24. Mai – Sabine hört auf Stella

Liebe Stella,

Du hast wohl Recht. Ich nehme mir die Auszeit. Meine Kinder sind groß genug, um den Sommer über mit ihrem Vater und dieser Silke allein zurechtzukommen. Und ich kann das ständige Geturtel nicht mehr mit ansehen.

Und du hattest wieder Recht, wenn ich nett zu dieser Silke bin, ist Dieter deutlich mehr mir zugeneigt. Aber jetzt soll er noch ein bisschen leiden. Jennifer macht Silke jedenfalls gehörig die Hölle heiß. Auf sie kann ich mich in diesem Fall verlassen. Auch wenn sie natürlich die eigenen Interessen verfolgt.

Ich habe Jennifer gefragt, ob sie mit nach Sardinien möchte, ihre Patentante besuchen, aber sie hat abgelehnt. Wir haben also wunderbare Ruhe und können machen, was wir wollen. Vielleicht versuche ich es mal mit der Bildhauerei, das ist bestimmt gut zum Aggressionsabbau.

Ich glaube, Tom bildet sich ein, er könne bei dieser Silke landen. Ihn trennen ja auch nur läppische neun Jahre von ihrem Alter. Aber das ist natürlich undenkbar. Bei einer Frau mit Vaterkomplex hat so ein junger Bursche wenig Chancen. Jedenfalls wirkt Dieter schrecklich gestresst, ich gönne es ihm.

Während ich meine Koffer packte, kam er drei Mal herein und versuchte, mich mit fadenscheinigen Gründen von meiner Reise abzuhalten.

Also, wir sehen uns dann auf Sardinien. Mein Flieger geht morgen früh.

Alles Liebe deine Sabine

23. Mai – Stella verordnet Sabine eine Pause

Liebe Sabine!

Nimm es gelassen. Dein Dieter scheint ja eher zu der Genießen und Schweigen-Fraktion zu gehören. Hättest du den Qigong-Lehrer nicht verführt, wärst du ihm wohl niemals drauf gekommen.

Du solltest dich lieber freuen, dass du es auf diese Weise erfahren hast. Im Angesicht der eigenen Verfehlungen trifft es dich sicher weniger hart. Und Spaß hattest du doch auch!
Na ja, ich war von vorneherein der Ansicht, dass so ein junger Kerl nichts für die Ewigkeit ist. Und diese Silke wird das auch nicht sein.

Mein Rat an dich – und halte dich dieses Mal besser daran – sei ausgesprochen nett zu ihr und lass sie auf das freundlichste Auflaufen, so oft es nur geht.

Das wird dem lieben Dieter schon die Augen öffnen!

Furien mag keiner, wieder Einschmeicheln ist was für schwache Frauchen, also trag es wie eine Lady.

Wenn es wirklich schief geht, denke einfach mal an die schlechten Eigenschaften von deinem Dieter.

Du hast mir doch ausreichend geschildert, wie unerquicklich das Leben mit ihm sein kann. Warum also jetzt so durchdrehen?

Und warum auf den Sommerurlaub verzichten?

Lass den guten Dieter doch einfach mal mit seiner Silke das alltägliche Leben teilen, lass deine Kinder ihr ordentlich auf dem Kopf herumtanzen.

Wenn sie das aushält, hält sie alles aus. Außerdem, wenn deinem Dieter noch etwas an dir liegt, so wird er das am ehesten merken, wenn du fort bist und dich entschlossen amüsierst. Rar machen, rar!

Das kann zwar nach hinten losgehen, aber alles andere funktioniert sowieso nicht. Ich weiß ja, wie du sein kannst, wenn du dich aufregst. Warum soviel Energie verschwenden, wenn du ganz gemütlich in der Sonne liegen kannst, um das gleich zu erreichen. Also, eine Absage wird nicht akzeptiert, ich schicke dir das Flugticket mit der Post.

Herzlich Deine Stella

22. Mai – Sabine hält Stella für eine Hellseherin

Liebe Stella!

Du musst seherische Fähigkeiten haben! Tatsächlich, der liebe Dieter hat eine Silke, schon seit acht Monaten. Ist das zu fassen? Vor allem, was die an ihm findet?

Ich habe ihn geheiratet als er noch, wie ein Adonis aussah. Aber schau ihn doch mal jetzt an!
Wahrscheinlich hat diese Silke einen Vaterkomplex. Sie ist erst 27!

