19. Juli – Erkenne deinen Feind

„Erkenne deinen Feind“, sagte mein Vater immer und nickte dabei bedeutungsvoll. Und ich lauschte andächtig und nickte ebenfalls. Das erschien mir einleuchtend.

„Erkenne deinen Feind!“ Und dann weißt du genau woher alles Gemeine und Böse auf dich zukommen wird. Du kannst dich wappnen, du kannst ihm eins auswischen, bevor er darauf kommt dir eins auszuwischen, dein Feind. Oder du gehst ihm einfach großräumig aus dem Weg, das ist am sichersten.

Dann kam ich aufs Gymnasium und las über der Tür zur Aula: „Erkenne dich selbst“, natürlich stand dort in Altgriechisch Gnothi Seauton und ich musste abwarten, bis es einer unserer Lehrer erklärte, was es bedeutet. Aber dann war ich erschüttert.

Wenn es so wichtig war, mich selbst zu erkennen, wäre es da nicht logisch, dass ich selbst mein ärgster Feind sei. Und wenn das so wäre, welche Chance hätte ich dann, so dachte ich, mir selbst aus dem Wege zu gehen, mir eins auszuwischen bevor ich es selber tat oder zu verhindern, dass alles Gemeine und Böse direkt von mir auf mich zukommen würde.

Als ich nach Hause kam, fragte ich sofort meinen Vater danach, aber der lachte mich nur aus. Da würde ich schon noch drauf kommen, wenn ich älter wäre.