14. Oktober – Golo

Es war einmal eine Feldmaus mit Namen Golo. Die hatte eine sehr, sehr große Familie. Die lebte in einem großen Gangsystem unter der Brache am Dorfrand.

Das war ein herrliches Leben! Zwar kamen ab und zu Hunde vorbei und steckten ihre neugierigen Nasen in die Mauselöcher. Manche von ihnen buddelten auch. Aber die Mäuse lachten nur und flitzten durch die vielen Tunnel und Gänge davon.

Golo war die vorwitzigste von den Mäusen. Einmal hatte er sogar einem Kater am Schwanz gezogen, der geduldig vor einem Mauseloch ausharrte. Golo war einfach durch die Gänge gelaufen, hinter dem Kater aus einem verborgenen Mauseloch gekrochen und hatte sich hinterrücks angeschlichen.

Aber eines Tages geschah etwas Ungeheuerliches, etwas Unglaubliches. Ein riesiges Monstrum näherte sich dem großen, brach liegenden Feld. Das Monster war grün und hatte an den Seiten große Räder und hinter sich her zog es ein furchteinflößendes, spitzes Gerät. Das sah aus wie eine überdimensionierte Grabgabel. Und genau das war es auch.

Golo war der Einzige, der zurückblieb, als die übrigen Mäuse in alle Himmelsrichtungen davon hetzten. Mühsam hatte er es bis zu einem kleinen Erdhügel am Feldrand geschafft und schaute zu, was geschah.

Mit ungeheurer Kraft und unaufhaltsamer Geradlinigkeit fuhr das Monstrum die breite Grabgabel gesenkt über die Megacity der Mäuse und grub sie Bahn für Bahn gnadenlos um. Die schönen Tunnel, die wunderbaren Kuschelhöhlen, die Futtergruben – alles wurde einfach von unten nach oben gekehrt. Zerstört.

Golo weinte, als er das sah. In diesem Augenblick schwor er die Stadt wieder aufzubauen. So wahr er hier auf dem Erdhügel stand, würde er Golo, die Stadt der Mäuse wieder errichten und zu ihrer alten Größe führen.

Wenig später fraß ihn der Kater, den er am Schwanz gezogen hatte. Nur Golos Leber ließ er liegen. Die schmeckte ihm nicht.

13. Oktober – Sehnsucht

Woher kommt diese Sehnsucht?

Woher kommt diese Unzufriedenheit?

Besonders bei Menschen, die alles zu haben scheinen.

Bei Menschen, die keine Sorgen kennen.

Und doch gibt es immer etwas, das fehlt.

Dieser Glücksmoment lässt sich nicht konservieren. Wie schön die Sonne auch strahlt, wie wunderbar die Sterne funkeln, wie nah ein geliebter Mensch auch ist.

Der Moment vergeht und übrig bleibt, was fehlt. Was uns zieht und drängt, uns in Bewegung hält.

Auch das ein großes Glück oder einfach nur Leben?

12. Oktober – Herbst

Wenn die Erde sich auf ihrer Reise durchs All mit der nördlichen Halbkugel von der Sonne fort neigt, wird es Herbst. Falls wir sie überhaupt zu Gesicht bekommen, zieht die Sonne nur noch in einer flachen Bahn über den Horizont und wirft vor allem lange Schatten.

Jedes kleinste Hindernis, ein kleiner Hügel oder ein mehrstöckiges Haus entscheiden darüber, ob die Oktobersonne noch in den Garten fällt oder ins Fenster scheint.

Nicht alle sind so glücklich wie ich. Auf dem Lande direkt am Feldrand wohnend zieht die Sonne fast den ganzen Tag an meinem unverbauten Blick vorbei. Scheint mir ins Fenster und sticht mir in die Augen, wenn ich nicht das Plissee herunterlasse. Welch ein Luxus so ein unverbauter Blick.

Dabei verdanke ich ihn nur dem Regionalflugplatz in ein paar hundert Meter Entfernung. Ich stamme aus der Großstadt – der Lärm hat mich niemals gestört – aber ständig umzingelt zu sein von hohen Häusern, gefangen in endlosen Schluchten, eingezwängt in stickigen U-Bahnen – das fand ich grässlich. Freiraum und Weitblick wollte ich immer schon lieber als keinen Lärm.

