4. August – Gut genug

„Schatzi, es gibt Cocktails!“, ruft Lena Helmut zu. Sie selbst liegt im Schatten und schlürft schon an ihrem alkoholfreien Drink. Hecke schneiden, Rasen mähen und Holz hacken, sind laut Helmut Männerarbeit. Lena will das auch gar nicht erledigen. Sie hat einen anstrengenden Job, bringt das Haupteinkommen nach Hause und kümmert sich sonst nur um den Haushalt.

Nun ja, in Wirklichkeit heißt das, sie bezahlt die Putzfrau und bringt die Kleidung regelmäßig in Wäscherei und Reinigung. Das einzige, was sie wirklich gut und gerne macht, ist Kochen. Auf Hausarbeit hat Lena sonst keine Lust.

Im Augenblick hat sie frei und will mit ihrem Mann den schönen Tag genießen. Aber Helmut grunzt nur als Antwort auf ihren Zuruf und schneidet weiter an der Hecke herum. Er macht das nicht besonders gekonnt. Vielleicht sollte sie doch lieber einen Gärtner beauftragen. Ist doch Blödsinn sich mit so einem Zeug abzuplagen, das keinen Spaß macht. Aber Helmut ist da immer so eigen. Er meint, er müsse unbedingt den Garten übernehmen, um seinen Teil beizutragen.

„So ein Quatsch“, denkt Lena. All diese merkwürdigen Vorurteile und vorgefassten Meinungen. Als wäre Helmut ein schlechterer Mensch, weil er ein paar hundert Euro weniger im Monat nach Hause bringt. Oder als wäre es notwendig, dass eine Frau sich möglichst klein und dumm stellt, damit ein Mann sich besser fühlt. Was ist das überhaupt für eine Vorstellung immer auf der Erniedrigung eines anderen seine Stärke aufzubauen. Als wäre nicht jeder Mensch genau richtig so, wie er ist.

Lena schließt die Augen und versucht sich eine Welt vorzustellen, in der jeder von sich und anderen glaubt gut genug zu sein. Aber es gelingt ihr nicht wirklich. Zu sehr ist sie selbst daran gewöhnt, an sich und den anderen herumzumeckern.
„Schließlich kann Helmut die Hecke so krumm schneiden wie er will und später seinen Cocktail trinken“, denkt sie. „Wenn es ihm wichtig ist, soll er das doch tun.“

Lena nimmt noch einen Schluck und fühlt sich schon viel besser.

3. August – Die ganze Wahrheit über Frau Weber

Frau Weber war eine sehr, sehr ordentliche Person. Bei ihr in der Wohnung war es stets aufgeräumt. Jeden Tag wischte sie Staub und putzte auch das Badezimmer und die Küche täglich. Die übrigen Räume kamen mindestens einmal die Woche dran. Niemand durfte die Wohnung mit Straßenschuhen betreten, für jeden standen Filzpantoffeln bereit. Das Parkett musste geschont werden. Das sah auch jeder ein.

Nicht, dass Frau Weber sehr viel Besuch bekommen hätte. Es waren eher Staubsaugervertreter und Lexikon-Verkäufer, die Frau Weber aufsuchten. Und obwohl sie ihnen niemals etwas abkaufte, bewirtete sie die Herren stets mit einem starken Bohnenkaffee und einem Obsttörtchen oder selbstgebackenen Keksen, je nach Jahreszeit. Vielleicht war es also nur dieses Gefühl, freundlich willkommen geheißen zu werden, dass die Vertreter immer wieder zu Frau Weber lockte.

Nur manchmal, da hatte Frau Weber so ein unangenehmes Gefühl. Da begann es sie irgendwie zu stören, diese saubere Wohnung, diese frisch gewischten Böden, diese Leere in ihrem Leben. Da packte sie dann ihren Koffer und fuhr in die große Stadt. Dort stieg sie in einer kleinen Pension ab, setzte sich dann in der Fußgängerzone in ein Straßencafé und schaute den Leuten zu.