Ja, ja, Du denkst jetzt bestimmt, als ob dieses eine Jahr Altersunterschied etwas ausmachte. Nun gut. Aber dann bedenke bitte, dass Dieter fünf Jahre älter ist als ich. Das sind dann also 6 Jahre mehr, die ihn von seiner Silke trennen.

Zu allem Überfluss ist Mark nun beleidigt, weil ich so eifersüchtig auf Dieter sei, sagt er.
Aber das ist doch nur natürlich!

Den jungen Leuten von heute fehlt da anscheinend die Erfahrung.

Er fährt jetzt erst einmal zwei Wochen nach Nepal, um auf irgendwelche Berge zu kraxeln.
Schön, schön, soll er sich ruhig den Hals brechen, während ich hier allein mit den Problemen dasitze.

Jennifer heult die ganze Zeit, weil sie so gerne gehabt hätte, dass Mark bei uns einzieht, sagt sie. Das macht mir noch weniger Lust, ihn zu behalten. Ich sehe das schon kommen: Die Kinder ziehen zu Dieter und seiner Silke, Mark macht sich aus dem Staub wegen seiner Berge und ich stehe dann ganz allein da. Ohne Familie, ohne Liebhaber und ohne Qigong-Kurs.

Ich glaube nicht, dass ich im Sommer wegfahren kann. Keine Minute kann ich dieses Flittchen aus den Augen lassen. Irgendetwas wird mir schon einfallen, um Dieter wieder auf den Pfad zur Tugend zu führen.

Wild entschlossen Deine Sabine

21. Mai – Stella hört die Flöhe husten und warnt Sabine

Liebe Sabine!

Ich möchte ja nicht sagen, hättest du mal auf mich gehört. Aber recht geschähe es dir. Nur eines sage ich dir, mir kommt das spanisch vor, dass dein Dieter so zahm ist. Da stimmt doch etwas nicht.

Bist du sicher, dass er nicht schon längst eine Freundin hat?

Das wäre in meinen Augen die einzig sinnvolle Erklärung. Es kommt ihm gelegen. Wenn nicht wegen einer Geliebten, dann aus anderen Gründen.

Aber vielleicht haben wir alle deinen Dieter auch unterschätzt und es ist ein Heiliger an ihm verloren gegangen.

Nun ja, ich glaub es ja auch nicht.

Komm auf jeden Fall mit nach Sardinien, das wird dir guttun. Es gibt auch massenweise schöne Männer, die dort am Strand rumspazieren und reich aussehenden Touristinnen den Hof machen. Das wird dich ablenken.

Wenn es nicht so profan sein soll, es gibt auch eine Menge Kultur zu begucken oder belege einen Bildhauerkurs. Die Leitung hat da allerdings eine Frau. Aber das ist vielleicht ganz gut so. Du musst nicht jeden Kursleiter anhimmeln. Also meine Liebe, mir pressiert’s.

Halte mich auf dem Laufenden und die Ohren steif.

Herzlich Deine Stella

20. Mai – Stella erkennt, Sabine macht mal wieder, was sie will und nicht soll

Liebe Stella,

vielen Dank für deine Nachricht. Leider kam sie zu spät. Es stimmt, dein Vorschlag hatte viel Schönes, aber du weißt, wie sehr ich Heimlichkeiten hasse. Nun ist es also passiert. Ich habe Dieter alles gebeichtet.

Und du wirst es nicht glauben, ich bin aus allen Wolken gefallen.

Anstatt – wie ich erwartet hatte – wutschnaubend nach der Adresse von diesem Mark zu fragen, um ihn zu verprügeln, war er völlig lammfromm. Sagte tatsächlich, er wäre ja auch seit längerem mit der Gesamtsituation unzufrieden. Und wenn ich mich trennen wolle, hätte er nichts dagegen. Der Qigong-Lehrer könne auch ruhig hier einziehen, er nähme dann die Einliegerwohnung. Das wäre sicherlich das Beste für die Kinder.

Hast du sowas schonmal gehört?

Ist der Mann verrückt geworden, sind ihm die Eier abgefallen?

Stella, entschuldigen diesen Ausdruck, aber mir fehlten wirklich die Worte.

Kein bisschen Kampf von seiner Seite, lässt mich einfach ziehen. Dann sagt er noch, er schaue sich dann auch nach etwas Frischem um.

