10. August – Der Leguan

Es war einmal ein Leguan, der lebte in einem wunderschönen Terrarium. Jeden Tag schaltete sich zur gleichen Zeit automatisch das Licht ein, damit der Leguan sich sonnen konnte. Wie durch Zauberhand erschienen genau im Moment, als er Hunger bekam, ein paar leckere Heuschrecken, die er behaglich verspeiste. Er fand ein Blätterdach, um sich in den Schatten zu setzen, er hatte Sand, um darauf herumzulaufen, er hatte Äste, über die er balancieren konnte und er hatte eine schöne kleine Wasserstelle, an der er sich laben konnte. Alles war wunderbar und in schönster Ordnung.

Nur eines erschien dem Leguan merkwürdig. Immer wenn er versuchte, einen langen Spaziergang zu machen, stieß er plötzlich an eine Barriere. Er kam nicht weiter, er verstand auch nicht genau, was sich hinter dieser Barriere befand. Es sah anders aus als in seiner Welt voller Sand. Er konnte sich aber keinen Reim darauf machen, was er dort sah. Die Barriere selbst war unsichtbar und undurchdringlich. Einmal war es ihm sogar gelungen, diese unsichtbare Barriere hinaufzuklettern. Aber dann wurde ihm das unheimlich. Woran hielt er sich denn bloß fest? Worauf lief er? Der Luft?

Also ließ er sich wieder zurück auf sicheren Boden gleiten und beschloss einfach nicht mehr an diese Barriere zu denken. Er ignorierte sie einfach. Schließlich hatte er festgestellt, dass die Heuschrecken, der Sand, das Wasser und die Äste und Blätter das auch taten. Sie ignorierten die Barriere und sie hatten keine Möglichkeit, durch sie hindurch zu kommen.

Zwar wunderte sich der Leguan ab und zu über Erscheinungen. Manchmal verschoben sich die Äste auf unerklärliche Weise. Auch die Heuschrecken erschienen ja seit eh und je wie von Geisterhand. Aber die Hauptsache war, dass sie nicht durch die Barriere kamen, wenn sie einmal bei ihm waren. Ab und zu nagte die Neugier an ihm. Aber der Leguan dachte dann sofort an das unangenehme Gefühl, auf nichts zu laufen. Es war besser, er hielte sich an das, was er verstehen konnte. Sicher ist sicher.

9. August – Spaß

„Das macht mir aber keinen Spaß! Das mache ich nicht!“

„Spaß! Wenn du älter wirst, merkst du dann schon, dass es im Leben nicht immer nur nach dem Spaß geht!“

„Und warum?“

„Weil du schließlich von irgendetwas leben musst.“

„Ach und Geld verdienen darf keinen Spaß machen? Ich muss also unbedingt etwas tun, dass ich langweilig und blöd und sinnlos finde, sonst gibt mir keiner Geld dafür?“

„Genau! Oder meinst du es macht Leuten Spaß Autos zu reparieren oder die Steuererklärung zu machen?“

„Warum denn nicht? In der Schule gibt es doch massenweise Leute, die an Mathe Spaß haben oder am Werken.“

„Aber Kind, du hast die Vorstellung, dass es im späteren Leben immer so weiter geht. Sogar die Sachen, die dir Spaß machen, haben langweilige Seiten. Wenn du malst, musst du nachher die Pinsel auswaschen. Macht dir das etwa Spaß?“

„Mmh. Also nicht direkt Spaß. Aber ich mache es doch gerne, damit ich den Pinsel möglichst lange benutzen kann. Denn es macht mir Freude wie gut ich mit ihm malen kann.“

„Okay, aber was ist damit: essen macht dir Spaß, aber das Abwaschen hasst du. Spielen macht dir Spaß, aber hinterher aufräumen nicht.“

„Also für den Abwasch haben wir deshalb ja eine Maschine, weil es keinem von uns Spaß macht. Und mit dem Aufräumen ist das so: Wenn ich selber finde, es soll ordentlich sein, dann macht mir das Aufräumen nichts aus. Das ist dann fast schon wieder Spaß.“

„Ach, Kind, komm erst einmal in mein Alter, dann wirst du das genauso sehen wie ich.“

8. August – Kommunikation

„Was ist denn los?“

„Was?“

Olivia hebt den Kopf von ihrem Buch hoch und schaut verständnislos.