Sie beobachtete, wie sie ihre Fahrscheine und Einkaufszettel wegwarfen, sie schaute, wie sie ihr Eis verloren oder den Rest ihrer Pommes mit Ketchup achtlos auf die Straße warfen, und sie sah, wie Kaugummis zu Unmengen auf den Steinplatten klebten. Auch die Leute waren in der Regel schmuddelig. Natürlich nicht alle.

Aber Frau Weber sah vor allem die Punks und Penner, die nach einem Euro fragten, die schwitzend von der Arbeit nach Hause eilenden Werktätigen oder die überforderten, jungen Mütter mit ausgelatschten Schuhen und strähnigen Haaren. Die Gesichter der Kinder meistens verschmiert mit irgendeinem undefinierbaren ekelhaften Brei.

Der Bedienung gegenüber musste sie leider immer die Qualität des Kaffees und den schlecht gespülten Zustand von Tassen und Besteck bemängeln. Auch die Pension war niemals zufriedenstellend.

Und noch am selben Abend checkte sie aus und fuhr schaudernd und mit dem Gefühl nach Hause, der schrecklichen, widerlichen Unordnung noch ein einziges Mal entkommen zu sein.

2. August – Mittag

Es ist Mittag. Hitze staut sich über den Feldern. Die Sonne brennt herunter. Kein Wölkchen ist am Himmel. Kaum ein Insekt wagt es jetzt zur heißesten Zeit des Tages herumzufliegen. Sogar die sonst so fleißigen Hummeln wirken träge. Die Schnecken haben sich irgendwo im Dickicht am Wegesrand, im dunklen Schatten verkrochen.

Und ich bedauere schon, dass ich dort nicht ebenfalls hineinpasse, unter ein paar Blätter am Feldrain. Wie konnte ich nur auf die Idee verfallen, um diese Zeit einen Spaziergang zu machen. So viel Dummheit gehört bestraft, und zwar sofort. Also glühe ich und schwitze zur Strafe.

Dann beginne ich zu kichern. Ich wollte so gerne mal in die Sahara. Die Wüste sehen und erleben, wie das dort ist. Aber ich überlebe ja kaum einen heißen Sommertag in der Mitte Deutschlands. Da fühle ich mich schon wie im Backofen. Wie soll das erst in der Sahara sein? Gibt es die Sahara auch vollklimatisiert, mit Schatten und Vollpension? Ich bekomme doch so leicht Sonnenbrand.

Ich schleppe mich weiter und höre ein Knistern von links, als knüllte jemand rhythmisch 100.000 Butterbrottüten zusammen und zusammen und wieder zusammen ohne Unterlass.

Dann begreife ich, dass das der Weizen ist, der singt. Er ist reif und der heiße Wind lässt ihn knistern, wenn er über ihn hinwegstreicht. Jetzt freue ich mich doch, dass ich mich um diese Zeit aus dem Haus gewagt habe. Wer weiß, ob ich sonst jemals den Weizen hätte singen hören: „Ich bin reif, ernte mich, hörst du, ich will vom Halm, ernte mich, ernte mich.“

1. August – Undankbares Publikum

Das war vielleicht ein undankbares Publikum. Simon lachte aus vollem Hals. Aber die Gesichter der anderen blieben starr, keiner verzog eine halbe Augenbraue, niemand zuckte auch nur ein bisschen mit dem Mund.

Schade, dabei hatte Simon den Witz wirklich lustig gefunden. Er prustete los, sobald er nur daran dachte. Nun ja, vielleicht war diese Gesellschaft zu erlesen für seine zugegeben etwas versauten Scherze. Aber dann hätten sie ihn wenigstens auszischen können. So gar keine Reaktion war schon ziemlich gemein und auch unhöflich.

Also ließ Simon die Leute in ihren Abendkleidern und Anzügen einfach stehen und schlenderte zur nächsten Gruppe. Auf dem Rasen hatten sich ein paar Golfer versammelt. Denen musste doch ein deftiges Witzchen gefallen. Oder waren die am Ende auch so zugeknöpft. Vielleicht versuchte er es mit einem etwas harmloseren Gag.

