16. Januar – Nach Hause

Eines Abends kam ich wie gewöhnlich von der Arbeit nach Hause, hängte meine Schildmütze an den Haken, zog die schweren Arbeitsstiefel aus und wunderte mich über den merkwürdigen, heulenden Lärm, der aus der Küche drang.

Also öffnete ich die Küchentür und schaute nach. Meine Frau hatte gerade die Teekanne in der Hand, um meinem Vater Tee einzugießen. Ihr Gesicht sah verweint aus, die Augen gerötet, die Wangen ganz verquollen.

Meine Kinder saßen um den Tisch, ließen die Köpfe hängen, die Kleinste schniefte leise. Sogar mein Ältester hatte ganz verweinte Augen. Mein alter Vater saß mit dem Rücken zur Tür und sah mich nicht, unsere Nachbarin, die alte Schmidt stand neben dem Herd und knetete ihren Rosenkranz. Ich wunderte mich sehr. Mir kam es fast so vor, als müsse jemand gestorben sein, nur fehlte keiner. Sogar die Katze saß auf dem Fensterbrett und putzte sich das Fell.

Immer noch hatte mich keiner bemerkt. Ich räusperte mich und fragte leise: „Ist jemand gestorben!“ Meine Frau blickte auf, ließ die Teekanne fallen. Die traf zuerst die gerade gefüllte Tasse am Rand, so dass sie im weiten Bogen den Tee über den Tisch spie und dann Richtung Tischkante sprang. Dann knallte die Kanne auf die Untertasse und zersprang in tausend Stücke. Der Tee spritzte in alle Richtungen.

Mein Vater fuhr mitsamt dem Stuhl ein Stück nach hinten und stieß mich dabei fast um. Meine Frau hingegen streckte mit einem Blick voller Entsetzen die Hand aus und deutete mit ihrem ausgestreckten Zeigefinger auf mich. Ein ersticktes Gurgeln kam aus ihrer Kehle, dann wurde sie ganz weiß und kippte einfach um. Mit einem lauten Krachen landete sie hart auf dem Boden. Ich wollte schnellstens zu ihr, aber mein Vater saß im Weg. Er versuchte noch, seine mit heißem Tee durchnässten Hosenbeine vom Körper fernzuhalten und drehte sich endlich zu mir um.

„Mach Platz“, rief ich. Aber mein Vater wurde ebenfalls blass, seine Kinnlade sank so weit hinab, dass ich befürchtete, sein Gebiss würde mir entgegenspringen. Gleichzeitig hörte ich meine Kinder hilflos wimmern. Mein Vater sprang plötzlich auf, packte den Stuhl an der Lehne und brachte ihn zwischen sich und mich.

„Jesus, keuchte er mühsam und richtete die linke Hand mit ausgestrecktem kleinen und Zeigefinger auf mich. Die Nachbarin brach lauthals in ein „Vater unser“ aus.
Nur meine Jüngste begriff, krabbelte von der Bank einfach unter dem Tisch durch, rannte zu mir und umarmte mich ganz fest.

„Mama, Mama, Papa ist wieder da, Mama, guck doch. Papa ist wieder da.“

9. August – Spaß

„Das macht mir aber keinen Spaß! Das mache ich nicht!“

„Spaß! Wenn du älter wirst, merkst du dann schon, dass es im Leben nicht immer nur nach dem Spaß geht!“

„Und warum?“

„Weil du schließlich von irgendetwas leben musst.“

„Ach und Geld verdienen darf keinen Spaß machen? Ich muss also unbedingt etwas tun, dass ich langweilig und blöd und sinnlos finde, sonst gibt mir keiner Geld dafür?“

„Genau! Oder meinst du es macht Leuten Spaß Autos zu reparieren oder die Steuererklärung zu machen?“

„Warum denn nicht? In der Schule gibt es doch massenweise Leute, die an Mathe Spaß haben oder am Werken.“

„Aber Kind, du hast die Vorstellung, dass es im späteren Leben immer so weiter geht. Sogar die Sachen, die dir Spaß machen, haben langweilige Seiten. Wenn du malst, musst du nachher die Pinsel auswaschen. Macht dir das etwa Spaß?“

„Mmh. Also nicht direkt Spaß. Aber ich mache es doch gerne, damit ich den Pinsel möglichst lange benutzen kann. Denn es macht mir Freude wie gut ich mit ihm malen kann.“

„Okay, aber was ist damit: essen macht dir Spaß, aber das Abwaschen hasst du. Spielen macht dir Spaß, aber hinterher aufräumen nicht.“

„Also für den Abwasch haben wir deshalb ja eine Maschine, weil es keinem von uns Spaß macht. Und mit dem Aufräumen ist das so: Wenn ich selber finde, es soll ordentlich sein, dann macht mir das Aufräumen nichts aus. Das ist dann fast schon wieder Spaß.“

„Ach, Kind, komm erst einmal in mein Alter, dann wirst du das genauso sehen wie ich.“

8. Juli – Positiv denken in der Katastrophe

Eines Tages stürzte Jens ins Labor und verkündete, dass es tatsächlich geschehen war. Die Katastrophe war eingetreten. Lange Jahre hatten wir alle gewarnt. Ständig hatten wir Lobby-Arbeit gemacht. Für den Klimaschutz, gegen die Regenwaldrodung, für fairen Handel, gegen Genfood.

Und nun war es passiert: Die ersten Toten nachweislich durch genetisch manipulierte Nahrung. Natürlich brodelte es seit langem. Aber bisher war es der Regierung, den Wirtschaftsvertretern immer gelungen den Deckel drauf zu halten.

Die Meldung verbreitete sich in sekundenschnelle um den Globus.
Diesmal war es nicht aufzuhalten. Es hatte fast alle Menschen auf einem Luxusdampfer erwischt, sämtliche Passagiere inklusive Mannschaft und Kapitän waren vergiftet worden, es hatten nur 16 Personen überlebt.

Nur mit Mühe konnten sie einen Hafen anlaufen, um sich dann in Quarantäne wiederzufinden. Zunächst wurde Vogelgrippe vermutet oder eine andere Viruserkrankung. Aber dann stellte sich heraus, dass das Fleisch von genmanipulierten Rindern die Ursache war.

Der Skandal offenbarte, dass weltweit bereits mehrere tausend Menschen an genau diesem veränderten Rindfleisch draufgegangen waren. Es entwickelte sich eine Art gallopierender Creutzfeld-Jakob-Variante. Die 16 überlebenden Personen auf dem Dampfer aßen allesamt kein Rindfleisch. Das hatte sie gerettet.

Und wir? Unsere Organisation? Uns wurden nach dem Aufdecken dieses Skandals sämtliche Gelder gestrichen.

Diese Rumstänkerei müsse aufhören, haben die Leute gesagt. Wir würden dieses ganze Unglück doch geradezu herbeireden. Wenn wir endlich aufhören würden immer die ganzen Missstände zu erfinden, dann wäre die Welt wieder in Ordnung. Alle wären glücklich. Und die Zukunft könne sowieso keiner aufhalten.

Wir sollten lieber lernen, positiv zu denken, das würde allen helfen.