Beruflich bin ich viel im Auto unterwegs und manchmal zwischendurch brauche ich einfach ein bisschen Bewegung. Dann halte ich irgendwo an, wo es schön und friedlich aussieht, und drehe eine Runde durch einen Park oder über das Feld. Vor einiger Zeit führte mich mein Weg durch den Reinhardswald, einen großen Staatsforst in Nordhessen, in dem viele Eichen stehen aber auch einiges Nadelgehölz. Angelockt von einem wunderbar lichten Nadelwald und der Nachmittagssonne, hielt ich kurzentschlossen auf einem Waldparkplatz an und machte mich auf einen kleinen Spaziergang.
Es gab fast kein Unterholz in diesem Kiefernwald, also ließ ich mich nach einer Weile verleiten den breiten Weg zu verlassen und einfach in den Wald hinein zu gehen. Es war etwas schattig da unter den immergrünen Kiefern. Ihre Stämme waren glatt und hoch, die Kronen konnte ich nur sehen, wenn ich meinen Kopf in den Nacken legte. Je tiefer ich in den Wald kam, umso lauter knarzten und knackten die Bäume, manche Stämme bogen sich leicht im Wind. Ich legte meine Hand an die Rinde eines besonders mächtigen Stammes und fühlte ihn zittern und beben.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar nicht auf meine Füße geachtet hatte. Ich drehte mich um und sah, dass hinter mir nur Nadelwald lag, licht und schön, aber dennoch kein Weg weit und breit, weder hinter mir, noch rechts, noch links, noch geradeaus. Mir fröstelte plötzlich, die Bäume knackten jetzt ein bisschen lauter.
„Nur nicht die Nerven verlieren“, sagte ich mir selbst. „Du bist in diesen Wald hineingekommen, Du wirst auch wieder hinausfinden.“
Auf keinen Fall aber wollte ich den Weg zurückgehen, den ich gekommen war. Erstens war ich mir nicht sicher, der Wald sah überall gleich aus. Zweitens hasse ich es, den gleichen Weg zwei Mal zu laufen. Ich war von jeher eine Freundin von Rundwegen. Also ging ich rund.
„Aber ohje“, fragte ich mich bei jedem zweiten Schritt, „würde ich jemals ankommen? Kann ich in einem deutschen Forst einfach verloren gehen, verhungern und verdursten?“
Ich wurde etwas langsamer.
„Ach, nein“, machte ich mir Mut, „Du wirst den richtigen Weg schon finden. Hab einfach Vertrauen, in Dich selbst und Dein Schicksal. Das sieht bestimmt nicht vor, dass Du im Reinhardswald verreckst.“
So schritt ich wieder forscher aus.
„Hatte ich nicht letztens in der Zeitung gelesen, dass ein Forstarbeiter im Wald erstochen aufgefunden wurde. Was, wenn sich hier ein Irrer rumtreibt?“
Wieder zögerte ich und blickte ängstlich um mich, lauschte, ob sich jemand Unbekanntes näherte.
„Reg‘ Dich ab, das war doch eine Beziehungstat, die haben den Täter doch längst“, sprach ich mir wieder Mut zu.
„Aber Wildschweine, die sind doch gewiss gefährlich!“ „Nein, nein, die lieben den Eichenwald und halten sich dort auf.“
Merkwürdigerweise trat ich genau in dem Moment, als ich endgültig aufgeben wollte, mit einem letzten Schritt aus dem Wald und stand direkt vor meinem Auto auf dem Waldparkplatz.