12. Juli – Die Fee im Garten

Eine kleine Fee flog gemütlich durch den Garten, an den Apfelbäumen vorbei, kreiste einen Moment über dem Holunderbusch und ließ sich dann auf einem abgesägten Baumstamm nieder. Diesen Garten hier fand sie nett, weil er ein bisschen verwildert und voller Bäume, Büsche und Blumen war. Nicht so wie in den umliegenden Gärten, wo die Beete abgezirkelt und die Möhren und Bohnen in Reih‘ und Glied standen. Sogar die Blumen mussten alle gleich aussehen.

Nein, da summte die kleine Fee lieber in diesem schönen verwunschenen Garten herum. Früher war manchmal eine alte Frau aus dem Haus gekommen und hatte im Garten gearbeitet. Aber immer hatte sie darauf geachtet, dass der verwilderte Charme nicht verloren ging.

Aber heute war etwas anders, das Haus lag wie verlassen da. Im Garten brummten und summten die Hummeln und Bienen. Ein Zaunkönig sang sein eintöniges Lied, als wäre alles wie immer. Und doch spürte die kleine Fee, dass etwas nicht stimmte.
Bald würde der Garten brach liegen, die alte Frau würde nicht mehr wiederkommen. Und die kleine Fee wird einen neuen verwunschenen Platz suchen müssen.

10. Juli – Das Mädchen unter dem Tisch

„Was treibst du dich hier herum?“ Franz reagierte wütend, als er das kleine Mädchen unter dem Tisch entdeckte, als er gerade die Stühle hochzustellen begann. Es war spät, Sperrstunde vorbei. Die letzten Gäste hatte er gerade hinausgescheucht, die Tische abgeräumt und abgewischt. Dabei war er so müde. Und morgen früh hieß es schon wieder um fünf Uhr auf dem Großmarkt einkaufen. Und dann das! Ein Kind unter dem Tisch.

Sie wischte sich die Augen. Franz wusste nicht, ob das Mädchen geweint oder geschlafen hatte, aber ihre Augen waren verquollen. Ängstlich zuckte sie zurück, als er unter dem Tisch nach ihr greifen wollte.

„Na, ich tu dir schon nichts“, knurrte er. „Wie heißt du überhaupt?“ Das Mädchen schaute ihn misstrauisch an.

„Eva“, piepste sie schließlich.

„Ich heiße Franz. Und jetzt komm schon raus! Ein alter Mann wie ich sollte sich nicht so lange bücken müssen.“

Vorsichtig schob sich Eva seitlich unter dem Tisch hervor und stand auf. Sie strich ihre Bluse glatt.

„Schon besser“, sagte Franz. „Kannst mir mal helfen die Stühle hochstellen!“

Das ließ sich Eva nicht zweimal sagen. Eifrig half sie dabei und kaum drei Minuten später war schon alles erledigt.

„So“, sagte Franz und packte seine Sachen zusammen „dann fahr ich dich noch eben nach Hause.“

Erschrocken schaute Eva ihn an, dann ein schneller Blick zur Tür.

„Nein!“

„Aber was zur Hölle…“, begann Franz und verstummte.

So groß und ängstlich konnten Kinderaugen aussehen. Eva zog sich in sich zusammen, als wäre sie eine Schnecke, der das Haus abhandengekommen war. Franz schüttelte den Kopf. Wer tat Kindern sowas an?

„Hör mal“, sagte er, du kannst auch hier übernachten. Hinten gibt’s ein Sofa.“

Er führte sie in den kleinen Flur hinter der Küche. Dort stand sein altes, abgewetztes Sofa, wo er ab und zu ein Mittagsschläfchen machte. Es lohnte ja nicht, um drei Uhr nachmittags für die paar Stunden bis zum Abendbetrieb in seine Wohnung zu fahren. Er kramte eine Decke aus dem Dielenschrank. Eva beobachtete ihn misstrauisch.

