12. Mai – Freischwimmerin

Freischwimmerin. Das ist aber verdammt hoch, wenn man oben steht. Svenja schaut erschrocken in die Tiefe. Von unten wirkte das gar nicht so schlimm. Vielleicht sollte sie lieber wieder … Sie schaut sich um. Die Schlange hinter ihr ist lang. Die Anderen stehen schon auf der Leiter, zwei sogar direkt hinter ihr. Alle blicken sie ungeduldig an.

„Spring doch endlich!“, hört Svenja von hinten rufen. Sie versucht, mit den Zehen den vorderen Rand des Sprungbretts zu umfassen. Es wippt so unangenehm bei jeder Bewegung. Sie spürt die Blicke von hinten. Die letzten Springer vor ihr sind längst zum Beckenrand geschwommen und herausgesprungen. Ohne Zweifel haben sie sich wieder unten angestellt. Svenja holt tief Luft. Sie dreht sich nicht mehr um.

Dann nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und macht den letzten Schritt. Sie versucht sich ganz schmal zu machen, hält die Arme ganz eng am Körper. Mit einem harten Aufprall durchschlägt sie die Wasseroberfläche, das gechlorte Wasser schießt ihr scharf in die Nase und schlägt über ihr zusammen. Luftblasen steigen um sie herum auf. Svenja lässt sich wie ein Sektkorken einfach wieder nach oben schießen.

Kaum ist sie einen halben Meter weggeschwommen, spürt sie den Einschlag des nächsten Springers. Dann das sanfte Hineingleiten eines Kopfspringers. Atemlos erreicht sie den rettenden Beckenrand und klammert sich fest. Schließlich zieht sie sich aus dem Wasser, geht zu ihrem Handtuch und wischt sich damit das Wasser aus dem Gesicht. Dabei prustet sie.

„Hätt’ ja nicht gedacht, dass die Oma sich traut!“, hört sie neben sich eine junge Mutter ihrer Freundin zuzischen.

Da dreht Svenja sich um: „Ich habe sogar vor nächste Woche den Freischwimmer zu machen. In meiner Jugend hatte ich leider keine Zeit dazu.“

Die beiden jungen Frauen schauen sich betreten an.

„Äh, ich…“

Aber Svenja hört gar nicht mehr zu und geht in Richtung Dusche davon.

11. Mai – Das Tribunal

Das Tribunal tritt zusammen. Die Vorsitzende schlägt mit einem schweren Hammer auf den Tisch, die Mitglieder hören auf zu tuscheln. Ruhe kehrt ein. Die Delinquentin steht gefesselt zwischen zwei Wachen vor dem Halbrund der Richtenden.

„Was eigentlich wird mir vorgeworfen?“

Die Honoratioren beginnen wieder zu flüstern.

„Unerhört!“

„Das habe ich erwartet!“

„Unwürdig!“

Die Delinquentin schaut gespannt die Vorsitzende an. Die müsste ihr doch wenigstens eine Antwort geben. Aber die hat die Nase in den Akten vergraben, blättert und liest still für sich.
Schließlich haut sie wieder mit dem Hammer auf den Tisch.

„Ruhe, Ruhe, bitte!“

Dann liest sie das Urteil vor. Es ist hart. Einzelhaft auf unbestimmte Zeit.

„Aber wofür, wofür?“, ruft die Delinquentin.

„Nun tut sie so!“

„Das weiß sie doch ganz genau!“

„Seht sie Euch an!“

„Jämmerlich, einfach jämmerlich!“

Die Vorsitzende schlägt drei Mal mit dem Hammer.

„Ruhe, Ruhe jetzt!“

Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheucht sie die Delinquentin aus dem Saal. Die Wachen führen sie hinaus. Dort nehmen sie ihr die Fesseln ab und schubsen sie aus dem großen Tor. Laut krachend schlagen die großen Torflügel hinter ihr zu.

Frierend zieht die Delinquentin ihre dünne Jacke über der Brust zusammen und geht langsam, sich mehrmals umwendend die Straße hinunter.

