20. September – Synchronizität

Wissen Sie, was eine Synchronizität ist? Vor allem unheimlich. Ehrlich gesagt nicht nur die Synchronizitäten, die ich selbst erlebte, sondern auch die, deren Werkzeug ich wurde.

Nun gut, beginnen wir von vorn. Jeder kennt dieses Phänomen, ein Beispiel: Sie haben sich von Ihrem Partner getrennt. Nach einer Trauerphase steht dann die Suche eines neuen Partners an. Garantiert in dem Augenblick, in dem Sie innerlich bereit sind, werden Sie genau den Richtigen treffen.

Sie wünschen sich einen neuen Job (und glauben auch daran, einen zu finden), Schwupps, werden Ihnen die Gelegenheiten über den Weg laufen.

Alles Synchronizitäten: Ereignisse, die keinen kausalen Zusammenhang besitzen, aber sinnhaft miteinander verbunden erscheinen.

Merkwürdiger ist folgendes: Sie bringen Ihrer besten Freundin, die Sie lange nicht getroffen haben, das erste Mal im Leben aus einer spontanen Eingebung ein kleines Geschenk mit. In Ihren Augen ein völlig belangloses Geschenk. Sie packt es aus und ist völlig verzückt, weil es gerade zu dem passt, was sie soeben beschlossen hat, in ihrem Leben zu ändern.

Für mich persönlich ist allerdings dieses Erlebnis von Synchronizität am schönsten gewesen: Eines Tages grübelte ich, wie den wohl dieser Jedi-Ritter hieß, den in den alten Star Wars Filmen Alec Guinness spielte und in den neuen Ewan McGregor. Es war sowas von dumm, ich kam auf die Namen der Schauspieler, mir fiel jedoch der Name der Figur nicht ein.

Nun ja, ich fragte meine Freundinnen, aber die wussten es auch nicht. Da wir gerade unterwegs waren und noch keine Smartphones besaßen – die Geschichte ereignete sich etwa 2013 – konnte ich auch nicht online danach suchen, später, zu Hause vergaß ich es.

Am nächsten Tag besuchten wir eine weitere Freundin, die am Rande der Lüneburger Heide wohnt. Natürlich mussten wir dort einen Spaziergang machen. Es war ein Wochentag und die Heide war wunderbar leer, kein Mensch weit und breit, nur ein großer Hund begegnete uns.

Hah, dachte ich, was für ein Trottel lässt seinen Hund hier allein durch die Gegend laufen? Irgendwo muss doch sein Herrchen sein.

Da hörte ich eine männliche Stimme rufen: „Obi Wan Kenobi, komm her!“

Nur ein Zufall oder doch mehr? Vielleicht der Ausdruck einer Verbundenheit, die sich schwer erklären oder fassen lässt. Oder einfach nur ein nerdiger Fan, der eben seinen Hund nach seinem Lieblingsfilmcharakter benannt hat und der zufälligerweise zur gleichen Zeit am gleichen Ort spazieren ging wie meine Freundinnen und ich, wie es hunderte weitere Menschen mit ihren Hunden Han Solo oder Data oder Beethoven jeden Tag tun, ohne mir weiter aufzufallen?

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich lachen musste und am liebsten auf die Knie gesunken wäre aus Ehrfurcht vor dieser wahnsinnig wunderbaren Kreativmaschine Universum, in der wir leben. Warum einen Zettel dranhängen? Ich erlebe und staune lieber.

4. Juli – Berenica Cruz

Berenica Cruz war eine wunderschöne Frau, glutäugig, schwarzhaarig, volle Lippen, üppige Figur. Wenn sie sich von Weitem näherte, verkörperte sie ganz und gar das Ideal einer schönen Spanierin, die sie schließlich auch war. Nur aus der Nähe verlor sie plötzlich und unerwartet. Das lag an Details.

Berenica gab einem die Hand so nachlässig und lasch, dass sie wie ein toter Fisch schnell losgelassen werden musste. Auch ihre Sprache ließ das Temperament vermissen, dass ihr Aussehen versprach. Ihre Stimme war sehr leise und hoch. Und auch ihr Lachen schallte nicht durch den Raum, sondern war nur ein glucksendes Kichern hinter vorgehaltener Hand. Überhaupt war Berenica sehr schüchtern und froh, wenn sie nicht angesprochen wurde. Aber genau das geschah natürlich unentwegt.

Vor allem Männer sprachen sie an, wollten sie einladen auf einen Kaffee, auf einen Wein, zum Frühstück. Sie hatte sich schon alle erdenklichen schönen, romantischen, plumpen oder langweiligen Anmachsprüche anhören müssen. Aber kaum hörten die Männer sie höflich ablehnen, fühlten, wie sie ihnen die Hand reichte, oder erlebten ihr glucksendes Kichern, erlosch ihr Interesse auf merkwürdige Weise.