„Magst was trinken oder essen?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Er stellte ihr trotzdem eine Flasche Apfelsaft hin und machte schnell ein belegtes Brot für das Mädchen. Sie beobachtete ihn genau, bei jedem Handgriff. Als er ihr den Teller hinstellte, setzte sie sich vorsichtig auf die Ecke des Sofas.

„Ich schließe ab. Morgen früh bin ich aber wieder hier und lass dich raus. Geht leider nicht anders“, fügte er bedauernd hinzu.

Am nächsten Morgen fuhr Franz wie jeden Tag zum Großmarkt. Gegen Sieben kam er in seiner Gaststätte an und schloss die Hintertür auf. Eva war verschwunden. Als er nachschaute, stand das Toilettenfenster offen.

Die Decke hatte sie ordentlich zusammengefaltet. Dann schaute er nach. Die 20 Euro, die er extra im großen Portemonnaie hatte liegen lassen, hatte sie nicht mitgenommen. Auch sonst fehlte nichts.

„Armes Kind“, dachte er. „Hoffentlich schaffst du’s!“

Dann räumte er die Waren in den Kühlraum.

9. Juli – Cecilia

Cecilia blieb als Letzte übrig, wie immer. Keine ihrer Schulkameradinnen wollte sie in ihrer Völkerballmannschaft haben. Dafür war Cecilia einfach zu ungeschickt. Nie schaffte sie es, den Ball zu fangen, wenn sie doch mal eine Mitspielerin anspielte und außerdem war sie so langsam, dass sie praktisch sofort getroffen wurde und das war es dann. Sie schaffte es nie zurück ins Spiel. Und auch heute war es wieder so.

Die anderen spielten, sie strengten sich an, sie lachten und hatten Spaß. Und Cecilia saß in der Hölle fest. Auch als andere Spielerinnen dazukamen, beachteten die Cecilia nicht. Schließlich war sie einfach zu merkwürdig. Später dann im Mathematikunterricht saß Cecilia still in der dritten Reihe. Niemals meldete sie sich. Sie zitterte davor, dass der Lehrer sie aufrufen könnte. Aber meistens hatte sie Glück. Der Lehrer nahm dann nur die dran, die sich meldeten. Und die glänzten und wussten die Antworten. Alle anderen waren eben einfach schlauer als Cecilia. So war das den ganzen Tag.

Nur im Kunstunterricht da geschah plötzlich etwas Unerwartetes. Die Lehrerin befahl den Mädchen, ihren rechten Schuh auszuziehen und vor sich auf den Tisch zu stellen. Den Schuh sollten die Mädchen zeichnen. Eifrig packten sie Papier und Bleistifte aus und strichelten los. Cecilia beugte sich besonders tief über ihr Blatt. Nur kurze Blicke warf sie auf den Schuh vor sich. Mit sicheren Bewegungen ihrer Hand warf sie die Konturen des Schuhs aufs Papier und arbeitete die dunkle Lederoberfläche, das silbrige Glänzen der Schnalle, die dunklen Falten im Leder, den leicht schiefen Absatz, die abgewetzte Stelle an der Ferse mit Licht und Schatten heraus.

So eifrig war sie bei der Sache, dass Cecilia sogar das Klingeln überhörte. Erst als sie die anderen Mädchen die Stühle an die Plätze rücken sah. Und eine nach der anderen mit ihrer Schultasche über der Schulter der Lehrerin ihr Werk abgab, da merkte sie, dass die Doppelstunde zu Ende war. In der Aufregung vergaß Cecilia, ihren Namen auf das Papier zu schreiben. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und legte ihren Schuh beim Hinausgehen auf den Stapel mit Zeichnungen.

