21. September – Sonntagskind

Gerhard war ein Sonntagskind, denn er wurde an einem Sonntag geboren. Die Hebamme war wütend, weil er ihr den guten Sonntagsbraten, das leckere Kaffeetrinken am Nachmittag und sogar noch das Abendbrot vermieste. Die Wehen dauerten ewig und jedes Mal, wenn die Hebamme Hedwig sich gerade verabschiedet hatte, weil es noch eine Weile dauern würde, bis es richtig losging, und weil sie endlich an ihren Mittagstisch, Kaffeetisch, Abendbrottisch zurückkehren wollte, da machte Gerhard schon wieder derartige Anstalten, nun endlich doch herausgepresst werden zu wollen, dass seine Mutter schrie und sein Vater rannte, um Hedwig zu holen.

Hedwig kam jedes Mal kauend an die Tür, als Gerhards Vater wieder läutete. Er völlig aufgelöst. Außer Atem. Weiß im Gesicht mit roten Flecken. Kaum fähig ein vernünftiges Wort herauszubringen. Es war sein erstes Kind, die erste Geburt, die er miterlebte und er litt mit seiner Frau. Die krümmte sich und schrie, wollte das Kind endlich da heraus haben aus dem Bauch. Und Gerhard schien ja auch zu wollen. Aber dann auch wieder nicht. Vielleicht war ihm auch nur Hedwig nicht angenehm. Denn kaum hatte sie nach dem voraneilenden Vater das Haus betreten, hielt Gerhard plötzlich still. Versuchte sich im Uterus seiner Mutter zu verkriechen.
Das war doch nur Spaß, das war doch nicht Ernst gemeint. Da raus auf diese Welt? Hervorgepresst und herausgezerrt in Hedwigs Arme?

Das konnte niemals der Ernst seiner Mutter sein. Wie schön war es da doch im gluckernden, wunderbaren Bauch. Jederzeit versorgt, aufgehoben und sicher. Nur sehr eng derweil. Das musste Gerhard doch zugeben. Und er wollte ja, wollte ja endlich hier heraus und kennenlernen, was er nur von innen spürte. Seine Mama hatte ihm so viel erzählt, sein Papa so viel versprochen. Aber dann Hedwig. Die Schritte donnernd, die Stimme irgendwie rau und herrisch. Sie schimpfte mit Mama und schimpfte mit Papa. Wie konnte Gerhard da hervorkommen wollen? Ach welche Erleichterung als diese Person wieder hinausgestampft war, sich Stille ausbreitete.

Vielleicht sollte er es doch noch einmal versuchen. Auch wenn Mama sich wand vor Schmerzen. Er konnte das nun wirklich nicht ändern. Wieder schrumpfen, sich in Luft auflösen. Als sei es nicht schon anstrengend genug und beklemmend genug und da klingelte die Nachbarin. Eine liebe Frau, sehr erfahren und auch sie konnte Hedwig nicht leiden, was Gerhard sehr vernünftig fand.

Mit leisen Schritten kam sie herein, die Stimme eine Wohltat. So voller Freude und Liebe. Sanfte, kühle Hände hatte sie. Legte sie auf Mamas Stirn, beruhigte sie, half ihr und plötzlich mochte Gerhard nicht mehr länger warten. In ihre Welt wollte er gerne kommen und so wurde Gerhard an einem Sonntag geboren. Eine Viertelstunde vor Mitternacht. Und anstatt zu schreien, lachte er. Ein Sonntagskind eben.