10. Mai – Expertin

Molly war Expertin. Sie zog das Schwert aus der Scheide und zerschnitt mit ihm in großen, ausladenden Bewegungen die Luft, dass es leise pfiff. Sie wog es in der Hand, betrachtete es von allen Seiten genau.

„Wieviel?“

„Das ist ein echt antikes Schwert aus der Zeit von…“ Molly schob das Schwert mit einer brüsken Bewegung zurück in die Scheide und legte es fort.

„Binden Sie mir keinen Bären auf“, fuhr sie den Händler an, „ich kann ein echt antikes Schwert von einer schlechten Fälschung durchaus unterscheiden. Wenn Sie das als Replika anbieten, okay. Aber erzählen Sie mir keine Lügen!“

Der Mann zog den Kopf ein.

„Aber, ich, also…“

Molly ließ ihn einfach stehen. So ein Blödmann! Leider gab es hauptsächlich nur Schrott hier auf der Messe. Schade, dabei hatte sie doch gerade einen Extra-Bonus bekommen, den sie gerne in ein erstklassiges Stück investieren würde. Es musste ja nicht einmal echt antik sein. So hoch war ihr Bonus auch wieder nicht. Aber es sollte wenigstens authentisch gearbeitet sein.

Und dann sah sie es: Ein „Al Fuego“, handgeschmiedet, originalgetreu nach dem Schwert von Fernando Santiago Emilio de Salazar Fuentes aus dem 13. Jahrhundert gearbeitet.

Voller Ehrfurcht starrte Molly in den raffiniert ausgeleuchteten Schaukasten. Der Verkäufer beachtete sie nicht. Ihr übliches Schicksal. Niemals glaubte irgendein Händler, dass Molly zu kaufen beabsichtigte. Wahrscheinlich dachten alle, die kann noch nicht einmal mit einem Kartoffelschäler umgehen. Dabei konnte sie das im Gegensatz zu den meisten anwesenden Herren ebenso erstklassig wie mit dem Schwert kämpfen.

Sie seufzte leise, als sie das Preisschild entdeckte. Das überstieg ihren Bonus um ein Vielfaches, obwohl es nur ein Nachbau war. Aber eben von „Al Fuego“, dem Meister unter den Schmieden, die noch mittelalterliche Schwerter originalgetreu arbeiteten. Molly riss sich los. Aber nach diesem Anblick konnte sie keines der anderen ausgestellten Schwerter mehr beeindrucken.

Trotzdem zwang sie sich, erst die komplette Messe abzulaufen bevor sie wieder zum „Al Fuego“ zurückkehrte. Einfach großartig. Die Verzierung an der Parierstange war hervorragend gearbeitet. Schließlich sprach sie den Händler an. Der zog die Augenbrauen hoch, fummelte aber dann nach dem Schlüssel und öffnete die Vitrine. Ehrfürchtig wog sie das Schwert in der Hand. Es war wunderbar ausgewogen, wie für sie gemacht. Mit großem Bedauern legte sie es schließlich wieder zurück. Der Händler schaute sie an, sagte aber nichts. Molly bedankte sich und ging zum Ausgang.

„Ich muss ja nicht alles haben“, sagte sie zu sich.

9. Mai – Julchen

Julchen weint und schreit. Mama kommt herein, schaltet das Deckenlicht an.

„Was ist denn?“

Julchen kann nicht antworten, sie weint nur noch mehr und klammert sich an ihren Kuschelhasen. Mama geht an Julchens Bett und nimmt sie in den Arm.

„Hast Du schlecht geträumt?“

Julchen schnieft und wimmert und nickt in Mamas Pullover. Die streichelt Julchen jetzt ganz zart über den Rücken.

Nach einer Weile erzählt Julchen: „Ich war ganz allein im Wald und die Monster hinter mir her!“ Sie schluchzt wieder. „Und dann bin ich in den Abgrund gefallen.“ Mama schaut Julchen eine Weile an.

„Versuch doch mal“, sagt Mama, „Dich umzudrehen und die Monster zu fragen, warum sie Dich verfolgen. Dann merkst Du, dass sie vielleicht gar nicht so wilde Monster sind.“
„Aber dazu habe ich viel zu viel Angst“.