„Was mit dir los ist?“

„Nichts, warum?“

„Weil ich dir schon das dritte Mal eine Frage stelle und du mich überhaupt nicht hörst“.

„Mmmh“. Olivia richtet ihren Blick sehnsuchtsvoll auf das Buch in ihrer Hand. Sie hat den Zeigefinger zwischen die Seiten geklemmt.

„Was hast du denn gefragt?“

„Ich finde das ziemlich verletzend, wenn du mir so gar nicht zuhörst.“

Olivia seufzt. Sie reckt die Hand mit dem Buch in die Höhe.

„Ich lese gerade“, sagt sie.

„Trotzdem kannst du mir zuhören“.

„Du weißt genau, dass ich beim Lesen total versinke.“

„Kein Mensch kann so versinken. Du ignorierst mich mit Absicht“.

„Ich konzentriere mich nur auf mein Buch!“ Olivias Stimme klingt genervt.

„Du liebst mich nicht genug“.

„Was soll denn das jetzt?“

„Das verletzt mich eben“.

„Hör mal, ich habe nur in meinem Buch gelesen und dich einfach nicht gehört. Das hat überhaupt nichts mit dir zu tun.“

Olivia legt das Buch zur Seite.

„Und was hast du mich nun gefragt?“

„Wie dir das Buch gefällt?“

7. August – Eine kleine Nadel

Es war einmal eine kleine Nadel. Die hatte ihr Öhr verloren. Sie fühlte sich seither furchtbar unnütz und weinte sehr häufig.

Immer blieb sie im Nadelkissen. Nie mehr hielten sie sanfte Finger mit festem Griff. Nie mehr durfte sie durch Knopflöcher tauchen. Nie mehr sah sie die Welt im Fenster vorbeiblitzen, wenn sie durch Luft und Stoff hinauf- und hinabsauste. Manchmal kam sie kaum durch die dicken Stofflagen, bog sich fast bis zum Brechen, bis der Fingerhut sie mit metallener Entschlossenheit drängte. Aber schließlich schoss sie immer hindurch, folgte immer brav ihrer Aufgabe.

Und dann eines Tages war ihr das Öhr abhandengekommen. Einfach fort. Unwiederbringlich. Seither steckte sie nutzlos im Nadelkissen. Gerade so geduldet. Immerhin war sie nicht im Eimer beim Müll gelandet. Sehr traurig war die Nadel. Fühlte doch, dass sie spitz war wie eh und je. Es fehlte ihr nur das Öhr zum Glück.

4. August – Gut genug

„Schatzi, es gibt Cocktails!“, ruft Lena Helmut zu. Sie selbst liegt im Schatten und schlürft schon an ihrem alkoholfreien Drink. Hecke schneiden, Rasen mähen und Holz hacken, sind laut Helmut Männerarbeit. Lena will das auch gar nicht erledigen. Sie hat einen anstrengenden Job, bringt das Haupteinkommen nach Hause und kümmert sich sonst nur um den Haushalt.

Nun ja, in Wirklichkeit heißt das, sie bezahlt die Putzfrau und bringt die Kleidung regelmäßig in Wäscherei und Reinigung. Das einzige, was sie wirklich gut und gerne macht, ist Kochen. Auf Hausarbeit hat Lena sonst keine Lust.

