Rita schlenderte die Goethestraße entlang. Endlich frei! Was sollte sie mit diesem wunderschönen Sommertag anfangen? Vielleicht im Park einen ausgedehnten Spaziergang und danach ein Eis bei „da Carlo“, den gehetzten Menschen zuschauen, den quengeligen Kindern, den gestressten Müttern. Und sie hatte heute alle Zeit der Welt.
„Hey, Rita, wie geht’s denn so? Lange nicht gesehen!“
Rita drehte sich um. Die Stimme kam ihr doch bekannt vor. Schon sah sie Georg über die Straße zwischen zwei Autos hindurch auf sie zulaufen. Oh, nein ausgerechnet Georg. Rita zwang sich zu einem Lächeln.
„Hi!“
„Gut siehst du aus!“ Georg grinste sie breit an.
Rita konnte dieses Kompliment nun wirklich nicht erwidern. Georg hatte sich völlig verändert. Sein Gesicht aufgedunsen und auch sonst wirkte er moppeliger als früher. Dabei war er auch in der Oberstufe schon keine Schönheit gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an seine stillen aber ausdauernden Annäherungsversuche.
Er kapierte einfach nicht, dass sie ihn zum Kotzen fand. Einfach unausstehlich. Widerlich. Und jetzt schaute er schon wieder so.
„Mensch, dass wir uns mal wiedersehen! Bist du immer noch mit diesem Dings, dem Anwalt zusammen?“
Rita runzelte die Stirn.
„Bastian meinst du? Nein, nein.“
Um Gottes willen! Georg erinnerte sich noch an den! Das war doch mindestens 15 Jahre her. Wie kam er darauf, dass sie immer noch mit diesem Totalversager zusammen war?
„Und, was treibst du so?“
„Och“, sagte sie.
Was konnte sie erzählen? Bloß nichts sagen, aus dem Georg Rückschlüsse auf ihren Arbeitsplatz oder Wohnort ziehen konnte. Der fing wieder an mit albernen Geschenken und schmalzigen Briefen!
„Ich bin jetzt beim Fernsehen“, platzte Georg heraus, „kleiner Privatsender, aber voll seriös. Nicht so Spiele, richtig Moderation!“
„Schön, gratuliere.“
Rita rang sich ein Lächeln ab. Das passte zu Georg, vor 15 Jahren hatte er rumgesponnen mal den Gottschalk abzulösen. Große Samstagabendshow. Klar! Was war falsch mit ihr, dass solche Totalversager auf sie abfuhren? Sie schaute auf ihre Armbanduhr.
„Du, war nett. Hab’s leider eilig!“ Seitdem ich dich Hirni getroffen habe, ergänzte sie bei sich und lächelte wieder gequält.
„Oh, ja klar“, sagte Georg, „toll, dass wir uns mal getroffen haben!“
„Ja, wirklich toll.“ Warum merkte er nicht, dass sie diese Begegnung alles andere als toll fand? Sie wandte sich halb zum Gehen.
„Will dich nicht aufhalten.“ Und warum laberte er dann weiter?
„Mach’s gut. Viel Erfolg noch mit deiner Sendung“. Mühsam hielt sie die Maske der Höflichkeit aufrecht. Drei Meter hatte sie schon zwischen sich und ihn gebracht.
„Ja, Tschüß dann, hab’ auch noch n Termin!“, rief er.
Wer’s glaubt, wird selig!
Rita schlenkerte unbestimmt mit der rechten Hand in der Luft, lächelte ein letztes Mal wie aufgezogen und ging mit eiligen Schritten davon.
Als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie, wie Georg ihr nachblickte, die Hand immer noch zum Abschiedsgruß erhoben.