„Nein, nein, das kommt Dir nur so vor. Angst ist dazu da, dass Du flüchtest oder kämpfst. Und wenn Flucht nicht hilft, dann musst Du kämpfen. Und es ist ja nur ein Traum. Wenn die Monster dann immer noch böse sind, dann könntest Du einfach wegfliegen. Im Traum geht das. Ich bin sicher, die dusseligen Viecher können das nicht. Und wenn doch, dann überlegst Du Dir etwas Anderes. Ich bin ganz sicher, dass Dir was einfällt.“

Da guckt Julchen Mama mit großen Augen an. Dann wischt sie sich die letzten Tränen aus den Augen und lächelt Mama an. „Jetzt schlaf schön!“

Julchen gibt Mama einen Kuss und kuschelt sich wieder ins warme Bett. Wenige Augenblicke später ist sie schon wieder eingeschlafen. Mama geht auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und löscht das Licht.

„Außerdem kannst Du mich auch zu Hilfe rufen im Traum. Ich komme ganz schnell!“, flüstert sie noch und schließt die Tür hinter sich.

8. Mai – Picknick

Picknick! Max fand dieses Gezwitscher der Vögel zum Kotzen. Wer zur Hölle war darauf gekommen, das für romantisch zu halten? Außerdem flog hier ständig Ungeziefer herum, Mücken und Fliegen und Wespen und so ein Zeug. Wirklich schrecklich. Und konnte man zu einem Picknick keine Stühle und einen Tisch mitbringen?

Was war das für eine Unsitte hier so am Boden zu sitzen und mehr schlecht als Recht von irgendwelchen Plastiktellern zu essen.

Nein.

Das gefiel Max überhaupt nicht. Vor allem weil er viel lieber zu Hause geblieben wäre und weiter „World of Warcraft“ gespielt hätte. Das konnte er hier draußen ja leider nicht. Erstens gab es weit und breit keinen Hotspot und zweitens war es auch besser, wenn seine Eltern nicht so genau wussten, was er an seinem Computer so machte.

Dann ginge gleich wieder das Gemecker los. Solange sie glaubten, dass er den Computer hauptsächlich für die Schule brauchte, würden sie ihm das Ding auch nicht wegnehmen.
„Noch ein Hühnerschenkelchen?“, fragte Theresa, Max’ Mutter.

Er schüttelte den Kopf. Wenigstens hätte ja sein Vater ein Bier rausrücken können. Aber nichts da. Max konnte hier den ganzen Nachmittag rumhängen und Gänseblümchen zählen.

„Was macht denn so die Schule?“, fragte dann zu allem Überfluss noch Franz, sein Vater.
Dann zählte Max lieber Gänseblümchen, anstatt so eine dämliche Unterhaltung zu führen.

„Wie läuft’s denn an der Arbeit“, antwortete Max kühl.

„Jetzt aber nicht streiten“, sagte Theresa schnell, „es ist doch so ein schöner Nachmittag!“
Max und Franz schauten sich kurz an und beide schluckten ihre Worte hinunter.

Es war ja schließlich so ein schöner Nachmittag.

7. Mai – Wege der Erleuchtung

Jürgen suchte Erleuchtung. Er hatte am Meditationszentrum mitgebaut und er meditierte inzwischen jeden Morgen und jeden Abend mindestens eine Stunde lang. Natürlich war er Vegetarier. Die meisten Wochenenden verbrachte er im Meditationszentrum und belegte Kurse oder machte ein Retreat. Manchmal hielt er abends selbst Vorträge. Mit anderen Worten er war selten zu Hause.

Seine Frau Dagmar hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass Jürgen unbedingt erleuchtet werden wollte. Und sie wusste, dass er längst davon träumte einen echten langjährigen Retreat mitzumachen. Irgendwo auf einem Berg in einer abgelegenen Hütte nichts weiter zu tun, als zu meditieren. Dagmar verstand nicht so sehr viel von diesem ganzen spirituellen Kram.

Aber sie fand Jürgen ziemlich egoistisch und wusste nicht, was das alles mit Erleuchtung zu tun haben sollte, wenn er seine Familie im Stich ließ, wenn er es Dagmar überließ, sich um die Kinder zu kümmern und für das nötige Kleingeld zu sorgen.