Das ist ja wohl die Höhe. Als sei ich nicht mehr frisch.

Dieser alte Esel, kaum noch ein Haar auf dem Kopf, seit Jahren nur noch Bierstemmen trainiert und dann sowas!

Ich war dann so sauer, dass ich Mark für das nächste Wochenende zum Probewohnen eingeladen habe. Die Kinder sollten ihn ja auch kennenlernen.

Und liebe Stella, du hattest völlig Recht. Hätte ich nur geschwiegen und genossen.
Jetzt habe ich den Salat.

Jennifer himmelt Mark an. Nun ja, sie ist ja auch nur 12 Jahre jünger als er, da kann das schonmal vorkommen. Zum Glück steht Mark nicht auf so junges Gemüse. Sagt er jedenfalls.

Und sogar Tom kann Mark prima leiden. Sie haben sich mindesten für 4 Stunden in sein Zimmer verzogen, um irgendein Computerspiel zu zocken.

Also ehrlich, ich wollte nicht drei Kinder haben.

Jetzt bin ich mit der Gesamtsituation unzufrieden.

Und wenn der Sex nicht so sensationell wäre, dann hätte ich diesen Mark wohl längst rausgeworfen.

Dieter ist immer noch ganz zahm. Das muss doch ein Trick sein.

Bitte Gott gib, dass mein Mann nicht ein solcher Schlappschwanz ist!

Du siehst, ich habe mich ordentlich in die Sch… geritten. Vielleicht nehme ich dein Angebot an und lasse mir die Sonne in Sardinien auf den Pelz brennen.

Ein bisschen Abstand tut sicherlich gut.

Schön zu hören, dass bei dir alles beim Alten ist. Wir können dann ja in Ruhe quatschen, wenn wir uns im Sommer persönlich treffen.

Liebe Grüße deine Sabine

19. Mai – Stella erteilt Sabine bereitwillig Ratschläge

Liebe Sabine!

Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Was redest du denn für einen Unsinn? Hast du denn noch nie von Genießen und Schweigen gehört? Na also.

Meine Liebe, fälle keine übereilten Entscheidungen. Viel besser wäre es, du achtest darauf, dass dein Dieter nichts erfährt und dass dein Mark die Füße still hält.

Was Männer seit Millionen von Jahren mit Sekretärinnen machen, wirst du ja wohl mit einem Qigong-Lehrer hinbekommen.

Was ist denn das überhaupt wieder für ein Unsinn?

Kannst Du nicht Yoga machen wie jede?

Nun ja, Sabine. Ich weiß ja, dass es bei dir immer schon besonders sein musste.
Wenn alle Jeans trugen, dann mussten es für dich Cordhosen sein.

Wenn alle Frauen sich wild in die Karriere stürzen, da heiratetest du Dieter und bekamst zwei Kinder.

Sehr reizende Kinder, aber du hättest sie etwas besser erziehen können. Jennifer hat mir immer noch nicht für mein Patengeschenk gedankt.

Nun ja, genug davon.

Bei mir ist alles beim Alten. Im Augenblicke denke ich nicht daran, meinen Lebensgefährten zu wechseln.

Meine Projekte werfen ordentlich Profit ab und ich werde wohl für einen Monat Sommerpause in meinem Haus auf Sardinien machen.

Wenn du nicht weiter weißt, dann komm doch einfach mit. Für dich habe ich immer ein Zimmer frei. Den Flug kann ich dir auch bezahlen. Also keine falsche Scheu.
Wofür arbeite ich sonst?

Und wirklich, Sabine. Sag bloß Dieter nichts davon. So lange schläfst du doch noch nicht mit dem Burschen. Das sind nur die Hormone, die da aufwallen.

Also, sei besonnen und ruinier dir nicht die Ehe. Auch wenn es zu den paar Höhen viele Tiefen gab, es ist doch schön, wenn du jemanden hast, zu dem du nach Hause kommen kannst und weißt, was dich erwartet. Wir werden ja auch nicht jünger. Vergiss das nicht.

Herzlich Deine Stella

18. Mai – Sabine bittet Stella um Rat

Liebe Stella!