11. Oktober – Unterwasserblues

Kennt Ihr den Unterwasserblues, eine Besonderheit in der Tierwelt? Nein? Dann erzähle ich euch davon: Tief unter Wasser, im See, da ist es fast dunkel. Auf jeden Fall immer dämmrig und die kleinen Molche und Olme, die Libellenlarven und kleinen Fische mögen das grünlich schimmernde, fahle Licht dort am Boden am liebsten. Manchmal wühlen sie mit einer schnellen Bewegung etwas Schlick auf und der wölkt sich dann vom Boden in einer großen Glockenform nach oben.

Nur der alte Einsiedlerkrebs, der in einer alten Champignon-Dose I. Wahl lebt, ist schrecklich unglücklich. Er hat den Unterwasserblues. Das grünliche Licht schmerzt in seinen Augen. Ihm fehlen das Leben und die Buntheit der früheren Jahre. Zumindest bildet er sich ein, dass es mal bunt und lebendig war, hier in dem kleinen See. Aber vielleicht liegt es ja auch nur an ihm, dass er die Buntheit und die Lebendigkeit gar nicht mehr sehen kann, weil sie für ihn zu etwas Alltäglichem verkommen ist.

Und wenn die kleinen Fische und die Libellenlarven, die Molche und Olme ganz ehrlich sind, gibt es nur eines, was sie noch schöner finden als das dämmrige Licht und die schnellen Bewegungen, die den Schlick aufsteigen lassen, nämlich den traurigen Gesang des Einsiedlerkrebses.

Dann tanzen die Fische, da springen die Larven und die Molche und Olme wiegen sich im langsamen Takt der unglücklichen Lieder, die der Einsiedlerkrebs mit dem Klacken seiner Scheren begleitet. Sie alle sind sehr froh über die triste Weltsicht und die pessimistische Traurigkeit, die sich des Krebses bemächtig haben. Denn ohne sie wäre ihre Heimat, der Grund des Sees, nur halb so schön und ihr Leben nur halb so vergnüglich.

Trotz seiner Traurigkeit könnte der Krebs immerhin lernen, dass er auch ohne selbst Freude zu empfinden anderen Glück spenden kann.

9. Oktober – Ein Hase

Es war einmal ein Hase, der hatte derartig die Nase voll von dem täglichen Hasengeschäft: Mümmeln, Kohl fressen, vorm Jäger weglaufen und dem Fuchs „Gute Nacht“ sagen, dass er beschloss, nun einmal alles anders zu machen.

Also ließ er den Fuchs links liegen. Sollte dem doch wer weiß wer schöne Heia wünschen. Stattdessen sagte der Hase den Schnecken Gute Nacht und den kleinen Stallkatzen, die in der Dämmerung im Dornbusch am Feldrand übereinander kugelten. Dann hoppelte der Hase zum Waldrand und dort die Leiter zum Hochstand hinauf und wartete auf den Jäger.

Solange er wartete, freute er sich, wie schön die Sterne am Himmel funkeln. Er hörte den Jäger schon von weitem. Der Hase blieb ganz ruhig, nur seine Nase zuckte schneller als sonst. Er hasste diesen Kerl. Er fürchtete ihn, aber noch mehr hasste er ihn. Am liebsten hätte er ihm das angetan, was er so vielen seiner Freunde und Verwandten angetan hatte. Erschießen, abknallen, hinmeucheln! Gemein und feige aus dem Hinterhalt!

Nur dazu fehlte ihm das Werkzeug. Vielleicht war der Hase aber tief in seinem Herzen doch zu friedfertig, zu ängstlich, zu nachgiebig. Wild zuckte seine Nase, als er den Jäger auf die unterste Stufe der Leiter treten hörte. Ein paar Wolken zogen weiter und ließen einen silbrigen Streifen Mondlicht in das Innere des Hochsitzes fallen. Und alles warf lange, unheimliche Schatten.

So erblickte der Jäger völlig unerwartet einen großen, ins unendlich verlängerten Hasen, der ihn unerklärlicher und überraschender Weise auf seinem Hochstand erwartete. Die Zähne des Hasen glitzerten im Mondlicht wie gefährliche Diamantwerkzeuge.

Da erschrak sich der Jäger und fiel rücklings die Leiter hinab auf den Boden. Keuchend lag er dort, voller Panik den Blick nach oben gerichtet. Jeden Moment erwartete er, den schrecklichen Hasen mit seinen scharfen und mächtigen Hauern am Hals zu spüren.

