30. Januar – Helga und ihre Masken

Helga ging durchs Labor. Im Vorbeigehen sah sie sofort jeden Fehler, jede Nachlässigkeit ihrer Assistenten und machte sie mit einem Fingerzeig und einer kurzen Bemerkung aufmerksam.

Es durfte einfach nicht geschehen, dass irgendein Gutachten durch die Nachlässigkeit ihrer Mitarbeiter nicht standhielt. Deshalb war sie gefürchtet. Viele Kollegen sagten ihr, sie solle es doch mal etwas lockerer angehen, sie solle die Welt positiver betrachten. Aber wie sollte sie das, wenn von ihren Ergebnissen das Leben von Menschen abhing. Nachlässigkeit war nicht erlaubt.

Am Abend schloss Helga ihre Haustür auf und wurde gähnend von ihrer Katze begrüßt. Die strich ihr kurz um die Beine und schlenderte dann gemütlich voran in die Küche zum Futternapf. Helga zog ihre Pumps aus und schlüpfte in bequeme Hausschuhe, bevor sie in die klinisch saubere Küche ging. Die Katze bekam ihr Futter und Helga schenkte sich selbst ein Glas Rotwein ein. Dann ging sie ins Wohnzimmer.

Dort stand eine große Staffelei, rundherum waren Kleckse von Ölfarbe am Boden und an der Wand. Sie stellte das Weinglas auf einen Beistelltisch und griff zur Palette. In großen, schwungvollen Bewegungen schleuderte sie Farbe auf die Leinwand. Die Katze kam herein und leckte sich das Maul. Dann sprang sie auf die Fensterbank und schaute Helga zu. Sie blinzelte ein bisschen, wenn ein Farbtropfen in ihre Richtung flog.

Dann klopfte Bettina von nebenan an der Terrassentür. Helga machte ihr auf. „Wein ist in der Küche“, sagte sie und schleuderte weiter Farbe auf die Leinwand. Bettina ließ sich aufs Sofa fallen. „Du hast es gut. Bei mir im Wohnzimmer könnte ich nie so rumsauen. Toll, dass Du so locker bist.“