Entschuldige bitte, dass ich dir erst jetzt schreibe. Aber ich hatte sehr viel um die Ohren. Vielleicht ist es dir auch schon einmal so ergangen. Kaum ist frau knapp 20 Jahre verheiratet, hat sie manchmal das Gefühl, es könnte auch noch etwas Besseres geben. Und sagt man nicht auch so: Aufhören, wenn es am schönsten ist.

Na, den Tag habe ich wahrscheinlich schon verpasst. Du kennst ja Dieter. Nun zur Sache. Ich konnte dir nicht schreiben, weil ich mich verliebt habe.

Da denkst du jetzt wahrscheinlich. Ui, so ein altes Reff und verliebt sich noch einmal. Nun ja, es ist eben Frühling, wirst du denken, da können so Flirren schonmal aufkommen.
Glaubst du denn liebe Stella, ich hätte mir derlei Vorhaltungen nicht schon selbst zu Genüge gemacht?

Eben. Es hat nur nichts genützt. Ich habe mich einfach verliebt.

Zuerst wies ich mich selbst zurecht, ich olle Frau, zwei Kinder, Mann und Katze zu Hause und verknallt sich dann in ihren – übrigens toll gebauten und auch gar nicht dummen – Qigong-Lehrer. Vor allem sind ja bestimmt alle Weiber in dem Kurs in den Burschen verknallt, dachte ich mir, so wie der ausschaut und wie der nett ist. So zuvorkommend und einfühlsam irgendwie. Aber dann ist was Merkwürdiges passiert.

Die ganze Qigong-Gruppe hat sich an Pfingsten zum Grillen verabredet und da kam er natürlich auch. Und als es dann schon langsam Abend wurde, ich hatte gerade gar nicht an den Qigong-Lehrer gedacht, der heißt übrigens Mark, also nein, ich überlegte gerade, ob Dieter wohl auch daran denken wird Jennifer aus der Disco abzuholen, wie wir es besprochen hatten und ob ich ihn besser nochmal anrufe, da setzte sich Mark neben mich, mit einem Glas Erdbeerbowle für mich in der Hand.

Er fragte mich, was ich beruflich mache, und so kamen wir ins Gespräch. Und schließlich, nach dem zweiten Glas Bowle rückte er damit raus, dass er mich sehr gut leiden könne.
Wow, Stella, da war ich baff. Der Junge ist gerade mal 28! Ob der wohl einen Mutterkomplex hat, habe ich dann vermutet. Aber ich war ja nun selbst rettungslos in ihn verschossen. Da fiel es mir natürlich schwer, einen klaren Kopf zu behalten. Er ist auch einfach zu niedlich mit seinem Grübchen im Kinn und den dunklen Haaren. Immerhin hat er noch Haare!
Du kennst ja Dieter. Es kam also wie es kommen musste.

Und jetzt will Mark mit mir zusammenziehen. Ich würde ja schon gerne. Du erinnerst dich sicher, wie das ist in der ersten Verliebtheit, da erscheint ja alles möglich und rosarot.
Nur, was wird Dieter dazu sagen und die Kinder?

Will ich fast 20 Jahre Ehe wirklich einfach hinschmeißen wegen eines Qigong-Lehrers?
Ach, liebe Stella, was würdest du tun. Bitte antworte mir schnell.

Deine völlig verrückt gewordene Sabine

17. Mai – Mein Leben in der Provinz

Vor fast fünfzehn Jahren hat mich die Liebe aus der großen Stadt in ein kleines Nest am Rande von nirgendwo geführt und dort festgehalten. Für mich als Stadtmensch war es natürlich ein übler Kulturschock mich plötzlich mitten in der so genannten Provinz zu finden. Aber, meine geneigten Leser, Sie werden feststellen, dass so ein Leben in der Provinz nicht nur mit Entbehrungen verbunden ist. Aber es bedurfte natürlich einer gewissen Eingewöhnungszeit, bevor ein Zugezogener wie ich, von den Ur-Einwohnern akzeptiert wurde. Im letzten Jahr hatte ich langsam den Eindruck, es könnte so weit sein. Aber wahrscheinlich verdanke ich diese letztendlich doch freundliche Aufnahme allein dem Umstand, dass ich der Ehemann einer Eingeborenen geworden bin.