In der nächsten Kunststunde gab die Lehrerin die benoteten Zeichnungen zurück. Eine Zeichnung, sagte sie, habe ihr besonders gefallen. Sie sei mit außerordentlich sicherem Strich gezeichnet und zeige das wahre Wesen des Schuhs. Dies sei schließlich das Ziel der Kunst, das wahre Wesen der Welt einzufangen, das ja für jeden anders und besonders sei. Das verlange einen sehr genauen Blick und die Fähigkeit die Wirklichkeit zu durchdringen. Und sie freue sich, dass sie eine so begabte Künstlerin in der Klasse habe. Leider habe die aber vergessen, ihren Namen auf das Blatt zu schreiben. Und dies sei das Bild. Die Lehrerin hob Cecilias Zeichnung hoch. Die Mädchen schauten ehrfürchtig auf die Zeichnung, die dermaßen von der Lehrerin geadelt wurde.

„Du kannst dich ruhig melden“, sagte die Lehrerin in die Klasse hinein.
Wen sah sie denn bloß an? Die Mädchen blickten sich gegenseitig an, welche von ihnen denn nun diesen sagenhaft realistischen Schuh zu zeichnen in der Lage gewesen war, diesen Schuh, der das Wesen aller Schuhe abbildete, den Schuh, der die Wirklichkeit durchdrang. Suchend irrten ihre Blicke. Keiner traf Cecilia. Die langweilige Cecilia, die konnte ja nichts. Die war doch nur merkwürdig und still und zu nichts zu gebrauchen.

Aber plötzlich ging die Lehrerin gerade auf diese Cecilia zu, legte das Blatt vor sie hin und sagte: „Wirklich hervorragende Arbeit, eine Eins plus! Denk das nächste Mal ans Signieren.“

Die Lehrerin lächelte sie freundlich an. Cecilias Gesicht erstrahlte glutrot, automatisch senkte sie den Blick. Da sah sie ihren Schuh auf dem weißen Papier. Den hatte sie gezeichnet. Sie und keine andere. Sie hatte die beste Zeichnung abgeliefert.

Da hob sie den Kopf und schaute das erste Mal seit langer Zeit ihren Mitschülerinnen in die Augen.

1. Juli – Heute nur die Wahrheit

„Wird aber Zeit, dass du kommst! Ich warte schon fast ne halbe Stunde!“, rufe ich schlechtgelaunt, als die Geschichte des Tages nach Atem ringend und schweißgebadet um die Ecke kommt.

„Ging nicht eher. Du glaubst nicht, was mir passiert ist!“, ruft sie.
Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen hoch, dass meine Stirn Falten wirft. Was kommt jetzt wohl wieder für eine Ausrede. Ich kenne das ja schon.

„Die Muse kam zu spät und wollte mich nicht küssen“, oder: „Der Bus war schon weg“, oder, am tollsten: „Meine Oma war zu Besuch. Konnte die alte Dame ja schlecht rauswerfen“. Ich wette, dass diese Geschichten gar keine Großeltern haben! Fast immer aber höre ich den Klassiker: „Ich hab’ verschlafen“.

Das ist nämlich ein ganz schön faules Gesindel, diese Erzählungen und Kurzgeschichten. Gedichte sollen noch schlimmer sein. Die sitzen oft in der Ecke und weinen. Dann kommen die gar nicht, gleichgültig wie sehr so eine arme Autorin wie ich dann bittelt und bettelt.

„Nun?“, sage ich, weil die Geschichte immer noch pustend und nach Atem ringend vor mir steht.

„Ich bin ausgeraubt worden!“, stößt sie hervor.

„Ach was!“, sage ich und werde langsam sauer. „Mit anderen Worten, es ist nichts da. Nur leere Seiten. Überhaupt nichts dran an dir, liebe Geschichte. Kommst extra angerannt und dann, kein Held, kein Konflikt, keine Erlösung, noch nicht einmal ein Apfelbaum mit wurmstichigen Äpfeln. Nichts. Kommst einfach so blanko, eine halbe Stunde zu spät. Und alles, was ich zu hören bekomme, ist: ‚Ich bin ausgeraubt worden’?“

Die Geschichte läuft knallrot an. „Aber ehrlich, ganz wirklich“, stammelt sie, „Da kam plötzlich so ein maskierter Kerl, zwei Meter groß, schwarzhaarig und mit einer Pistole! Der rief: ‚Buchstaben her oder ich knall dich ab’. Was hättest du denn da gemacht?“

„Das soll ich dir glauben? Für eine Geschichte ist das aber eine ziemlich dünne Vorstellung. Etwas mehr Phantasie hätte ich schon von dir erwartet“.