Simon legte los. Ihm gefiel es sehr gut, wie er die Spannung aufbaute und jeder zweite Satz mit einem skurrilen Schlenker endete. Normalerweise hätten diese blöden Golfer längst die Schläger wegwerfen müssen und sich brüllend vor Lachen auf dem Boden wälzen. War aber nicht. Sie schauten einfach arrogant über ihn hinweg auf das Green. Simon wollte gerade anfangen, sein Publikum auszuschimpfen, da hörte er Herrn Köhnlechner.

„Was machen Sie denn da?“, rief er ihm ungeduldig über die Regale mit Sportwaren zu. „Wenn ich wiederkomme ist der Boden fertig gewischt, verstanden?“

Simon warf den Golfern einen kurzen Seitenblick zu und griff wieder nach dem Wischmopp. Jetzt begannen sie leise zu kichern und flüsterten sich etwas zu, während sie mit den Fingern auf Simon zeigten.

„Elendes Publikum!“, dachte Simon. Hoffentlich war er nächste Woche wieder in der Damenabteilung. Die Zuschauerinnen dort waren sehr viel verständnisvoller und lachten zumindest ab und zu höflich über sein Programm.

31. Juli – Der Ahornbaum

Es war einmal ein Ahornbaum, der wollte so gern ein Ginkgobaum werden. Denn dann würde er einem uralten Adelsgeschlecht angehören. Aus seinen Samen und Blättern würden Heilmittel gegen alles Mögliche hergestellt. Er wäre ein Star, ein Wirtschaftsfaktor, ein Heiler, auf jeden Fall irgendwie wichtig und bedeutend.

So als Ahorn da stand er nur herum und sah nett aus. Die Kinder lachten über ihn, weil seine Samen wie kleine Propeller zu Boden segelten. Dann sammelten sie die Samen auf und klebten sie sich an die eigene Nase als Verlängerung, rannten herum und machten alberne Geräusche.

Also ehrlich. So nahm ihn doch keiner Ernst. Dabei brachte er so leckeren Ahornsirup hervor. Nun ja, nicht speziell er selbst, schließlich war er nur ein Zierahorn. Aber andere aus der weitverbreiteten Ahornfamilie produzierten Ahornsirup tonnenweise, das landete auf Pfannkuchen und sonst wo. Aber waren die Menschen dankbar? Nein. Ahornsirup wäre ja viel zu teuer, sagten sie. Und dick mache er auch. Toll.

Ach, könnte er doch nur ein Ginkgobaum werden. Manchmal versuchte der Ahorn, seine spitzen Blätter so irgendwie mehr wie ein Fächer zu formen. Aber es gelang ihm nicht. Das Ahornmäßige, das Ahornartige steckte einfach in ihm. Da blieb ihm nichts übrig als den Kopf hängen zu lassen und neidisch zu den Ginkgobäumen auf der anderen Seite des Parks zu schielen.

30. Juli – Fliege Fridolin

Eine Fliege sitzt auf meinem Monitor und putzt sich. Mit ihren Vorderbeinen fährt sie sich über die Facettenaugen, reibt dann die Beine aneinander. Bei jeder Erschütterung hält sie inne, lauert, wartet. Ist es doch besser, davonzufliegen? Oder ist es sicher genug sich weiter zu putzen?

Sie ist noch unentschieden. Genau wie ich, die noch unentschlossen ist, die Hand zu heben und sie von meinem Bildschirm zu verjagen, die sich überlegt, ob das nun eine harmlose Stubenfliege ist oder doch eine von der stechenden Sorte. Aber die kommen normalerweise erst im Herbst.

Falls es diese Fliegen überhaupt gibt und es sich dabei nicht nur um ein urbanes Märchen handelt, eine Zeitungsente, eine Fake-Meldung aus irgendeinem Fernsehmagazin.

Wenn es eine echte Stubenfliege ist, heißt sie Fridolin. Immerhin gehört sie zu den lautlosen Fliegern. Jetzt sind die Flügel dran, auch die wollen geputzt sein. Dabei spreizt Fridolin die Flügel und benutzt die Hinterbeine zum Putzen, drückt die Flügel hinunter. Dann hebt er ab, schwirrt im Zickzack über den Schreibtisch, setzt sich auf den Rechner und putzt sich dort weiter.