Als ich in Walden ankam, um meine Liebste das erste Mal zu besuchen, beging ich sofort einen nahezu unverzeihlichen Fehler. Ich parkte mein Auto beim Nachbarn gegenüber vor der Tür. Das tut man nicht! Ganz anders als in der großen Stadt, wo ich gewohnt war, überall dort zu parken, wo gerade Platz ist – auch mal in zweiter Reihe, mitten auf dem Bürgersteig oder direkt an der Straßenecke, hat mich das Überangebot an freiem Platz derart verwirrt, dass ich einfach in Fahrtrichtung rechts gegenüber dem Elternhaus meiner Liebsten geparkt habe.

Die Mutter meiner Liebsten verzieh mir zwar meine Unkenntnis, ließ sich aber nicht davon abhalten, mir umständlich zu erzählen, wie es sie verwundert hatte, dass dort beim Nachbarn ein unbekanntes Auto stand. Denn es war auch keines der Fahrzeuge, die üblicherweise beim Nachbarn stehen, wenn zum Beispiel seine Kinder zu Besuch kommen oder der Versicherungsvertreter, der die ganze Straße rauf und runter als Kundschaft hatte, außer dem Frantz Ludwig, der war bei der Allianz. Voller Verwunderung hatte sie mit ihrem Mann diskutiert, wessen Fahrzeug es wohl sein könne, bis sie schließlich darauf kamen, dass es sich wohl um mein Auto gehandelt habe und ich mich ja ganz falsch hingestellt hatte. Nun strahlte mich meine Schwiegermutter in spe zufrieden an. Ich wagte es nie wieder, mein Auto vor dem Haus des Nachbarn zu parken.

In den Anfangszeiten verbrachte ich nur die Wochenenden bei meiner Liebsten. Es war immer ein sehr weiter Weg von der Stadt nach Walden. Ab und zu vergaß ich zu Hause irgendeine wichtige Kleinigkeit und musste mir dann von den Eltern meiner Liebsten aushelfen lassen. Allerdings war das auch bei den unmöglichsten Utensilien kein Problem. Der Vater meiner Liebsten schien so ziemlich alles, was man jemals gebraucht hat oder brauchen könnte, in seiner Doppelgarage oder auf dem Dachboden oder im Gartenhäuschen aufzubewahren. Dennoch kam einmal der Tag, als der Keilriemen meines Autos riss und ich dringend einen neuen brauchte. Es gab in Walden natürlich auch eine Art Mechaniker namens „Biene“. Der hatte zwar keine Werkstatt, sondern arbeitete in seiner Scheune, aber er wurde mir als derjenige benannt, der alle Autoersatzteile führe oder doch in kürzester Zeit beschaffen könne. Ich bat also meine Schwiegereltern in spe darum, mir den Weg zu beschreiben.

„Ach, das ist ganz einfach. Du gehst erst mal die Straße runter und dann an der Ecke, wo der Schreiber Lennart früher gewohnt hat – da wohnt jetzt glaub ich der Enkel vom Marie – der Lutz oder Fritz, der beim VW schafft und die Modellflugzeuge baut“

„Nein“ fällt der Papa der Mama ins Wort, „da wohnt doch jetzt der Lumpi, der Sohn von der Hanni, jedenfalls gehste an der Ecke rechts rein. Und dann, wo der Henner Schorsch seinen Garten hat, da gibt’s einen Fußweg. Da geht’s den Berg runner. Beim Danzer Karl gehste links und dann ist es das dritte Haus mit der großen Scheune, direkt neben dem Haus vom Lisbeth.“
„Könnt ihr mir nicht die Straße und Hausnummer sagen?“, wagte ich, zu fragen, und erntete verständnislose Blicke. Straßenschilder sind hier nur für die Auswärtigen angebracht, kein Eingeborener beachtet sie. Ich ließ mich schließlich von meiner liebsten zu „Biene“ führen, von dem ich bis heute nicht weiß, wie er eigentlich mit richtigem Namen heißt. Aber er war mein Retter in der Not und kramte aus seinem unerschöpflichen Vorrat an Ersatzteilen tatsächlich einen passenden Keilriemen hervor. Den zu montieren übernahm dann mein Schwiegervater in spe gemeinsam mit meiner Liebsten. Die bastelte in ihrer Freizeit sowieso gerne an Autos. Ich hatte so was bisher nur irgendwelche Automechaniker erledigen lassen und war für die Hilfestellung sehr dankbar.

