24. Dezember – Heiligabend Dienst

An Heiligabend Dienst haben, ist das Letzte, was sich eine Polizistin wünscht. Viel lieber säßen meine Kollegen und ich daheim mit der Familie um den Weihnachtsbaum. Lieder singen, Geschenke auspacken, leckeres Essen, vielleicht vorher noch in die Christmette.
Auf jeden Fall behaglicher als den Abend auf der Wache in Bereitschaft oder sogar im Einsatz zu verbringen. Neben sechs weiteren Kollegen hat es diesmal auch Gunnar und mich erwischt. Uns beide zum ersten Mal. Ein Lichtblick ist, dass wir wenigstens Silvester frei haben werden.

Den ganzen Nachmittag blieb es bisher ruhig und wir freuen uns schon, dass wir vielleicht doch einfach mit den anderen auf der Wache feiern können. Aber Otto unkt, das sei nur die Ruhe vor dem Sturm.

Arne und Carlotta grinsen sich geheimnisvoll zu. Irgendetwas läuft hier, aber mir ist nicht klar was. Ich schaue ratlos zu Gunnar, aber der zuckt nur mit den Schultern. Kurz vor sechs kommt dann doch eine Meldung rein. Häusliche Gewalt in der Lindolsgasse. Gunnar und ich rücken aus.

„Ausgerechnet an Weihnachten“, sagt Gunnar, als ich den Wagen Richtung Lindolsgasse lenke.

„Tja, weißt ja, an Weihnachten wollen alle auf Harmonie machen, da kommen dann die verdeckten Aggressionen erst Recht raus.“

„Komisch, aber in der Lindolsgasse hatten wir noch nie nen Einsatz. Ist doch eine ruhige Gegend.“

„Werden sehen“, sage ich und biege in die Straße ein. Es ist wirklich ruhig hier. Lauter kleine Einfamilienhäuschen und das in Innenstadtnähe. Fast jedes Haus ist geschmückt. Rentierschlitten und Weihnachtssterne leuchten um die Wette. Das am meisten geschmückte Haus ist es. Ausgerechnet.

Gunnar und ich steigen aus und klingeln. Eine alte Frau macht auf. Eigentlich sieht das gar nicht nach häuslicher Gewalt aus. Ein älterer Herr erscheint und bittet uns herein. Es duftet nach Bratäpfeln.

„Kommen Sie nur, kommen Sie!“ Die Frau führt uns ins Wohnzimmer. Dort leuchtet ein Christbaum in wunderschönen Farben. Eine große Tafel ist festlich gedeckt. Gunnar und ich schauen uns um und dann ratlos an.

„Ich glaube die beiden sind neu“, sagt die Frau zu ihrem Mann.

„Mmh“, brummt er. Dann wendet er sich an uns. „Nehmen Sie nur Platz, nehmen Sie Platz“, scheucht er uns in Richtung Esstisch.

Unschlüssig treten wir von einem Bein auf das andere. Ich weiß selbst nicht, warum wir plötzlich so schüchtern sind.

„Das ist doch eine Schande, dass sie an Heiligabend arbeiten müssen. Nicht wahr?“, sagt der Alte.

Natürlich stimmen wir zu.

„Deshalb gibt es seit einigen Jahren bei uns immer einen ganz schlimmen Fall von häuslicher Gewalt. Weihnachtskoller, verstehen Sie! Ich glaube, Sie sollten unbedingt Verstärkung rufen.“

Plötzlich fällt bei mir der Groschen und ich rufe gehorsam die Kollegen zu Hilfe. Der Tisch biegt sich vor lauter Leckereien. Da brauchen wir tatsächlich Verstärkung. Ich frage mich nur, was wir morgen in unseren Bericht schreiben werden.