Natürlich hatte Jürgen keine Zeit, sich um solche profane Dinge wie Arbeit oder Familie zu kümmern. Er beschäftigte sich lieber damit sich in bedingungsloser Liebe zu allen Wesenheiten zu üben. Dagmar fand, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, an dieser Lebensweise, wenn diese Übungen dazu führten, dass die Liebe zu ihr und zu ihren gemeinsamen Kindern darüber längst erloschen war.

Auch wenn Jürgen in seiner Familie kein besonders großes Ansehen genoss, so war dies in der spirituellen Gemeinschaft im Meditationszentrum doch ganz anders. Und viele hielten ihn für jemanden, der auf dem Pfad der Erleuchtung bereits weit vorangeschritten war.
Aber dann geschah eines Tages etwas Merkwürdiges. Ein Mann tauchte im Zentrum auf. Er wirkte ein bisschen schmuddelig in seinen dunklen Jeans, den schweren Stiefeln und der schwarzen Lederjacke. Seine Haare waren einmal schwarz gewesen und nun mit einigen grauen Strähnen durchzogen.

Als er ins Zentrum kam, nickte er den Leuten, die vor der Meditationsstunde draußen zusammenstanden und gewichtige Unterhaltungen führten kurz zu. Dann ging er als Erster in den Andachtsraum ohne sich die Stiefel auszuziehen und setzte sich nach vorn auf das auf einem Podest etwas erhöht liegende Meditationskissen.

Jürgen sollte die heutige Abendmeditation anleiten. Aber als er auf den Mann zuging, noch unentschlossen, wie er ihn vertreiben könnte, schlug der bereits die Klangschale an. Die anderen strömten in den Raum, schauten zwar verdutzt und unsicher von Jürgen zu dem Unbekannten. Aber schließlich setzten sich alle auf ihre Kissen und fielen in die einleitende Rezitation mit ein.

Nur Jürgen stand noch, fühlte sich etwas verloren. Da schaute ihn der unbekannte Mann durchdringend an. Und obwohl ihm kein einziges Wort über die Lippen kam, hatte Jürgen das Gefühl, seine Stimme ganz deutlich in seinem Kopf zu hören.

Und diese Stimme sagte ihm: „Jürgen, geh’ nach Hause. Du findest keine Erleuchtung, indem Du Dich vor dem Leben und vor der Liebe und vor der Verantwortung versteckst.“

„Aber…“ Jürgen stand der Mund offen, seine Arme hingen hilflos hinab. Er schaute fassungslos von dem Unbekannten zu den Meditierenden am Boden.

„Geh!“, sagte die Stimme noch einmal und da setzte sich Jürgen langsam in Bewegung und ging nach Hause.

6. Mai – Königin

Es war einmal eine Königin, die hatte drei Töchter. Die älteste Tochter hieß Helena und war klug und schön. Sie konnte acht Sprachen fließend sprechen, spielte Klavier und malte kraftvolle Ölgemälde. Die mittlere Tochter hieß Daphne und war fein und zart. Sie konnte siebzehn Teesorten mit verbundenen Augen allein am Duft auseinanderhalten, sie spielte Harfe und bemalte zerbrechliches Porzellan. Die jüngste hieß Diana und war clever und stark. Sie konnte Motocross fahren, spielte E-Gitarre und schweißte Skulpturen aus Altmetall.

Die Königin liebte alle ihre Töchter und so wusste sie auch nicht, welcher Tochter sie nach ihrer Abdankung das Reich überlassen sollte. Sie überlegte hin und überlegte her. Schließlich gab sie den Mädchen eine Aufgabe.

Weit, weit fort in einem fremden Reich gab es einen hohen, hohen Berg. An dessen Flanke stand ein verwunschenes Schloss. Dort gelangte nur hin, wer vorher durch einen finsteren Wald und über einen tiefen See kam. In dem verwunschenen Schloss aber gab es einen Zauberer, der bewachte eine große, schwarze Truhe, in der sich eine Glaskugel befand, mit der man in die Zukunft sehen konnte. Und welche der Töchter ihr diese Glaskugel schaffen könne, die sollte Königin werden.