Im Augenblick hat sie frei und will mit ihrem Mann den schönen Tag genießen. Aber Helmut grunzt nur als Antwort auf ihren Zuruf und schneidet weiter an der Hecke herum. Er macht das nicht besonders gekonnt. Vielleicht sollte sie doch lieber einen Gärtner beauftragen. Ist doch Blödsinn sich mit so einem Zeug abzuplagen, das keinen Spaß macht. Aber Helmut ist da immer so eigen. Er meint, er müsse unbedingt den Garten übernehmen, um seinen Teil beizutragen.

„So ein Quatsch“, denkt Lena. All diese merkwürdigen Vorurteile und vorgefassten Meinungen. Als wäre Helmut ein schlechterer Mensch, weil er ein paar hundert Euro weniger im Monat nach Hause bringt. Oder als wäre es notwendig, dass eine Frau sich möglichst klein und dumm stellt, damit ein Mann sich besser fühlt. Was ist das überhaupt für eine Vorstellung immer auf der Erniedrigung eines anderen seine Stärke aufzubauen. Als wäre nicht jeder Mensch genau richtig so, wie er ist.

Lena schließt die Augen und versucht sich eine Welt vorzustellen, in der jeder von sich und anderen glaubt gut genug zu sein. Aber es gelingt ihr nicht wirklich. Zu sehr ist sie selbst daran gewöhnt, an sich und den anderen herumzumeckern.
„Schließlich kann Helmut die Hecke so krumm schneiden wie er will und später seinen Cocktail trinken“, denkt sie. „Wenn es ihm wichtig ist, soll er das doch tun.“

Lena nimmt noch einen Schluck und fühlt sich schon viel besser.

31. Juli – Der Ahornbaum

Es war einmal ein Ahornbaum, der wollte so gern ein Ginkgobaum werden. Denn dann würde er einem uralten Adelsgeschlecht angehören. Aus seinen Samen und Blättern würden Heilmittel gegen alles Mögliche hergestellt. Er wäre ein Star, ein Wirtschaftsfaktor, ein Heiler, auf jeden Fall irgendwie wichtig und bedeutend.

So als Ahorn da stand er nur herum und sah nett aus. Die Kinder lachten über ihn, weil seine Samen wie kleine Propeller zu Boden segelten. Dann sammelten sie die Samen auf und klebten sie sich an die eigene Nase als Verlängerung, rannten herum und machten alberne Geräusche.

Also ehrlich. So nahm ihn doch keiner Ernst. Dabei brachte er so leckeren Ahornsirup hervor. Nun ja, nicht speziell er selbst, schließlich war er nur ein Zierahorn. Aber andere aus der weitverbreiteten Ahornfamilie produzierten Ahornsirup tonnenweise, das landete auf Pfannkuchen und sonst wo. Aber waren die Menschen dankbar? Nein. Ahornsirup wäre ja viel zu teuer, sagten sie. Und dick mache er auch. Toll.

Ach, könnte er doch nur ein Ginkgobaum werden. Manchmal versuchte der Ahorn, seine spitzen Blätter so irgendwie mehr wie ein Fächer zu formen. Aber es gelang ihm nicht. Das Ahornmäßige, das Ahornartige steckte einfach in ihm. Da blieb ihm nichts übrig als den Kopf hängen zu lassen und neidisch zu den Ginkgobäumen auf der anderen Seite des Parks zu schielen.

26. Juli – Oma Tinchen

Oma Tinchen war ein klein bisschen wunderlich, aber daran hatten sich ihre Verwandten und die Leute in der Straße längst gewöhnt.

Zum Beispiel hängte sie ihre Wäsche immer bei Regen auf die Leine im Garten. So spare sie den Weichspüler, sagte sie immer. Und sie züchtete Schnecken, einfach nur so, weil sie als Kind nie gedurft habe, erklärte sie Frau Bolte auf deren vorsichtige Nachfrage.

Oma Tinchen fuhr auch Motorrad, eine alte Maschine mit quer eingebautem Boxermotor. Und wenn Oma Tinchen die Landstraße entlangbretterte schlugen die Schutzbügel aus Metall in den engen Kurven Funken. Manchmal fuhr auch ihre Katze mit, in einem Korb, der vorn am Lenker angebracht war. Aber dann ging Oma Tinchen etwas langsamer in die Kurven, sonst wurde es der Katze schlecht.