Wir stehen einander gegenüber und schauen uns in die Augen. Die Geschichte senkt zuerst den Blick und sagt:„Nun ja, ist ja auch egal. Es sind jedenfalls keine Buchstaben da, also auch keine Geschichte für heute. Und ich muss jetzt auch ganz schnell weg, meine Oma wollte noch vorbeikommen!“

Schon dreht sich die Geschichte um und rennt davon. Nur ein paar übriggebliebene Satzzeichen fliegen noch durch die Luft und sinken langsam zu Boden.

Was bleibt mir also anderes, als Euch heute diese völlig wahre Begebenheit zu berichten?

30. Juni – Der Schlüssel

Es war einmal ein armes Mädchen, das hatte keine Eltern mehr, keine Geschwister und kein Zuhause. Es besaß nicht mehr als die Kleider auf dem Leibe und einen großen, metallenen Schlüssel. Aber niemand wusste, an welches Schloss er passte, auch das Mädchen nicht. Das Mädchen wusste nur, dass es unbedingt das Schloss finden musste.

Also ging es tagein tagaus durch Dörfer und Städte, durch Wälder und Felder, über Berge und durch Flüsse. Überall, wo das Mädchen ein Schloss fand, probierte es den Schlüssel. Aber nirgendwo passte er. Nachdem es schließlich ein Jahr und ein halbes so gegangen war, setzte es sich erschöpft nieder auf einen Stein am Wegesrand und überlegte, was es weiter tun sollte. Seine Kleider waren inzwischen zerschlissen, die Schuhsohlen waren durchlöchert und hungrig war das Mädchen auch ständig, denn es ernährte sich nur von den milden Gaben der Menschen und den Beeren und Früchten am Wegesrand.

Vielleicht sollte es lieber aufgeben. Den Schlüssel einfach wegwerfen. Wie viel Millionen Schlösser gab es auf der Welt, in die dieser Schlüssel vielleicht passen mochte? Wie lange sollte es dauern diese alle zu erreichen? Und vielleicht verbarg sich hinter der Tür, in der Truhe oder wo der Schlüssel sonst Einlass bieten mochte, etwas völlig Nutzloses oder Gefährliches.

Da kam ein altes Weiblein mit einem großen Bündel Reisig auf dem Rücken den Weg entlang. Die Alte trug so schwer an dem Bündel, dass sie dem Mädchen leidtat. Also bot es an, das Bündel für sie nach Hause zu tragen. Die Frau bedankte sich, lud flugs dem Mädchen das schwere Bündel auf und ging in so schnellem Tempo voran, dass das Mädchen sich sputen musste, um sie einzuholen.

Die Alte führte das Mädchen in den dunklen Wald, der schmale Pfad war im Dickicht kaum sichtbar. Und das Mädchen, schwer gebeugt unter der Last, stolperte häufig über Wurzeln und Äste. Nach einer Weile aber teilte sich der Wald und auf einer großen Lichtung mitten im Wald stand ein großes herrschaftliches Haus mit einem Turm an der linken Seite.

Als das Mädchen diesen Turm sah, durchfuhr sie plötzlich ein Schauer. Eine große Tür mit einem großen Türschloss blickte sie an. Es war, als zuckte der Schlüssel in ihrer Tasche, weil er nun endlich das Schloss gefunden hatte, zu dem er passte. Eilig warf das Mädchen das Bündel nieder, wo die Alte hindeutete. Dann entschuldigte es sich kurz und eilte zum Turm.

