, Strenge fällt von Ihnen ab und ich schlage leicht wie eine Vogelschwinge und Sie fliegen mit mir davon in eine Welt voller Leichtigkeit und Freude.

10. Juni – Lottogewinn

Sergej ist völlig aus dem Häuschen! Seit fast zwanzig Jahren spielt er regelmäßig Lotto und wenn er ehrlich ist, so richtig hat er nie daran geglaubt, dass überhaupt jemals irgendjemand richtiges Geld gewinnt. Aber jetzt, er kann es kaum fassen.

Ludmilla tanzt schon auf dem Tisch. Das große Los, ein Sechser mit Zusatzzahl und Superzahl. Ein paar Millionen werden das bestimmt. Wie gut, dass die Kinder nicht zu Hause sind. Besser wenn die nichts erfahren. Sonst weiß es am Ende jeder und Sergej muss aller Welt Geld schenken oder Geld leihen.

Er möchte diese peinlichen Situationen nun wirklich vermeiden. Aber das Haus können sie abbezahlen, auf einen Schlag. Und es ist genug für das Studium der Mädchen da. Und Ludmillas Mutter kann endlich in eine anständige Wohnung ziehen.

Aber natürlich, alles muss in Ruhe bedacht werden. Ein neues Auto wäre auch schön. Nur die Fragen, die bohrenden Fragen von den Verwandten und Arbeitskollegen.
„Nein, nein. Sei nur vorsichtig, Sergej“, tadelt er sich selbst.

Dann springt Ludmilla vom Tisch auf und holt den Krimskoye aus dem Kühlschrank. Immer noch vor Freude trällernd stellt sie die Sektflöten auf den Couchtisch.

„Los mach auf!“, fordert sie Sergej auf.

„Warum haben wir so teuren Sekt im Haus?“, braust Sergej auf.

„Ach Lieber“, Ludmilla sinkt ihm auf den Schoß, „ich habe doch geträumt, dass es so kommt. Was denkst du? Mach’ dir nicht soviel Gedanken. Es wird alles gut!“