Nichts geschah. Nur die gähnende, magische, undurchdringliche Dunkelheit starrte ihn von dort oben an. Da, etwas blitzte auf. Der Jäger rappelte sich auf und rannte Haken schlagend aus dem Wald.

Zufrieden schaute ihm der Hase nach. Das war doch wirklich mal etwas ganz anderes als das übliche Hasengeschäft gewesen. Nur das Mümmeln wollte der Hase noch nicht so recht sein lassen.

8. Oktober – Danach

Danach wird alles anders. Selbstverständlich besser. Natürlich besser! Jetzt reißen wir uns alle mal zusammen und kraxeln die letzten paar hundert Meter auf den Gipfel.

Und danach wird alles besser. Runter geht’s ja fast von alleine. Ist doch kein Problem. Das sich verschlechternde Wetter? Ach, nur nicht bange machen lassen von so ein bisschen Nebel, Schnee und Fallwinden. Jetzt sind wir einmal hier, da werden wir doch nicht klein beigeben. Ist doch auch nur ein Berg. Ein Felsbrocken in der Landschaft. Nichts besonderes, danach gibt es auch eine Belohnung. Versprochen.

Okay, ja, ich weiß, das letzte Mal habe ich das auch gesagt und dann gab es nichts. Nun ja, da konnte ich nicht ahnen, dass hinter dem Gipfel noch ein Berg auf uns lauerte. Ein noch höherer Berg, ja das stimmt. Aber wer Herausforderungen liebt, der wird doch jetzt nicht aufgeben. Am Ende stehen wir wie die Idioten da, die nach 99 von 100 zu überspringenden Mauern lieber umdrehen, weil sie alles viel zu anstrengend finden.

Mit anderen Worten: Der Weg zurück ist ja noch dusseliger, haarsträubender, länger und außerdem keine Option. Kapiert. Weicheier. Jetzt mal weiter. Danach, das sage ich doch, hört mir doch zu, danach, danach wird alles besser.

7. Oktober – Das Auge des Sturms

ICH ist im Auge des Sturms.

ICH bin im Auge des Sturms.

ICH bin das Auge des Sturms.

Ohne den Sturm des Lebens, der Gefühle, des Dramas, der Herausforderungen wäre ICH nicht.

Ohne die in den Sturm stürzenden und vom Sturm mitgerissenen Elemente, ohne die herausgeschleuderten Partikel, ohne den Austausch wäre ICH nicht.

Ohne das Heulen und Lärmen, ohne die Kraft und Energie wäre ICH nicht.

Wenn die Hand sinkt, das Neuronenfeuer erstirbt, das Auge bricht legt sich der Sturm und ICH ist nicht mehr. Nicht messbar, nicht nachweisbar.

ICH ist das Auge des Sturms. Die Ruhe in der Zerstörung, die Stille im unermesslichen Klang des Seins.

6. Oktober – Langeweile

Nebel hängt über der Landschaft, kriecht am Horizont entlang, wallt kalt und feucht immer näher. Dieses graukalte, feuchte Wetter versetzt mich zurück in meine Kindheit. Lange öde Nachmittage voller Langeweile breiten sich in mir aus. Verzweifelte sich in endlose Länge dehnende Sekunden, Minuten, Stunden. Warten. Warten auf was?

Die Zeit verrinnt völlig sinnlos, wälzt sich auf ein Ereignis zu, das genauso unspektakulär ist wie dieser feuchtkalte Nachmittag allein im Zimmer. Der nicht schneller vergeht, weil ich aus dem Fenster starre.

„Mal doch was!“

„Beschäftige dich doch irgendwie“.

„Hast du keine Hausaufgaben?“

Manchmal sind alle Hausaufgaben gemacht, alle Bücher aus der Bibliothek ausgelesen, alle Bilder gemalt. Und dann diese Leere, diese lange Weile. Lang, lang, länger.

Fast hatte ich dieses quälende Gefühl vergessen. Heute erwachsen, busy, stets geschäftig, immer in Bewegung, allzeit bereit unterhalten zu werden oder zu unterhalten, keine Zeit, sowieso immer auf dem Sprung, voll im Stress, unabkömmlich und so wichtig, kommt heute kaum noch Langeweile auf.

Schade. Diese süße Qual! Vorbote einer Entladung, einer Explosion, einer Eingebung. Die Ruhe vor dem Sturm. Eine lange Weile, die sich ausbreiten und dehnen und mich leiden lassen darf.

