29. September – Mir gäbet nix

„Mir gäbet nix“ –

Auf der Terrasse ist es kalt und nicht mehr viel los. Aber zwei Bekannte von Kerstin haben sich trotzdem dort ihr Abendessen servieren lassen. Kerstin und ich sagen „Hallo“.

Während Kerstin sich nach einem Zeitungsartikel über das Schülertheater-Festival erkundigt, wann der wohl online stehe, als PDF vielleicht, schaue ich in eine andere Richtung. Das Gespräch interessiert mich nicht besonders. Vor den Ferien habe sie nicht damit zu rechnen, erhält sie Bescheid. Aber eine gute Idee, da wäre wohl noch keiner drauf gekommen. Das mache dann der Peter oder der Franz.

Die Gittertür rechts von uns wird von einem jungen Mann mit einem Tarnrucksack über der Schulter aufgehakt. Vorsichtig betritt er die Terrasse. Seine Kleidung sieht ziemlich abgerissen aus. Im Gesicht hat er ein paar Piercings, seine Haare stehen zottelig vom Kopf ab. Durch die Hintertür betritt er das Lokal. Ich verliere ihn aus den Augen. Die Unterhaltung dreht sich inzwischen um ein abgesagtes Stück. Der Hauptdarsteller ist wegen Krankheit ausgefallen. Aber Kerstin muss es bis zum Sommer auf die Bühne bringen oder neue Lizenzkosten an den Verlag bezahlen. Plötzlich steht der junge Mann mit dem Tarnrucksack neben mir.
„Habt Ihr vielleicht ein paar Cent für einen Obdachlosen?“, fragt er in die Runde. Stille senkt sich über uns. Eine feindselige Schwingung fühle ich. Eine schwäbische Schwingung, die mir sagt: „Mir gäbet nix.“

Aber ich mag nicht dazugehören zu denen, die nichts geben. Warum soll ich dem Mann, dem Obdachlosen, der ein bisschen punkig, ein wenig ungewaschen aussieht und das Geld vielleicht versäuft oder für andere Drogen ausgibt oder am Ende mit Betteln mehr Geld verdient als ich mit meiner anständigen Arbeit, warum soll ich dem nicht ein paar Cent geben? Ein bisschen Kleingeld herzugeben tut mir doch nicht weh. Habe ich das Recht, über seine Lebensführung zu richten? Nein, natürlich nicht. Also zücke ich mein Portemonnaie. Viel ist nicht mehr drin, aber im Kleingeldfach finde ich noch etwas.

Irgendwer muss doch dafür sorgen, dass nicht nur die Spatzen, sondern auch die Menschen ernährt werden, auch ohne dass sie in den Scheunen sammeln. Oder habe ich das irgendwie falsch verstanden? Im Gegensatz zu Kerstin und ihren Bekannten gehöre ich keiner Kirche an und kenne mich nicht so gut mit den christlichen Gepflogenheiten aus.