Allerdings erschien ich in den Augen des Vaters meiner Freundin nach dieser Episode nicht mehr als so besonders gute Partie. Aber meine Liebste verteidigte mich nach Kräften. Ich sei nun mal ein Stadtkind, da liefe eben alles etwas anders ab. Mit dem Seufzer „er is halt aus der Stadt“ wurde in Zukunft jegliches Fehlverhalten von mir entschuldigt.

Den nächsten, größeren Fauxpas erlaubte ich mir, als meine Liebste und ich bereits zusammengezogen waren. Ich hatte Geburtstag und alle meine Freunde zu einer Feier eingeladen. Es gab statt einer Torte selbst gemachte Windbeutel mit Sahne und frischen Erdbeeren. Da ich ein paar mehr gemacht hatte, kam ich auf die Idee, meinen Quasi-Schwiegereltern zum Kaffee ein paar Windbeutel vorbei zubringen. Völlig unschuldig erzählte ich von meiner Geburtstagsparty und dass ich ihnen ein paar Windbeutel zum Kosten rein reichen wollte. Die wurden auch dankend entgegengenommen. Ich bemerkte nichts Übles. Aber später erzählte mir meine Liebste, ihre Eltern seien tödlich beleidigt gewesen, weil ich sie nicht zu meiner Party eingeladen hatte.

Ich fiel aus allen Wolken. Wer um Himmelswillen lädt denn bitteschön seine Eltern oder Schwiegereltern oder womöglich noch Oma und Opa zu seiner Geburtstagsfete ein? Tja, in Walden tut das jeder. Hier mussten zur Geburtstagsparty auch des pubertierendsten Teenagers auf jeden Fall Oma und Opa sowie die Godel – die Patentante – und auch alle weiteren Tanten und Onkel und sogar Nachbarn eingeladen werden. Natürlich auch ein paar Freunde des Jugendlichen. Manche Leute feiern zweimal, damit die unterschiedlichen Interessen der Gäste nicht allzu sehr kollidieren. Aber es darf niemals – ich wiederhole niemals – darauf verzichtet werden die gesamte Sippschaft zum Geburtstag einzuladen.

Seither feiere ich offiziell keinen Geburtstag mehr. Meine Freunde lade ich natürlich ein, aber sicherheitshalber in eine Kneipe in der nächsten, größeren Gemeinde. Hier verirrt sich selten ein Waldener hin. Und meine Liebste verrät mich zum Glück nicht, sie feiert inzwischen auch keinen Geburtstag mehr.

16. Mai – Auf der Suche nach dem ICH

Auf der Suche nach dem ICH. „Von Natur aus gehörst du auf jeden Fall zu den Einfältigen! Das sieht ein jeder“, der Professor zog mir am Ohr und schaute mit seinem Apparat hinein. „Mmh, mmh“, sagte er dann. „Es ist auch eindeutig, dass da eine Spur, aber nur eine Spur, Weisheit und Güte zu finden sind Tja, interessante Mischung.“

Er ließ mich den Mund öffnen und „Ahhh“ sagen. Der Holzspatel fühlte sich merkwürdig rauh auf meiner Zunge an.

Dann warf der Professor den Spatel in den Müll und tastete meinen Hals ab.

„Mmh, mmh“, hörte ich ihn nur noch in sich hineinbrummen. Also fasste ich mich in Geduld. Irgendwann würde er sicher zu einem Ergebnis kommen und ich wüsste endlich, wer ich wirklich bin.

Schon lange versuchte ich, diese Frage zu beantworten.

Ich hatte in meinen Personalausweis gesehen.

Ich hatte meine Eltern gefragt, meine Geschwister und meine Freunde, schließlich sogar meine Feinde.

Danach war ich so ratlos wie nie zuvor.

Mein Vater sagte, ich sei eine verzogene Göre, der er rechtzeitig Zucht und Ordnung beigebracht hätte, wenn er mal zu Hause gewesen wäre.

Meine Mutter meinte, ich sei ein liebes Mädchen, das ein wenig zu sehr im Wolkenkuckucksheim schwebe, aber sonst sehr umgänglich und hilfsbereit.

Mein Bruder sagte, ich sei eine elende Nervensäge gewesen, solange wir noch Kinder waren. Aber inzwischen könne er mich gut leiden.

Meine Schwester habe mich gehasst, weil ich so ein Chaot sei, nie könne ich Ordnung halten, auf meinem Schreibtisch hätten sich immer die Schulsachen und Bücher und Schreibpapiere gestapelt. Aber auch sie könne mich inzwischen gut leiden. Was ich auf meinem Schreibtisch veranstalte, interessiere sie ja nicht mehr.