Da rüsteten sich die drei Töchter, um den Auftrag der Mutter zu erfüllen. Zuerst ging Helena, besser gesagt, sie nahm die königliche Reiselimousine samt Fahrer. Die Limousine hatte ein hervorragendes Navigationssystem, so gelangten sie an den Rand des finsteren Waldes. Dort gab es aber keine Straße, die hindurch führte, nur Waldwege, die voller Schlamm und Dreck waren.

Da überlegte die kluge Helena eine Weile und rief dann ihre jüngste Schwester an. Sie solle doch mal schnell mit dem Motorrad kommen, denn allein käme sie nicht durch den Wald.
„Klar, kein Problem“, rief Diana, packte ein paar Kleinigkeiten zusammen und brauste auf ihrem Motorrad zu Helena. Die schwang sich hinter ihrer Schwester auf das Gefährt. So fanden sie einen Weg durch den Wald und gelangten an das Ufer des tiefen Sees. Der war so kalt, dass er unmöglich zu durchschwimmen war.

Da überlegten Helena und Diana eine Weile und schließlich riefen sie Daphne an, sie solle doch mit dem Luftschiff kommen und sie abholen, damit könnten sie bestimmt bis zum Schloss gelangen.

„Klar, kein Problem“, rief Daphne und flog mit dem Luftschiff über den Wald, sammelte am Ufer des Sees ihre beiden Schwestern ein und nur eine Tasse Tee später waren sie bereits auf dem Schlosshof gelandet. Der Zauberer erwartete sie bereits.

„Ich weiß, was Ihr von mir wollt! Aber ich werde Euch die Glaskugel nur geben, wenn ihr bei mir arbeitet und ich mit Euch zufrieden bin.“

Da steckten die drei Schwestern die Köpfe zusammen.

Schließlich wandte sich Helena an den Zauberer: „Na, wenn es nicht anders geht. Was sollen wir machen.“

Da kratzte sich der Zauberer am Kopf. Er hatte nur mit einer Tochter auf einmal gerechnet und die Arbeit war gar nicht zahlreich genug für drei. So hatten die Mädchen doch sofort alles im Handumdrehen erledigt.

„Also“, sagte er, „Ihr müsst mir Frühstück, Mittag und Abendbrot bereiten, außerdem wünsche ich morgens um 10 Uhr eine Jause und nachmittags um 17 Uhr einen Tee mit Gebäck. Und dann müsste Ihr das Feuerholz hacken, die Böden wischen, die Tiere in den Ställen versorgen, alles aufräumen, putzen und meine Bibliothek sortieren. Abends verlange ich wunderschöne musikalische Darbietungen und am Freitag gibt es ein Fest, zu dem alle meine Kollegen von der Zauberegilde eingeladen sind. Da verlange ich ein Festmahl und ein herausragendes Showprogramm.“

Die Schwestern schauten sich an. Das artete ja in Arbeit aus.

Aber dann krempelten sie die Ärmel hoch und legten los.

Die Älteste kümmerte sich um die Bibliothek, die Mittlere kümmerte sich um die Küche, die Jüngste um Feuerholz und Ställe. Putzen und Aufräumen erledigten sie alles zusammen und abends Musik machten sie auch zusammen. Der Zauberer war sehr zufrieden, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen.

Aber so gemütlich hatte er es in seinem ollen verwunschenen Schloss noch nie gehabt.
Am Freitag brauste es in der Luft und die Zauberer kamen auf ihren Besen angeritten, um so ein richtig gelungenes magisches Fest abzuhalten. Und die drei Töchter hatten sich mächtig ins Zeug gelegt, nicht nur, dass sie alles blitzeblank gewienert hatten, sich die Tische von leckerem Essen bogen, nein, sie sorgten auch noch für ein einzigartiges Unterhaltungsprogramm.

Diana jonglierte mit brennenden Fackeln und laufender Kettensäge.
Daphne spielte Harfe und sang dazu so herzzerreißend traurige Lieder, dass alle Zauberer weinten und ins Tischtuch schnäuzen mussten.