Mit zitternden Fingern zog das Mädchen den Schlüssel hervor. Vorsichtig näherte es den Schlüssel dem Schloss. Er passte. Mit einem satten Ton ließ er sich drehen. Das Mädchen hörte ein Klacken. Voller Ehrfurcht drückte sie die Klinke hinunter und die Tür schwang auf.
In dem Turm erwartete sie ein behagliches Wohnzimmer, der Kamin brannte, eine Kanne mit dampfendem Tee stand auf dem Tisch und der gute Duft von frisch geröstetem Toastbrot drang dem Mädchen in die Nase.

Zögernd trat das Mädchen ein. Sie wagte kaum, etwas zu berühren. Voller Ehrfurcht betrachtete sie die hohen Bücherregale an den Wänden, die Gemälde, Teppiche, Möbel und Lampen. Linker Hand führte eine Treppe in das nächste Stockwerk. Dort gab es eine Küche. Auch dort war alles ordentlich und frisch, als hätte gerade jemand den Raum verlassen.
Also stieg das Mädchen noch eine Etage höher. Dort fand sie das Schlafzimmer. Ein großes Bett mit Baldachin, eine schwere Truhe mit Kleidung. Die schienen alle die Größe des Mädchens zu haben. Verwirrt schaute sich das Mädchen um. Plötzlich stand die alte Frau im Zimmer.

„Wem gehört das hier alles?“, fragte das Mädchen.

„Dir. natürlich“, sagte die Alte. „Du hast den Schlüssel“.

„Aber“, stammelte das Mädchen.

Da schüttelte die Alte den Kopf. „Weißt du denn nicht, dass alles für dich bereitet ist und nur auf dich wartet? Wo warst du solange?“

„Ich wusste doch nicht, wo der Schlüssel passt. Ich habe gesucht.“

Da schüttelte die Alte noch einmal den Kopf. „Na, jetzt bist du ja da!“

27. Juni – Nachmittag bei Daphne

Daphne strich sich das Haar zurück. Wie hingeworfen lag sie auf der Ottomane, ein fliederfarbenes Kleid floss um ihren Leib. Üppig wogten ihre Brüste, als sie das Champagnerglas vom Beistelltisch aufnahm.

Mit einem tiefen Zug genoss sie das perlende Gesöff. Ein wohliger Seufzer entfuhr ihr. Daphne liebte ihren freien Nachmittag. Natürlich, sie war privilegiert. Nicht jede konnte sich so einen freien Nachmittag leisten und noch weniger hatten den Genuss, dazu ihre Freundinnen einzuladen. Als erste kam Monika.

„Liebes“, brüllte sie bereits von der Tür aus. Daphne richtete sich halb auf.
„Lass doch, lass. Ich komme zu Dir!“

Die beiden Freundinnen tauschten Küsschen auf die Wange.

„Auch ein Gläschen?“ Monika nickte voller Begeisterung und nahm eine Schale entgegen. Einen Augenblick genossen die Damen das prickelnde Vergnügen. Schon standen Anna und Barbara im Raum.

„Hallo! Hallo!“

„Ach, wie schön“ Küsschen, Küsschen, Schmatz, Schmatz.

Als auch die hinzugekommenen Damen mit Alkohol versorgt waren, konnte es endlich losgehen. Das Ratschen. Über die Männer herziehen.

„Was macht denn deiner gerade?“

„Ach ja, ist der Aufsichtsratsvorsitzende von so einem DAX-Unternehmen. Bildet sich ordentlich was drauf ein.“

Die Damen lachen.

„Einfach putzig diese Kerle. Nehmen sich wegen so einem unwichtigen Kram wichtig. Es geht doch da nur um bedruckte Scheinchen. Nein, schlimmer, nur codierte Zahlen aus ordentlich vielen Nullen und Einsen.“

„Meiner hat endlich seine mütterliche Seite entdeckt!“

„Ach wie schön!“, rufen die übrigen Damen.

„Ja, er kümmert sich heute um die Kinder. Aber ich fürchte, es liegt nur an der neuen Modelleisenbahn.“

Wieder lachen die Damen.

„Meiner ist heute ins Kloster abgereist. Schweigeseminar!“

„Och!“, rufen die Damen.