Einmal im Jahr, meistens im Sommer, machte Oma Tinchen aber etwas besonders Verrücktes, irgendetwas Ausgefallenes, was sie vorher noch nie gemacht hatte. So bliebe sie im Training, hörte Klerkes Erna, als sie Oma Tinchen darauf ansprach.

In diesem Jahr hatte sich Oma Tinchen vorgenommen, leckeren Holunderschnaps zu brennen. Dazu baute sie sich eine abenteuerliche Konstruktion zum Destillieren in ihren Gartenschuppen. In der ersten Juliwoche hämmerte und klapperte es aus dem Schuppen, später dann brodelte es und schließlich konnte Oma Tinchen ihren Selbstgebrannten der erstaunten Verwandtschaft und Nachbarschaft vorführen.

„Also wirklich, Oma Tinchen“, sagte ihre Enkelin, „ich weiß gar nicht, wie du das alles machst!“ Da zuckte Oma Tinchen nur mit den Schultern. „Eins nach dem andern, ganz einfach“, antwortete sie und schenkte Frau Bolte noch ein Schlückchen ein.

24. Juli – Erkenne einen Reiher

Als ich ein Kind war, lernte ich einen fliegenden Reiher an seinem schlangenförmig geschwungenen Hals zu erkennen. Ein Storch hingegen hielt den Hals gerade. Beide sahen sich auf Entfernung sonst sehr ähnlich, besonders im Zwielicht, wenn ich kaum noch die Farben des Gefieders erkennen konnte.

Ich lernte auch, dass männliche Enten ein auffälliges, grünschimmerndes Kopfgefieder haben und Erpel heißen. Die weiblichen Enten dagegen waren braungefiedert und bescheiden. Außerdem lehrte mich meine Großmutter, dass Spatzen frech seien und unnütz und Tauben viel netter und nützlicher. So fütterte sie auf ihrem Innenhof immer die Tauben und verjagte die Spatzen.

Später dann las ich Berichte über die unglaubliche Vermehrung der Tauben in Großstädten und hörte sie Ratten der Lüfte nennen. Der Spatz dagegen sei vom Aussterben bedroht, daran sei wohl der Klimawandel schuld und die Einschränkung seines natürlichen Lebensraumes.

Aber ich glaube insgeheim, dieses alte Sprichwort ist daran schuld: Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Wer kann schon leiden, was ihm ständig als minderwertiges Glück verkauft wird, dass er nicht zu verschmähen habe?

22. Juli – Im Fluss

Träge scheint der Fluss dahinzufließen, ganz weit erstreckt er sich von Ufer zu Ufer. Und doch hat er Macht, doch hat er Gewalt. Sein Wasser fließt rasch zu Tal. Nur bemerkst du das erst, als ein großes Blatt vom Baum fällt und in sekundenschnelle mitgerissen und fortgetragen wird. Schon ist es deinem Blick entschwunden. So ist das also, es ist ganz einfach, fortzugehen, wenn der Fluss dich mitreißt.

Nur dieser eine Schritt. – Hinein und der Fluss trägt dich mit, wirbelt dich herum, wiegt dich und spuckt Dich irgendwo aus. Vielleicht schaffst du es bis ins Meer, vielleicht bleibst du an der Uferböschung in alten Wurzeln hängen, vielleicht zieht er dich in die Tiefe und du hauchst deinen letzten Atemzug aus. Wer weiß?
Nur dieser eine Schritt. – Die Geschwindigkeit bestimmt der Fluss. Da ist es vorbei mit deiner Allmacht. Wie einfach es scheint, jemand zu sein, wenn du am Ufer stehst. Nur so einsam, nur so leer.