Und Helena organisierte einen zünftigen Tanz, um alle wieder fröhlich zu stimmen.
Alle Zauberer waren begeistert und sich einig, dass sie noch niemals so ein schönes Fest erlebt hatten. Da konnte der alte Zauberer nicht anders, er stieg in sein Verlies hinab, schloss die Truhe auf und übergab den Mädchen die Glaskugel, mit der man die Zukunft sehen konnte.

Da verabschiedeten sich die drei, stiegen in ihr Luftschiff und fuhren nach Hause. Dort wartete ihre Mutter, die Königin, bereits gespannt. Als ihre Töchter ihr dann aber erzählten, dass sie alle drei gemeinsam die Glaskugel errungen hatten, verzweifelte sie fast. Nun war sie ja genauso weit wie zuvor.

Aber dann schlug sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Ich bin ja auch blöd!“, rief sie. „Weil Ihr Drei so hervorragend zusammenarbeiten könnt, mache ich Euch alle Drei zu Königinnen, das wird das beste sein.“

Da lachten die Mädchen und freuten sich. Und so regierten sie glücklich und zufrieden das Reich, bis sie die konstitutionelle Demokratie einführten und sich aufs Repräsentieren konzentrieren konnten.

Die Glaskugel liegt heute noch irgendwo im Schloss in einer alten Truhe. Keine von den Schwestern hat sie jemals benutzt. Schließlich gibt es eine ganz einfache Methode zu sehen, was die Zukunft bringt: Es erleben.

5. Mai – Erkenntnisse aus der Vorzeit

Erkenntnisse aus der Vorzeit. Hurra, die Kreationisten haben doch Recht, zumindest halb. Heute habe ich es gesehen, im Fernsehen, auf Arte. In einer Dokumentation über die Höhlenmalerei der Steinzeit wurde mir klar, damals kann es noch keine Frauen gegeben haben. Nein, nein, auf gar keinen Fall.

Erstens wurden die Malereien allesamt nur von Männern an die Wand gepinselt bzw. gesprotzt, wie ich Farbe an die Wand spucken bzw. aus dem Mund an die Wand sprühen, jetzt mal laienhaft nennen würde. In der Dokumentation war nämlich beständig nur von den Künstlern, den Jägern, den Schamanen und dem Meister mit seinem Gehilfen die Rede.
Zweitens wurden von den Herren der Steinzeit laut Ansicht der Forscher keinerlei weiblichen Wesen abgebildet, nur Wisente, Wildpferde, Löwen und Strichmännchen mit Stier- oder Vogelköpfen, die selbstverständlich Schamanen darstellen, die sich aus kultischen Gründen als Tier verkleidet haben.

Es machte mich zwar etwas stutzig, wie das denn nun gehen soll mit der Fortpflanzung ohne Damen.

Aber den Gehilfen hatte sich der Meister wahrscheinlich ausgeschwitzt oder durch spontane Zellteilung hervorgebracht, vielleicht auch aus Lehm gebacken.

Jedenfalls kamen die Damen der Schöpfung schlichtweg nicht vor.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn es damals Frauen gegeben hätte, wo sind dann die in den Felsen gehauenen Schuhregale geblieben – ohne die angeblich keine Frau auskommen kann.

Solange die nicht entdeckt sind, steht mit absoluter Sicherheit fest: In der Steinzeit kann es keine Frauen gegeben haben.

Also, liebe Kreationisten, freut Euch. Die Urfrau muss also doch von Gott höchstpersönlich aus Adams Rippe erschaffen worden sein.

Und somit existiert der moderne Mensch – also die Frau – in Wahrheit erst seit knapp 10.000 Jahren.

4. Mai – Geburtstagsgeschichte

Geburtstagsgeschichte. Katinka hat Geburtstag und sie ist schon ganz früh wach. Mama schläft noch und auch die Katze, die sich am Fußende von Mamas Bett zusammengerollt hat. Katinka schaut auf die Uhr. Da steht eine Null und dann eine Fünf. Das ist bestimmt früh. Mama mag es nicht, wenn Katinka sie so früh aufweckt.