28. Juli – Theresa

Theresa war sieben Jahre alt, als sie beim Spielen verschwand und einfach nicht mehr wiederkam. Sie hatte auf dem Spielplatz im Klettergerüst gemeinsam mit ihren Freundinnen Unterseeboot gespielt.

„Im Grunde war alles wie immer“, hatten Uli und Sophie gesagt.
Es war auch kein böser Mann gekommen oder ein Unglück geschehen.

Theresa war nur plötzlich vom Gerüst gesprungen und hatte in einem merkwürdig erwachsenen Tonfall – so hatte sich Sophie ausgedrückt – gesagt: „Ich gehe jetzt in die wirkliche Welt und erlebe Abenteuer. Ich komme erst zurück, wenn ich groß bin. Sagt meinen Eltern, sie sollen sich keine Sorgen machen. Tschüß und macht’s gut!“

Sie hatte dann den beiden mit offenem Mund dasitzenden Freundinnen zugewunken und war einfach durch das Gebüsch am Rande des Spielplatzes verschwunden.

Die Eltern hatten eine Vermisstenmeldung aufgegeben, die Polizei hatte Theresa gesucht und Uli und Sophie haben jahrelang darüber gerätselt, wo ihre Freundin geblieben sein könnte.

Im Gegensatz zu den Erwachsenen glaubten sie aber fest, dass Theresa wirklich zurückkommen würde, wenn sie genug Abenteuer erlebt hatte und endlich groß geworden war. Und so warteten sie unbeirrbar auf den Tag ihrer Rückkehr.

27. Juli – Ein großes Kotelett

Es war einmal ein großes, großes Kotelett. Das hatte einfach keine Lust gebraten zu werden, also sprang es aus der Pfanne und lief davon.

Kaum war es auf der Straße um die Ecke gerannt, da fiel ein Hund über das Kotelett her und versuchte, es aufzufressen. Aber das Kotelett wehrte sich und haute dem Hund seinen Knochen ordentlich fest auf die Nase, so dass der Hund jaulend das Maul öffnete, das Kotelett purzelte heraus, rappelte sich auf und rannte weiter. Nach einer Weile war es ganz schön außer Puste. Es blieb stehen und hielt sich die Seite.

Da bemerkte es in der Auslage eines Geschäftes eine schöne Schweinshaxe und entbrannte sofort in Liebe. Mit einem großen Sprung wollte es zu der Schweinshaxe gelangen, aber leider war eine große Glasscheibe dazwischen. Die hatte das Kotelett im Liebestaumel nicht bemerkt. Es tat also einen lauten Klonk und das Kotelett rutschte fettige Schlieren hinterlassend an der Scheibe hinunter.

Wieder am Boden angelangt schüttelte sich das Kotelett ein paar Mal, um wieder klar denken zu können. Aber dann beschloss es, einfach abzuwarten. Dann würde ihm bestimmt eine Möglichkeit einfallen, wie es zu seiner geliebten Schweinshaxe gelangen könnte. Die hatte wenigstens das große und stattliche Kotelett bemerkt, als es das Fenster hinunterrutschte und blinzelte ihm immer wieder neckisch zu. Das Kotelett winkte mit seinem Knochen zurück.

Schließlich merkte das Kotelett, was das Zwinkern zu bedeuten hatte. Neben der großen Scheibe öffnete sich hin und wieder eine Tür von einem schönen Klingelton begleitet. Das Kotelett musste nur den Augenblick abpassen und sich schnell hindurchschlängeln, bevor die Tür wieder zuschlug. Kaum im Laden sprang es verwegen über den Regenschirmständer in die Auslage und herzte die Schweinshaxe überschwänglich. Und die war hocherfreut, dass dieses tolle, stattliche Kotelett sich gerade für sie, die schönste Schweinshaxe der Welt interessierte. Es hätte alles so schön sein können.