Nur dieser eine Schritt. – Und dann gibst du dich hin, mit Anmut tauchst du ins Wasser, der Fluss umschmeichelt dich, du kannst ihm Vertrauen. Und zu deiner Überraschung löst du dich nicht auf, zu deiner Verwunderung gleitest du leicht dahin. Der Fluss umspielt deinen Körper, er kost dich.

„Wie schön, dass du endlich hier bist“, flüstert er dir zu. „Wir haben dich solange dort am Ufer stehen sehen, so voller Sehnsucht und voller Furcht. Aber jetzt, jetzt bist du ja da!“

Nur dieser eine Schritt. – Nur.

17. Juli – Ich bin

Ich bin viele. Die Reise durch die bizarre Landschaft meiner ICHs und SELBSTs, der UNTERMICHs und AUSSERMIRs ist noch lange nicht vorbei.

Natürlich ist mir das ein bisschen unheimlich, dass es in Wahrheit so wenig gibt, dass ich von mir mit Sicherheit behaupten kann. Ewig wandelbar, vielleicht festgelegt in gewissen Grenzen – weiblich, Westeuropäerin – bin ich vielleicht doch in der Lage alles Mögliche mehr oder weniger zu sein.

Wenn ich es will, wenn ich mich traue, wenn ich mir weiter vertraue.

16. Juli – Entbrannt vor Wut

Warnhinweis: Wut ist Energie und das plötzliche Freiwerden von Energie kann zu Verletzungen oder Netzüberlastungen sprich Kurzschlüssen führen.

Die Welt ist doch so, so ungerecht. Da hilft auch kein Harmoniegedüdel. Nur Augen verschließen, sich unter der Bettdecke verkriechen und die Luft anhalten, kann kurzzeitig den Zorn über diese gemeine Welt vertreiben.

Du wirst geboren in einem Körper, der Schmerzen aushalten muss.

Du musst dich durchschlagen mit „try and error“. Voll beschissen, falls du diese fiese Lernmethode überlebst, um alt genug zu sein, das andere Geschlecht zu entdecken (oder das eigene), geht es mit dem Ärger erst richtig los.

Die Person, die du am allerdollsten liebst, will von dir garantiert nichts wissen. Wenn doch dann interessieren sich noch fünf weitere Personen für dich und du entscheidest dich mit Sicherheit für die falsche.

Okay, auf kosmischer Ebene natürlich für die richtige, nämlich für die Person, die dir nach spätestens sechs Wochen sowas von gründlich auf den Wecker geht, dass du vor Wut in die Tischkante beißt oder in deinen Hintern oder in beide abwechselnd.

Denkst du jetzt: „Ha, kein Problem, der/die/das Blöde passt nicht zu mir, den/die/das schieße ich ab, dann entscheidest du dich das nächste Mal garantiert wieder für die gleiche Art Person diesmal eben als Grünauge, Blauauge, mit oder ohne Bart, was auch immer.

Solltest du dann glauben, mit Enthaltsamkeit der grauslichen Vorsehung ein Schnippchen schlagen zu können, dann wird deine beste Freundin/dein bester Freund die Aufgabe deines/deiner Liebsten übernehmen und dich ordentlich zur Weißglut treiben.

Solltest du dann auf die blöde Idee verfallen, dich in eine einsame Hütte zu verziehen, dann endlich, nachdem du ein paar Bäume verprügelt und die Rehe verflucht, nachdem du Gott, sämtliche Engel und auch den Teufel bezichtigt hast, dir ohne Unterlass auf den Geist zu gehen, da begreifst du, dass es dauernd nur du selbst bist.

Wut, Wut, Wut. Ein schönes Hobby. Jeder sollte es damit mal für eine Weile versuchen. Aber ehrlich, es tut Dir nachher leid, dass du den armen, unschuldigen Baum verprügelt hast. Vor allem wegen deiner gebrochenen Hand und den dicken blauen Flecken an den Füßen.