Aber das ist doch ungerecht. Heute hat Katinka schließlich Geburtstag. Also setzt sich Katinka ans Bett und stupst die Katze. Die hebt kurz den Kopf, reißt mächtig gähnend den Rachen auf, dass alles spitzen Zähne blitzen, dann dreht sie sich auf die andere Seite und schläft weiter.

Und jetzt? Katinka bummelt in die Küche. Mühsam macht sie den Kühlschrank auf. Keine Torte. Was Mama sich dabei wohl gedacht hat?

Vielleicht kann Katinka schon Kaffee kochen. Wenn der leckere Kaffeeduft in Mamas Zimmer strömt, dann wacht sie vielleicht auf. Aber dann fällt Katinka ein, dass Mama ihr verboten hat, noch einmal Kaffee zu kochen, weil sie das letzte Mal vergessen hat die Kanne wieder in die Maschine zu schieben und der ganze Kaffee auf die Arbeitsplatte getropft ist und sogar eine große Pfütze auf dem Boden gemacht hat.

Natürlich könnte Katinka es diesmal richtig machen. Aber wenn es nicht klappte, dann gab es Ärger. Und das wollte sie dann doch nicht. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag. Also ging sie in ihr Zimmer zurück. Holte sich ihren großen Teddy zur Gesellschaft, malte eine große, wunderschöne Torte mit vielen bunten Kerzen auf ein Blatt Papier.

Dann schenkte sie Kaffee ein für Teddy und Kakao für sich selbst. Dann gab ihr Teddy ein Ständchen und Katinka blies die Kerzen aus. Die Torte schmeckte herrlich.

Danach war Katinka so satt, dass sie sich mit Teddy ins Bett kuschelte und fest einschlief.
Später am Morgen kam dann Mama herein und rief: „Aufstehen, Schlafmütze! Alles Liebe zum Geburtstag!“

Dann drückte sie Katinka und Teddy auch ein bisschen.

Katinka war sofort hellwach und stürmte in die Küche. Eine prächtige Torte mit lauter bunten Kerzen wartete auf dem Tisch.

3. Mai – Unpünktlichkeit

Kapitän Emerald schaute auf die Raumzeituhr. Wo blieb denn der erste Offizier? Bereits vor zwei Zeiteinheiten hätte er das Kommando übernehmen müssen. Emerald hasste Unpünktlichkeit.

Er gab den Rufbefehl ein, der dem ersten Offizier nun eine Nachricht aufs Helmdisplay sandte: „Sofort beim Kapitän melden“.

Ungeduldig trommelte Emerald mit den Fingern auf seinen Oberschenkel. Am liebsten wäre er auf und ab gelaufen, aber das ließen die beengten Räumlichkeiten auf dem Raumfrachter nicht zu.

Plötzlich blinkte eine Anzeige rot auf und ein akustisches Signal zeigte Druckverlust im Labor an.

„Verdammt!“ Emerald gab eilig ein paar Befehle ein und prüfte, ob die automatische Reparatureinheit anlief. Der Piepton verstummte und das rote Blinken ging in ein langsames orangenes über.

Nun rief Emerald den ersten Offizier akustisch.

Aber immer noch erhielt er keine Antwort.

„Wo steckt der Kerl bloß?“

Endlich öffnete sich die Luke zur Brücke und der Erste steckte zuerst vorsichtig den Kopf herein.

„Sorry, ging nicht schneller“.

Mühsam kämpfte er sich mit zwei dampfenden Bechern in der Hand herein.

„Hier!“ Er reichte dem Kapitän einen davon.

Der löste seinen Helm und kostete das Gebräu.

„Mmh. Das schmeckt schon fast wie echter Kaffee. Schade, dass wir keine Milch an Bord haben.“

2. Mai – Meine Oma, die Erfinderin

Meine Oma war eine berühmt-berüchtigte Erfinderin. Wenn ich bei ihr klingelte, rief sie durch die geschlossene Tür: „Holla, wer da?“

„Ich bin’s!“, rief ich sehr laut, um ihre Schwerhörigkeit zu übertönen. Schon drehte der Schlüssel im Schloss, die Tür wurde aufgerissen und Oma zerrte mich kurz die Straße hinauf und hinunter blickend hinein.