Meine Freunde sagten, ich sei eine gute Zuhörerin und immer für sie da.
Meine Feinde sagten, ich sei eine blöde Ziege, die arrogant und unfreundlich sei und nicht, bis drei zählen könne.

Und ich selbst?

Tja, ich schaute mir selbst zu, war mal blöde Ziege, mal gute Zuhörerin, Chaotin, Nervensäge, liebes Mädchen, verzogene Göre und noch tausenderlei mehr.

Was davon war nun das berühmte ICH, von dem immer alle sprachen.

So kam ich auf die Idee, einen Professor zu fragen.

Der müsse so etwas ja wissen, dachte ich mir. Und deshalb stand ich jetzt frierend in meiner Unterwäsche und harrte der Beurteilung.

„Mmh, mmh“-Professor Bartelberg war mit seiner Untersuchung inzwischen am Ende angelangt und schnarrte: „Du kannst Dich wieder anziehen.“

Als ich aus der Kabine zurückkehrte, war der Professor verschwunden. Nur sein Assistent wartete noch auf mich.

Was denn nun mit dem Ergebnis sei, fragte ich.

„Wird zugeschickt“, kam es lapidar zurück.

Und nun warte ich.

Vielleicht rufe ich inzwischen die Auskunft an.

Vielleicht wissen die ja, wer ich bin.

15. Mai – Ein Lied

Wenn ich ein Lied schreiben müsste, handelte es von – wow, das ist gar nicht so einfach. Ich weiß nur, wovon es garantiert nicht handeln wird: Von der ewigen Liebe zwischen Mann und Frau (oder Frau und Frau, Mann und Mann).

Könnt Ihr das ehrlich noch sehen und hören.

Immer dieses Geseier und Gewimmer: Oh, sie liebt mich nicht, uh, sie liebt mich doch. Ich gehöre zu dir oder du zu mir.

Und überhaupt: Ist das die einzige verdammte Erfüllung im Leben, außer vielleicht noch Einkaufen und Nachlesen, wie man ihn/sie glücklich macht?

Hallo, Gehirnwäsche!

Wenn ich ein Lied schriebe, dann handelte es davon, dass es viele Wege gibt, glücklich zu sein.

Wenn ich ein Lied schriebe, dann handelte es von Aufbruch und Hoffnung, von dem Abenteuer das GANZE Leben zu erfahren und in sich aufzunehmen.

Es handelte schlicht und ergreifend davon, wie schön es ist am Leben zu sein. –
Oh, das gibt’s schon…

14. Mai – Mathilde schnarcht ein wenig

Mortimer stellte den Fernseher lauter. Dieses lärmende Schnarchen von Mathilde war nicht mehr zu ertragen. Jetzt grunzte sie laut, drehte sich um und schnorrte in einer anderen Tonart. Beim Einatmen pfiff es so merkwürdig.

Kein Lautsprecher der Welt würde dieses unerträgliche Geräusch aus Mathildes Rachen übertönen.

Mortimer stöhnte.

Er hatte es mit Stupsen versucht.

Der Erfolg war Mathildes Wechsel in die Rückenlage und lautes Bärenschnarchen.

Dann war ihm beim Besprengen der Braunlilien ganz aus Versehen etwas Wasser aus der Blumenspritze in Mathildes Richtung entglitten.

Sie drehte sich auf den Bauch. Das Schnarchen klang danach wie unterirdisches Donnergrollen.

Dann der Fernseher. Mortimer konnte kein Wort verstehen, aber Mathilde drehte sich wieder und schnarchte einfach weiter.

Was sollte er noch versuchen?

Also gut, er schaltete den Fernseher ab. Er schloss die Tür zum Wohnzimmer, durchquerte das ganze Haus. Am entlegensten Ende des Flures lag sein Arbeitszimmer. Er ging hinein, schloss sorgfältig die Tür.

Mathilde schnarchte. Eindeutig.

Vielleicht übertönte das Lüftergeräusch des Rechners endlich dieses fürchterliche Schnarchen.

Aber nein, der Computer war ein ganz neues, flüsterleises Modell und somit völlig ungeeignet Mathildes Geräuschpegel zu übertönen.

Dann half nur Musik.