Aber jetzt mal ehrlich, wer kann diese Scheißharmonie schon immer ertragen? Sogar in der Natur donnert’s und blitzt es. Das muss eben mal sein. Nur, denk daran, andere nicht zu gemein zu verletzen mit deiner Wut. Wäre doch Schade drum.

13. Juli – Franks Glückshut

Frank hatte einen Hut, der ihm Glück brachte, sein ganz besonderer Glückshut. Immer wenn er ihn aufhatte, gelangen ihm die unmöglichsten Dinge. Wenn er ihn abnahm, war es damit vorbei, dann war er wieder genauso von Pech verfolgt wie sonst auch.

Also hatte sich Frank angewöhnt, immer und überall seinen Hut aufzubehalten, sogar im Schlaf. Schließlich wollte er auch glückliche Träume haben. Aber ab und zu musste er natürlich mal duschen oder er wollte mal ins Kino, da störte so ein Hut selbstverständlich. Nur was sollte er machen?

Also ging er nicht mehr ins Kino und badete lieber, anstatt zu duschen. Beim Haarewaschen nahm er nur ganz kurz den Hut ab und im Liegen konnte er weder ausrutschen noch das Wasser eiskalt werden – alles Dinge, die ihm in der Dusche ohne Hut ständig widerfahren waren. Seine Freundin fand das natürlich überhaupt nicht lustig, und als Frank sich weigerte, den Hut endlich abzunehmen, zog seine Freundin aus.

Aber das war ein großes Glück. Denn so konnte Frank jemand anderen kennenlernen und diese Frau fand ihn ja gerade richtig toll mit Hut. Dem Hut verdankte Frank einen besseren Job, eine größere Wohnung und ein glücklichers Leben. Irgendwann aber war der Hut ziemlich alt und zerschlissen. Er sah schon ziemlich schäbig auf Franks Kopf aus. Der war zwar auch nicht mehr der jüngste, aber der schäbige Hut fiel doch langsam unangenehm auf.

Da hatte Frank ein großes Problem. Er konnte sich doch nicht von seinem Glück trennen! Wie sollte er denn wieder mit dem alltäglichen Pech und Ärger klarkommen? Er hatte keine Lust auf rote Ampeln, einen schlechten Platz im Restaurant, überteuerte Urlaubsreisen, eine nörgelnde Ehefrau, sitzenbleibende Kinder, langjährige Arbeitslosigkeit, reißende Schnürsenkel, kaputte Autoreifen, schleichende Krankheit oder herabfallende Dachziegel. Und das waren die Unglücksfälle, an die er sich noch dunkel erinnern konnte, was war mit all dem Pech, das ihn unvorbereitet treffen würde? Nein, nein. Der Hut musste einfach bleiben.

Schließlich fand Frank einen Spezialisten für die Aufarbeitung und Imprägnierung alter Hüte. Nach langem Bitten kam er zu Frank ins Haus und rettete seinen Hut. Er musste ihn dafür nur ganz kurz für fünf Minuten vom Kopf nehmen. Aber das reichte dann schon, dass ihn eine Wespe ins Augenlid stach. Sobald Frank den Hut wieder aufhatte, schwoll sein Augenlid wieder ab und alles war in bester Ordnung. Irgendwann waren Franks Kinder groß und er selbst war unter seinem Glückshut langsam alt geworden.

Seine Enkel besuchten ihn und kannten ihn nur als Opa mit dem Glückshut. Besonders gerne saßen sie auf seinem Knie und ließen sich die phantastischen Geschichten seines immerwährenden Glückes erzählen.

„Opa, hast du immer grüne Ampeln“, krähten sie dann ungläubig, „und immer genug Eis, soviel du nur essen willst?“

Und Frank nickte nur. Und dann eines Morgens wachte Frank nicht mehr auf, der Hut war ihm im Schlaf vom Kopf gekullert und lag neben dem Bett auf dem Fußboden.

Seine Frau setzte ihm den Hut wieder auf, als sie Frank leblos fand. Aber das brachte ihn nicht mehr zurück. Vielleicht war auch das ein Glück.