Hinter mir schlug sie die Tür laut zu und schloss wieder ab.

„Gut, dass Du da bist! Hast Du alles dabei?“

„Ja, ja“, beruhigte ich sie und ging voran in die Wohnküche, um meinen schweren Einkauf auf dem Tisch abzusetzen. Dann packte ich aus.

Je nachdem, was auf Omas Einkaufszettel gestanden hatte, konnten das neben den alltäglichen Haushaltswaren Drahtstifte und Häkelgarn sein oder Transistoren und Maschendraht. Denn Oma erfand ständig etwas.

Zum Beispiel die futterspendende Vogelscheuche oder einen automatischen Ostereiermalapparat. Und sie lebte in ständiger Angst, dass jemand ihre Erfindungen stehlen wollte. Nur mein unübersehbares Desinteresse an ihren Erfindungen erlaubte mir überhaupt noch Einlass in ihr Haus zu finden. Alle anderen Verwandten waren längst davongejagt und enterbt, weil sie sie als Spione und Diebe entlarvt hatte.

Wahrscheinlich hatten die anderen nur aus reiner Höflichkeit Interesse geheuchelt, das hatten sie jetzt davon. Erbschleicherei war sicher nicht der Grund. Oma war nämlich arm wie eine Kirchenmaus und die wöchentlichen Einkäufe bezahlte natürlich ich.

Irgendwann einmal wurde es immer schlimmer mit Oma. Sie hielt jetzt schon den Briefträger für einen Spion und hatte eine Fingerfalle in den Briefschlitz eingebaut. Daraufhin musste ich ihre Post zu mir umleiten lassen.

Aber dann kam der Tag, an dem sie auch mich nicht mehr hineinlassen wollte. Das ließ ich mir ein paar Tage gefallen. Schließlich flehte ich täglich vor ihrer Tür. Sie solle sich doch wenigstens die Lebensmittel hereinholen, die ich vor der Tür abstellte. Doch sie wollte nicht hören. Und irgendwann wusste ich mir nicht anders zu helfen und brach bei ihr ein.

Das war nicht so einfach, weil Oma überall Fallen aufgestellt hatte. Nur dass ich meine Oma und ihre Denkweise so gut kannte, bewahrte mich davor einen Fuß zu verlieren. Und so gelangte ich zu ihr, ohne mehr, als ein halbes Ohrläppchen einzubüßen.

Oma saß auf ihrem Lehnstuhl in der Küche und war derart geschwächt, dass sie noch nicht einmal mehr aufstehen konnte, um mich mit der Kohlenschippe in ihrer Hand anzugreifen. Sie bot einen schrecklichen Anblick und schimpfte wie ein Rohrspatz, als ich ihr die Kohlenschippe entwand und eine mitgebrachte Hühnerbrühe einflößte.

Das brachte sie so weit wieder zu sich, dass sie mich erkannte.

„Ach“, sagte sie da, „schön, dass Du mich besuchst. Hast Du das Kettenfett mitgebracht, um das ich Dich gebeten hatte?“

Nach dieser Episode gab mir Oma einen Schlüssel zu ihrem Haus und sie lebte bis zu ihrem friedlichen Tod noch ganze drei Jahre lang glücklich dort und erfand jeden Tag etwas Neues.

1. Mai – Die Frau vom Weihnachtsmann

Jag den Weihnachtsmann zum Teufel. Das ganze Jahr faulenzt der Typ und kaum ist Weihnachten, bekommst du ihn nicht mehr zu Gesicht. Es ist einfach völlig unmöglich, die Frau vom Weihnachtsmann zu sein. Außerdem wird es langsam Zeit, dass die Antidiskriminierung auch in der Märchenwelt Einzug hält. Wer braucht also einen Weihnachtsmann. Es könnte ja auch eine Weihnachtsfrau sein.

Liebe Frau vom Weihnachtsmann, mach dir keine Illusionen. Es wird auch dieses Jahr wie jedes sein.

Also, jag den Kerl zum Teufel! Der kann auch mal ein paar Geschenke brauchen.