5. Oktober – Das Bier ist aus

„Oh, endlich Feierabend.“ Sabine drückt mit beiden Händen ihr Kreuz durch. Alle Knochen tun ihr weh. Nach der Schufterei im Garten hat sie sich ein schönes Bierchen verdient.

Aber im Kühlschrank steht keins mehr. Der Kasten in der Speisekammer enthält nur leere Flaschen.

„Herbert!“, brüllt Sabine durchs Treppenhaus. Und noch lauter „Herbert!“

Keine Reaktion. Also schleppt sie sich die Stufen hoch unters Dach, in Herberts Reich. Dort stehen sein Schreibtisch mit Computer, seine H0-Eisenbahnanlage und sein großer Plasma-Fernseher mit Surround-Anlage und Spielkonsole. Er spielt gerade so ein beklopptes Spiel, bei dem er ständig Autos klauen und Leute liquidieren muss. Sabine seufzt. Herbert hört sie nicht, obwohl sie nur einen knappen Meter hinter ihm steht.

„Herbert!“, brüllt sie schließlich in voller Lautstärke. Herbert dreht seinen Kopf nur ein paar Grad in ihre Richtung. Wirft ihr einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu.

„Was?“, fragt er. Sein Blick springt zurück auf den Fernseher und seine Hände bedienen weiter den Controller.

„Das Bier ist alle.“

Keine Reaktion.

„Wir hatten doch ausgemacht: Wer das letzte nimmt, schreibt dann Bier auf die Einkaufsliste.“

„Hab’ ich doch.“

„Hast du nicht, sonst hätte ich ja welches mitgebracht.“

„Vielleicht hast du’s vergessen.“ Die Polizei verfolgt Herberts Spielcharakter mit lautem Sirenengeheul. Sein Auto hat schon mehrere Beulen und bringt nicht mehr volle Geschwindigkeit.

„Verdammt! Das kommt davon, wenn du mich ablenkst.“

„Meine Güte, es gibt ja wohl ne Pausetaste. Kannst mir auch mal zuhören, wenn ich mit dir rede.“

„Es ist kein Bier mehr da. Und?“

„Du hättest es auf die Liste schreiben müssen!“

„Hab ich!“

„Hast du nicht!“ Herbert ist es gelungen, die Bullen abzuhängen, jetzt klaut er sich einen schnelleren Wagen.

„Musst du dauernd dieses bekloppte Spiel spielen?“

„Das ist geil!“

„Leute umnieten und Autos klauen. Toll. Da träumst du von, wenn du im Finanzamt Strafgebühren verhängst.“

„Ha, hab ich dich!“ Herbert stoppt ein vorausfahrendes Fahrzeug, indem er ihm mit seinem flotten Schlitten den Weg abschneidet. Den Fahrer knallt er kaltlächelnd ab. Sabine nimmt die Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus.

„Menno!“

„Du fährst jetzt mit deinem Passat zur Tankstelle und kaufst mir Bier. Komm aber nicht auf die Idee den Tankwart abzuknallen.“

Herbert öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder, als ihm Sabines Gartenkluft auffällt. Er senkt den Blick und geht an ihr vorbei zur Treppe.

„Brauchst du sonst noch was, Schatz?“

Sabine schüttelt den Kopf.

4. Oktober – Rosen

Rosen weiß und rot, die Dornen noch nicht weggezüchtet, stehen da in meiner Vase. Ich glaubte, ich holte mir Freude in mein Zimmer. Stolze Blumen, die mich erfreuen: rot und weiß. Aber nun sehe ich nur euer Welken und Vergehen. Ihr Rosen, geboren, um in Schönheit dahinzugehen.

3. Oktober – Königliche Hoffliegenfänger

Es war einmal vor langer Zeit ein königlicher Oberhoffliegenfänger, der hatte eine sehr, sehr wichtige Aufgabe. Er musste alle Fliegen, die sich in den königlichen Palast gewagt hatten, fangen und wieder nach draußen setzen. Der König wollte auf keinen Fall, dass einer Fliege Leids geschah. Er hasste es nur, wenn Fliegen über seine Kleidung, seine Haut oder womöglich über seine Nahrung liefen.