Aber plötzlich bohrte sich dem Kotelett eine spießige Gabel in den Rücken und zerrte es fort von seiner geliebten Schweinshaxe, klatschte es unfreundlich auf ein Stück Pergamentpapier, ein paar flinke Finger hoch über dem Kotelett tippten auf Kunststofftasten ein. Es piepte und das Kotelett wurde eingewickelt und in eine Klarsichttüte gepackt. Verzweifelt versuchte es, noch einen Blick auf die liebe Haxe zu erhaschen, aber es war zu spät.

Schon versank es in einer dunklen Einkaufstasche und wurde davongetragen. Nach einer ganzen Zeit, die das Kotelett erst in der dunklen Tasche und dann in einer dunklen, kühlen Kammer verbrachte, packte irgendwer das Kotelett aus, würzte es ein wenig mit Pfeffer und warf es in die Pfanne. Aber das Kotelett hatte einfach keine Lust gebraten zu werden, also sprang es aus der Pfanne und lief davon.

25. Juli – Nie hast du Zeit für mich!

„Nie hast du Zeit für mich! Immer ist alles andere wichtiger!“ Wütend stampf Lisa auf den Boden, Tränen stürzen ihr aus den Augen.

Warum schickt Mama sie eigentlich immer fort? Sie verspricht immer nur und verspricht und verspricht. Und hat tausend Gründe, warum sie heute nicht mit ihr Federball spielen kann oder malen oder Drachen steigen lassen oder ins Schwimmbad gehen oder endlich die Leuchtsterne an die Decke in Lisas Schlafzimmer kleben helfen. Das ist doch alles total doof.

Manchmal nimmt Mama Lisa in den Arm und sagt: „Aber ich muss doch arbeiten, wir brauchen doch Geld zum Leben. Wer soll denn die Miete bezahlen?“ Oder Mama seufzt: „Ich würde ja auch viel lieber mit dir spielen anstatt mich jetzt um Opa Alex zu kümmern. Aber Oma braucht eben auch mal einen freien Nachmittag. Einen alten Menschen pflegen ist ganz schön anstrengend.“

Und ab und zu sagt Mama auch: „Du musst mir auch einmal gönnen, dass ich mich mit Erwachsenen treffe. Ich kann ja nicht immer nur für dich da sein!“

Lisa kann das verstehen, sie hat Mama ja lieb und außerdem ist sie ja schon ein großes Mädchen. Aber trotzdem. Das ist doch zu gemein. Wenn Mama und Lisa dann aber am Wochenende eine Radtour machen oder Mama abends noch eine Geschichte vorliest, dann hat Lisa alles vergessen. Bis zum nächsten Mal.

24. Juli – Erkenne einen Reiher

Als ich ein Kind war, lernte ich einen fliegenden Reiher an seinem schlangenförmig geschwungenen Hals zu erkennen. Ein Storch hingegen hielt den Hals gerade. Beide sahen sich auf Entfernung sonst sehr ähnlich, besonders im Zwielicht, wenn ich kaum noch die Farben des Gefieders erkennen konnte.

Ich lernte auch, dass männliche Enten ein auffälliges, grünschimmerndes Kopfgefieder haben und Erpel heißen. Die weiblichen Enten dagegen waren braungefiedert und bescheiden. Außerdem lehrte mich meine Großmutter, dass Spatzen frech seien und unnütz und Tauben viel netter und nützlicher. So fütterte sie auf ihrem Innenhof immer die Tauben und verjagte die Spatzen.

Später dann las ich Berichte über die unglaubliche Vermehrung der Tauben in Großstädten und hörte sie Ratten der Lüfte nennen. Der Spatz dagegen sei vom Aussterben bedroht, daran sei wohl der Klimawandel schuld und die Einschränkung seines natürlichen Lebensraumes.

Aber ich glaube insgeheim, dieses alte Sprichwort ist daran schuld: Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Wer kann schon leiden, was ihm ständig als minderwertiges Glück verkauft wird, dass er nicht zu verschmähen habe?