So kam es, dass Berenica zu den Frauen gehörte, denen immer gesagt wurde: „Warum eine Frau wie du noch keinen Mann abgekriegt hast, ist mir unverständlich“. Und irgendwann hatte es Berenica satt. Eigentlich wollte sie nicht unbedingt einen Mann kennenlernen. Warum das so wichtig sein sollte, war ihr ohnehin rätselhaft. Aber sie wollte unbedingt zu sich selbst passen. Entweder also musste die glutäugige Spanierin dran glauben oder sie musste die Schüchternheit, den laschen Händedruck, das alberne Kichern und die piepsige Stimme ablegen. Die Schwierigkeit bestand darin, zu entscheiden, wer sie denn nun eigentlich war. Also ging Berenica zu einer Hexe, einer Wahrsagerin. Eine Freundin hatte sie ihr empfohlen.

Die Frau war alt und weißhaarig. Als Berenica in ihre Stube trat, paffte die Alte gerade an einer dicken Zigarre. Auf dem Tisch vor ihr stand noch eine Untertasse mit Kaffeesatz, von der letzten Kundin übriggeblieben. Ein Stapel Tarotkarten lag vor einem kristallenen Aschenbecher, der mit dicken Zigarrenstumpen bis zum Rand gefüllt war. Zweihundert Euro verlangte die Wahrsagerin. Und obwohl ihr dieser Betrag viel zu hoch erschien, zog Berenica die Scheine mit zitternden Fingern aus ihrem Portemonnaie und schob sie über den Tisch der Alten zu. Die zählte noch einmal nach und schob das Geld in ihre Rocktasche. Dann hieß sie Berenica, sich hinzusetzten, nahm selbst Platz. Gab Berenica die Karten zum Mischen.

„Mit der Herzhand! Konzentrier dich auf Deine Frage“, befahl sie knapp.

Berenica wechselte die Karten in die linke Hand. Schließlich legte sie den gemischten Stapel wieder zurück auf den Tisch. Die Wahrsagerin nahm sie und deckte die erste Karte auf und legte sie auf den Tisch. Sie zeigte den Teufel. Dann folgte als zweite Karte der Gehängte, als dritte das Gericht. Die Wahrsagerin paffte an ihrer Zigarre und sagte lange Zeit nichts.

Berenica wurde es unbehaglich zumute. Sie räusperte sich. Aber immer noch schwieg die Wahrsagerin. Berenica rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Besonders gut sah das doch nicht aus. Warum sagte die Wahrsagerin denn nichts? Schließlich drückte die Alte den Stumpen im Aschenbecher aus, seufzte noch einmal behaglich.

„Armes Kind“, sagte sie dann, „in der Vergangenheit warst du gefangen in einem schönen Leib mit einer ängstlichen Seele ohne Selbstvertrauen und Selbstliebe. Nun beginnst du einen Prozeß der Loslösung. Die Widersprüche werden unwichtig. Das ist schmerzhaft aber gut. Denn in Zukunft wirst du dein Leiden überwinden und ein völlig neuer Mensch sein.“

Berenica war sprachlos, ihr stand der Mund offen. Endlich fasste sie sich und sagte: „Und das war’s? Ich meine, das war alles, was sie mir für 200 Euro zu sagen haben? Da kann ja meine Mutter besser wahrsagen!“

Die Alte lehnte sich zurück und strahlte Berenica an. „Die Zukunft hat bereits begonnen“.

„Unverschämtheit!“, brüllte Berenica und pfefferte den Aschenbecher an die Wand. Sie sprang auf und drohte der Alten mit dem Finger: „Sie hören von mir!“

Dann rauschte sie auf die Straße und eilte zur nächsten Bushaltestelle. Kaum hatte sie dort 30 Sekunden gewartet, sprach sie ein Mann an: „Ihre Augen glitzern wie die hellsten Sterne, Signorina, bitte gehen sie mit mir einen Kaffee trinken“. Berenica holte aus und gab dem Kerl eine Backpfeife.

Nun funkelten ihre Augen wirklich wie Sterne. Und obwohl ihre Hand schmerzte, begann sie zu lächeln. Was war nur mit ihr geschehen, sie kannte sich selbst kaum wieder. Berenica hatte zwar keine Ahnung, was diese Wahrsagerin mit ihr gemacht hatte, aber wenn sie wirklich diese Veränderung bewirkt hatte, dann hätte sie 2000 Euro verdient.