„Meinst du, er hat eine Chance?“

„Er weiß aber, dass nur Frauen Erleuchtung erreichen können.“

„Vielleicht schafft er es ja im nächsten Leben!“

Seid doch nicht so chauvinistisch!“

„Wieso? Mit Männern ist eben nichts anzufangen. Die wissen einfach nicht, worum es im Leben geht.“

„Um was? Um Champagner?“

„Sei doch nicht so albern!“

„Ja, ja, ich weiß, es geht um…“, alle Damen im Chor „…Liebe! LIEBE!“

25. Juni – Schweigen rettet Ehe

Heute habe ich in der Zeitung gelesen: Italienisches Ehepaar gesteht: Seit 48 Jahren kein Wort miteinander gesprochen!

Sofort fragte ich mich, wie soll das möglich sein? Aber dann wurde mir klar, Eheleute benötigen lediglich einen ganzen Stall voller Bambini. Und die beiden hatten verbriefte sieben Nachkommen und noch zahlreichere Enkelkinder. Denen wird erzählt, was der Partner hören soll. Ein direktes Gespräch ist überhaupt nicht notwendig.

Es wirkt beim ersten Lesen barbarisch, ist aber wahrscheinlich eine sehr wirksame Möglichkeit mit seinem ärgsten Feind in Harmonie zu leben. Natürlich bis zu dem Augenblick, wo einer der beiden Ehepartner durchdreht und den anderen mit der Axt erschlägt. Oder bis zu dem Moment, wo einer unbedingt reden muss. Es einfach nicht mehr aushält und die direkte Rede nach Jahrzehnten wieder an den Partner richtet.

„Alle haben uns für ein glückliches Paar gehalten!“, wurde die Ehefrau zitiert. Das sagte sie natürlich dem Reporter.

Und der Ehemann ergänzte: „Nicht miteinander zu reden, hat unsere Ehe gerettet.“

Oh je, was für eine Nachricht! Was sollen die Heerscharen von Eheberatern und Paartherapeuten nun tun. Nehmt Eure Diplome von der Wand! Reden ist out. Völlig überflüssig. Wer nicht redet, streitet nicht. Wer nicht miteinander spricht, rettet die abendländische Kultur, zumindest die Familienkultur.

Nur eine Frage wurde wirklich nicht geklärt, wie macht man die vielen Bambinis, wenn man nicht miteinander redet? Das ist doch wirklich fremdartig, oder?

So ein Blödsinn, werdet Ihr sagen, das ist doch erfunden!

Stimmt! Wahrscheinlich sogar von mir.

6. Juni – Sängerwettstreit

Sabine schnürt die festen Schuhe und schleicht sich am frühen Morgen aus dem Haus. Mann und Kinder schlafen. Endlich aufatmen, ein bisschen gestohlene Zeit nur für sie allein.

Hinter dem Haus überquert sie eine frisch gemähte Wiese und läuft über die Feldwege Richtung Wald. Obwohl es so früh ist, wärmt die Sonne sie. Und Sabine ist froh, dass sie Sonnencreme auf Gesicht und Arme aufgetragen hat. Im Schatten des Waldes ist es noch kühl. Und die Vögel singen lauthals um die Wette.

In weiter Entfernung hört Sabine ein „Schuhuhuuuhuuu“, zwei Mal. Aber dann wird es vom Pfeifen und Tirilieren und Jubeln aus allen Richtungen übertönt. Was gäbe Sabine darum, wenn sie die Vögel verstünde.

Vielleicht rufen sie sich zu: „Schaut mal eine Menschenfrau! Was will die so früh hier? Warum stört sie uns? Wer traut sich, ihr auf den Kopf zu scheißen?“

Aber vermutlich, überlegt Sabine, kümmern die Vögel sich kein bisschen um mich.
Sie pfeifen und singen, weil das Leben in ihnen einen Druckausgleich sucht wie bei einem Dampfdrucktopf, weil das Leben immer einen Ausdruck sucht.

Und voller Inbrunst stimmt Sabine ein.