Er legte Beethoven auf, Eroica. Zumindest die lauten Passagen übertönten das Schnarchen am anderen Ende des Flures.

Mortimer atmete tief ein. Ruhe senkte sich in sein Herz.

Mit einem lauten Krachen flog die Zimmertür auf.

„Musst du so einen Lärm machen? Da kann ja kein Mensch schlafen. Nie lässt du mich in Ruhe mein Mittagsschläfchen halten“, füllte Mathilde drohend den Türrahmen.

„Mein Liebes! Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe. Ich mach’ schon leise.“ Er drehte am Regler fast auf null.

Mathilde knurrte nur und wankte hinaus in Richtung Küche, den Teekessel aufsetzen.
Verdrießlich schaute Mortimer aus dem Fenster.

Immerhin war es jetzt wieder angenehm ruhig.

Vielleicht würde er sich morgen trauen, Mathilde auf ihr Schnarchen anzusprechen.
Er betrachtete seine Fingerspitzen.

Darauf wetten würde er allerdings nicht.

13. Mai – Georg und seine Hanni

Georg saß wie jeden Morgen am Frühstückstisch und las Zeitung. Er schlürfte an seinem Kaffee, wartete auf seinen Toast. Und wartete, und wartete.

„Hanni, Hanni!“, rief er schließlich in Richtung Küche. „Wo bleibst Du denn?“

Aber nichts keine Antwort. Das kam Georg nun aber doch merkwürdig vor. Umständlich faltete er seine Zeitung wieder zusammen, legte sie neben seinen Teller und strich sie noch einmal glatt. „Hanni!“, rief er noch einmal laut. Vielleicht ließ sich die Anstrengung des Aufstehens ja doch noch vermeiden.

Aber nein. Nichts zu hören, weder aus der Küche noch sonst irgendwoher aus dem Haus. Es war in der Tat verdächtig ruhig. Also wuchtete sich Georg mühsam aus seinem Stuhl und ging in die Küche. Leer. Niemand da. Auch der Toaster war nicht eingeschaltet. Also wirklich. Dann vielleicht im Bad. Georg öffnete die Tür. Nichts.

„Hanni!“ Weiter ins Schlafzimmer. Die Betten waren ordentlich gemacht und leer. Georg schaute auch hinter die Tür. Nein, auch hier keine Hanni. Bügelzimmer. Fehlanzeige. Keller. Georg machte nur die Tür auf und rief hinunter. Da kein Licht eingeschaltet war, konnte Hanni ja schlecht dort unten sein. Hatte er irgendetwas vergessen.

Musste Hanni vielleicht heute zum Arzt? Georg ging rüber in die Garage. Das Auto war aber noch da. Merkwürdig. Wo war denn Hanni bloß. Das gab es doch nicht. Seine Frau konnte doch nicht einfach so verschwinden. Schließlich ging Georg wieder ins Esszimmer. Irgendwann musste Hanni ja wiederkommen.

So saß er da, ab und zu strich er seine Zeitung noch einmal glatt und schaute auf die Uhr. Kurz nach zwölf klingelte es an der Tür. Georg öffnete. Eine junge Frau stand dort, sie hatte einen Kasten aus geschäumten Kunststoff in der Hand. Freundlich lächelnd drängte sie sich an Georg vorbei.

„Hallo, Herr Schneider! Wie geht’s Ihnen denn heute?“

Die Frau ging durch den Flur ins Esszimmer, stellte den geschäumten Kasten auf den Tisch, öffnete ihn und holte eine Aluminiumschale heraus.

„Oh, heiß! Passen Sie dann auf beim Essen, gell!“

Die Frau packte den Kasten unter den Arm und ging wieder hinaus in den Flur, an Georg vorbei, der ihr verwirrt nachblickte.

Dann schlug die Tür zu und Georg war wieder allein. Er setzte sich.

Ach, Hanni hatte ihm ein Fertiggericht gemacht. Sie musste heute bestimmt in die Klinik. Das war’s. Genau.

Er zog den Aluminiumdeckel von der Schale. Vorsichtig, die Schale war heiß.
Das roch gut, natürlich nicht so gut, wie das Essen, das Hanni selbst kochte.

Georg begann zu essen. Nachher, wenn Hanni wieder kam, würden sie gemeinsam Kaffee trinken wie immer.

Vielleicht brachte sie ein paar von den Buchteln mit, die er so mochte.