24. September – Herberts Pech

Herbert hatte immer Pech gehabt im Leben. Lange hatte er das selbst nicht wahrhaben wollen, aber dann musste er es doch einsehen. All das, was ihm widerfahren war, konnte nur Pech sein, schlechtes Karma oder womöglich die Rache Gottes.

Bereits als kleiner Junge gehörte Herbert immer zu den Kindern, die nur die unmöglichsten Klamotten ihrer älteren Geschwister auftragen mussten. Bereits als vierjähriger musste er eine Brille tragen. So ein fieses Horngestell, die Gläser größer als seine Handteller. Sah besonders toll aus zu seinen abstehenden Ohren, der Zahnlücke und den dünnen Fusselhaaren. Auch mit dem Lernen in der Schule lief es nicht so toll, irgendetwas oder irgendjemand gelang es immer, Herbert abzulenken. Also hagelte es Einträge und Elterngespräche. Dabei gab Herbert sich wirklich Mühe aufzupassen. Sehr große Mühe. Aber dann saß eine kleine Meise auf dem Fensterbrett oder eine Spinne in der Zimmerecke spann kunstvoll ihr Netz oder ein Mitschüler hatte prima Comics dabei.

Herbert wuchs lange kaum. Seine Schulkameraden überragten ihnen alle um etliche Zentimeter. Erst mit 15 Jahren tat er plötzlich einen Schuss und war lang und klapperdürr statt klein und schlaksig. Mädchen interessierten sich überhaupt nicht für ihn. Die fanden ihn bloß merkwürdig, weil er sich immer für Vögel, Insekten und Kriechtiere aller Art begeisterte. Er baute auch Labyrinthe für Mäuse und Hamster. Dann schaute er ihnen stundenlang zu, wie sie dort herumliefen und in einer Ecke Futter fanden, in der nächsten Wasser oder sich immer wieder auf dem Weg dazu verirrten. Seinen Hauptschulabschluss schaffte er mit Ach und Krach. Eine Lehrstelle war einfach nicht aufzutreiben. Ab und zu gelang es ihm, einen Gelegenheitsjob zu finden. Aber niemals blieb er lange irgendwo. Die anderen Mitarbeiter fanden ihn merkwürdig und die Chefs zu langsam und unkommunikativ. Also blieb er in seinem Kinderzimmer wohnen, bis er 35 Jahre alt war.

Da geschah plötzlich etwas Unerwartetes. Es schien, als würde Herbert plötzlich durch eine geballte Ladung Glück für das Elend seines Lebens entschädigt werden. Die Vorsehung sandte einen Lichtstrahl zu Boden und traf ausgerechnet Herbert. Das Glück trat in Gestalt einer TV-Redaktion in Herberts Leben. Die suchten skurrile Leute für ihre RealityReportagen. Das wirkliche wahre Leben hat ja jeder selbst daheim. Aber Herbert war natürlich eine Ausnahme. Sie bauten ihn auf als armen Kerl, der immer Pech im Leben gehabt hatte und nun endlich einmal die Chance auf ein Leben im Glück haben sollte. Wobei Glück bedeutete, von irgendeinem EbisF-Promi in den sogenannten Jetset eingeführt zu werden und im Finale tolle Frauen zu bezirzen, die ihm dann zu Füßen liegen sollten. Dazu brauchte Herbert natürlich eine Beauty-Behandlung, neue Kontaktlinsen, schicke Klamotten, einen Tanztrainer, einen Benimm-Trainer und etliche Coachings mehr. Dabei wurde er von der Kamera begleitet.

Aber Herbert spielte gar nicht mit, wie es die Fernsehfritzen erwartet hatten. Er stolperte auf Entdeckungsreise durch den Wellness-Tempel, aß die Gurkenmaske lieber auf und fand sie delikat, er verweigerte die Kontaktlinsen, seine neuen Klamotten fand er Scheiße und trug lieber die alten karierten Sakkos von Opa Herrmann auf. Dem Tanzlehrer brachte er erst einmal bei, wie Mäuse und Ratten tanzten. Das hatte Herbert schließlich lange genug beobachtet. Und der Benimm-Lehrer nahm nach einer knappen Viertelstunde Reißaus. Herbert sei beratungsresistent. Trotzdem schleppte ihn der EbisF-Promi auf eine IN-Party, die Kameraleute immer schön dabei. In der Tat lagen Herbert die Frauen dort zu Füßen allerdings vor Lachen. Doch das erwies sich als seine große Chance.

Heute hat Herbert seine eigene Comedy-Show und das Labyrinth mit den Mäusen Mini und Mausi eine Institution in der deutschen Unterhaltung. Ob das jetzt wirklich so ein Glück ist, weiß ich allerdings nicht zu sagen. Am besten fragt ihr Herbert mal selbst.