23. Juli – Deine streng übereinandergelegten Hände

Ich sehe dich noch dasitzen mit deinen streng übereinandergelegten Händen, immer so klein und immer sehr ordentlich, irgendwie aufgeräumt. Ich kann heute gar nicht sagen, was ich an dir so sehr liebte?

Vielleicht solltest du nichts weiter sein als mein Rettungsanker. Auf keinen Fall warst du meine wirkliche Vertrauensperson, denn ich kann mich nicht erinnern, dass ich dir wirklich anvertraut habe, was mir damals fast jeden Tag Schlimmes widerfuhr.

Ich habe es mir selbst ja kaum eingestanden. Wie sollte ich da mit dir sprechen? Nur Hilfesignale habe ich versandt. Und das war doch schrecklich, das war wie so eine blinkende Unfallboje auf dem weiten Meer, wie auf einer einsamen Insel und keiner kam vorbei, um mein Leuchtfeuer zu sehen.

Irgendwann schicktest Du mich fort, weil Deine Eltern der Meinung waren, ich würde Dich verderben. Vielleicht eher, weil Du selbst Angst hattest, ich könnte Dich infizieren. Ganz ehrlich, ich weiß es bis heute nicht wirklich. Aber vermutlich war es klug von dir mir aus dem Wege zu gehen.

Denn später habe ich selbst diese Menschen kennengelernt. Die tickenden Zeitbomben. Die schleichenden Mahnmale von Ungerechtigkeit und Leid. Und ich glaubte, all diese armen Gestalten retten zu müssen, ließ mich ausnutzen, ausnehmen und leersaugen bis zur bitteren Neige. Zum Glück merkte ich noch rechtzeitig, dass sich jeder nur selbst retten kann. Jedenfalls für die Zombies dieser Welt gilt das, die jegliche Verantwortung für ihr Leben ablehnen. Also habe ich aufgehört ein Zombie zu sein.

Vielleicht also bist du nur vor meiner alles verschlingenden Bedürftigkeit geflüchtet. Vielleicht war ich ein allzu mächtiger Spiegel deiner eigenen Zerrissenheit. Ich weiß es nicht. Ob es Liebe war, wirklich Liebe, das kann ich heute gar nicht mehr sagen. Eher Einbildung, warum also länger hinterhertrauern? Wo es doch so, wie es ist, viel besser war.

22. Juli – Im Fluss

Träge scheint der Fluss dahinzufließen, ganz weit erstreckt er sich von Ufer zu Ufer. Und doch hat er Macht, doch hat er Gewalt. Sein Wasser fließt rasch zu Tal. Nur bemerkst du das erst, als ein großes Blatt vom Baum fällt und in sekundenschnelle mitgerissen und fortgetragen wird. Schon ist es deinem Blick entschwunden. So ist das also, es ist ganz einfach, fortzugehen, wenn der Fluss dich mitreißt.

Nur dieser eine Schritt. – Hinein und der Fluss trägt dich mit, wirbelt dich herum, wiegt dich und spuckt Dich irgendwo aus. Vielleicht schaffst du es bis ins Meer, vielleicht bleibst du an der Uferböschung in alten Wurzeln hängen, vielleicht zieht er dich in die Tiefe und du hauchst deinen letzten Atemzug aus. Wer weiß?
Nur dieser eine Schritt. – Die Geschwindigkeit bestimmt der Fluss. Da ist es vorbei mit deiner Allmacht. Wie einfach es scheint, jemand zu sein, wenn du am Ufer stehst. Nur so einsam, nur so leer.

Nur dieser eine Schritt. – Und dann gibst du dich hin, mit Anmut tauchst du ins Wasser, der Fluss umschmeichelt dich, du kannst ihm Vertrauen. Und zu deiner Überraschung löst du dich nicht auf, zu deiner Verwunderung gleitest du leicht dahin. Der Fluss umspielt deinen Körper, er kost dich.

„Wie schön, dass du endlich hier bist“, flüstert er dir zu. „Wir haben dich solange dort am Ufer stehen sehen, so voller Sehnsucht und voller Furcht. Aber jetzt, jetzt bist du ja da!“

Nur dieser eine Schritt. – Nur.