2. Juli – Am Hauptbahnhof

Steht da wie ein Depp. Die Blumen sind bereits welk. Wartet und wartet immer noch. Am Siebenundzwanzigsten um dreizehn Uhr dreißig. Das hatte sie gesagt am Telefon. Sie hatte auch gesagt am Hauptbahnhof, Gleis sechzehn.

Also stand er seit kurz vor halb zwei am Hauptbahnhof, Gleis sechzehn. Aber keine Julia. Der Zug war eingefahren und er hatte erwartungsvoll die Reisenden gemustert, die ihm am Bahnsteig entgegenkamen. Es waren sehr viele Reisende. Der Zug endete hier.

Als auch die letzte Großmutter mit ihrem Rollkoffer vorbeigezuckelt und immer noch keine Julia in Sicht war, ging er am Zug entlang und spähte in die Waggons. Keine Julia. Ganz vorn stieg er ein und lief durch den Zug zurück. Keine Julia. Also stand er wieder am Gleis, die Blumen immer noch in der Hand.

Vielleicht hatte sie einen Zug später genommen. Er schaute auf den Plan. In zwei Stunden würde der nächste Zug erst eintreffen. Einen Augenblick bedauerte er, dass er so ein Handyhasser war. Er besaß nämlich keins.

Also machte er sich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Die sahen natürlich heute gar nicht mehr aus wie Zellen, mehr so wie Muscheln. Als er eine fand, nahm der Apparat nur Telefonkarten. Also suchte er weiter. Schließlich fand er ein Telefon, das er mit Kleingeld füttern konnte. In seinem Portemonnaie fand er nur noch ein Euro und zehn Cent. Sein letztes Kleingeld war für die Blumen draufgegangen. Auch das bedauerte er jetzt.

Er tippte die Nummer von Julias Mobiltelefon ein. Julia war ja modern. Sie besaß so etwas. Aber sie ging nicht ran. Er wollte eine kurze Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen. Aber was nutzte das? Sie konnte ihn sowieso nicht erreichen. Außerdem, wie sähe das aus? So eine alberne Nachricht im Stile von, ich stehe am Bahnhof und du bist nicht da. Er kam sich sowieso schon vor wie ein Idiot. Als er die Blumen wieder vom Münzfernsprecher nahm, hatte die erste einen Knick.

Jetzt war es ohnehin so spät, dass der nächste Zug gleich einfahren musste. Er ging zurück zu Gleis sechzehn. Er wartete. Es begann wieder das gleiche Spiel. Keine Julia. Er suchte im Zug. Keine Julia. Dann dachte er, vielleicht haben wir uns verpasst und ging zur Information. Er ließ Julia ausrufen. Er wartete wieder, lief aufgeregt hin und her. Einige der Blumen hatten ein paar Blütenblätter eingebüßt.

Überhaupt, der Strauß wurde wirklich langsam welk. Und immer noch keine Julia. Der Zug aus M. fuhr planmäßig alle zwei Stunden ein. Da er nun solange gewartet hatte, beschloss er, auch den nächsten noch abzuwarten. Aber auch diesmal, keine Julia. Schließlich gab er auf. Julia kam nicht. Sie hatte ihn einfach vergessen. Vielleicht hatte sie etwas Besseres vor.

Steht da wie ein Depp. Die Blumen sind bereits welk. Er wirft sie in einen Mülleimer. Es dauert ewig, bis endlich eine Straßenbahn in seine Richtung kommt. Aber eine Stunde später schließt er endlich die Tür zu seiner Wohnung auf. Am Spiegel im Flur klemmt ein großer handgeschriebener Zettel. Julia, Hauptbahnhof, Achtundzwanzigster, dreizehn Uhr dreißig. Verfluchter Mist, sie kommt ja erst Morgen. Und er hat den Blumenstrauß schon weggeworfen.