Aber am allermeisten verabscheute der König das fiese Summen und gemeine Brummen der Fliegen. Aus diesem Grunde beschäftige er nicht nur einen Oberhoffliegenfänger, sondern auch noch einen Unterhoffliegenfänger, zahlreiche Fliegenfängergehilfen und einen Fliegenfängerlehrling namens Maximilian. Der Oberhoffliegenfänger war für die Planung zuständig, er war der Kopf, der Ingenieur, der findige Geist. Nur gingen ihm langsam aber sicher die Ideen aus.

Längst hatte er die königliche Residenz mit Fliegengittern an Fenstern und Türen ausstatten lassen. In den großen Eingangsbereichen gab es Schleusen, um das Eindringen der Fliegen zu verhindern. Und überall im Haus gab es Lebend-Fliegenfallen, um die Fliegen zu fangen, denen es dennoch gelungen war, ins Schloss zu fliegen. Die Küche und das Schlafzimmer des Königs waren dreifach gesichert.

Aber der menschliche Faktor war ein nicht abzustellendes Übel. Immer wieder vergaß einer der Diener alle Vorsicht, ließ aus Bequemlichkeit beide Türen einer Schleuse geöffnet und schon sausten die kleinen Insekten hinein.

Da hatte der Lehrling Maximilian eine Idee. Wenn es doch einfach derart unmöglich sei, Fliegen vom Palast fernzuhalten, dann müsse der König einen Weg finden, sich mit den Fliegen zu versöhnen, sich an sie zu gewöhnen. Als das der Oberhoffliegenfänger hörte, gefiel ihm das überhaupt gar nicht. Wie sollte er sein Salär sichern, wenn der König keine Fliegenfänger mehr brauchte. Der Unterhofflliegenfänger und alle Fliegenfängergehilfen sahen das ähnlich und ergriffen Gegenmaßnahmen.

Mit anderen Worten: Sie verprügelten den armen Maximilian nach Strich und Faden, damit er ja schweige. Aber als der König Maximilians blaue Flecke und seine zerschlagene Nase sah und sich daraufhin erkundigte, was dem armen Jungen widerfahren sei, erzählte ihm der Fliegenfängerlehrling von seiner Idee und wie wenig sie den anderen Fliegenfängern geschmeckt habe. Da schwieg der König verblüfft.

Dann dachte er eine lange Weile nach, schließlich breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht. Fortan schloss er Freundschaft mit den Fliegen, mit den dicken Brummern, den gemeinen Summern und den lautlos tanzenden Fruchtfliegen. Er ließ alle Fliegengitter und die Schleusen entfernen. Und er entließ den Oberhofflliegenfänger, den Unterhoffliegenfänger und alle Fliegenfängergehilfen.

Nur Maximilian behielt er bei sich als seinen Berater. Seit dieser Zeit gibt es keine königlichen Fliegenfänger mehr. Es ist also nicht sehr verwunderlich, wenn du noch nie von diesem Beruf gehört hast.

2. Oktober – Der Regenwurm

Es war einmal ein Regenwurm, der hatte ein regelmäßiges, manche würden sagen, eintöniges Leben.

Er fraß sich tagein, tagaus durch die Dunkelheit in der Erde. Nur wenn es stark regnete, so sehr, dass seine wunderbare Erdeinsamkeit abzusaufen drohte, kam er hervorgekrochen und versuchte, so gut er konnte, dem unerfreulichen Nass zu entgehen.

Viele seiner Artgenossen kamen bei Regenwetter an die Erdoberfläche und soffen dann in großen Pfützen ab. Manche wurden totgetrampelt, überfahren oder vom Vogel gepickt. Bisher hatte der Regenwurm alle Unbill überstanden und wurde immer dicker und länger und fraß und fraß sich durch die Unterwelt.

Dann eines Tages wurde er unsanft von einem Spaten in zwei Teile geschnitten und aus seinem Erdparadies herausgehebelt. Die Hälften des Wurms kringelten sich und wanden sich. Die eine immer noch tief in der Erde, die andere im Erdbrocken auf dem Spaten.

„Was ein dicker Wurm“, rief der Ausgräber und kippte den Erdaushub auf einen Haufen. „Gute Erde hier“.

Das dachten sich die beiden Hälften des Regenwurms auch und bemühten sich, so schnell wie möglich wieder in ihr zu verschwinden. Jede in entgegengesetzte Richtungen und für immer getrennt. Aber immerhin noch am Leben.