4. Januar – Das Puppenhaus

Alex presste die Hände gegen das große Schaufenster und versuchte, jede Einzelheit des gigantischen Puppenhauses zu erfassen. Das Puppenhaus war kein gewöhnliches Haus. Nein, es war einer Stadtvilla aus dem späten 19. Jahrhundert nachempfunden. Die große Küche mit dem alten gusseisernen Herd lag im Souterrain, ebenso das Zimmer der Köchin.
Die Küchenmagd schien es sich des Nachts auf der Küchenbank bequem zu machen. Die übrigen Dienstboten hausten in kargen, aber sauberen Mansardenzimmern. Und selbst diese waren liebevoll bis in Detail ausgestattet. Die Bettgestelle aus Metall, weiß lackiert, die einfache, grobe Bettwäsche, ein mickriger, ebenfalls weiß lackierter Kleiderschrank für die Habseligkeiten der Dienerschaft. Ein Kerzenständer auf dem wackligen Nachtspind, eine weiße Nachthaube nachlässig über den Bettpfosten geworfen.

Aber richtig schön und detailgetreu wurde es dann erst im Stockwerk darunter. Alex seufzte vor Wonne beim Blick in das Schlafzimmer der Herrschaften. Die Wände waren mit rotem Brokat ausgekleidet und das Ehebett wurde von einem roten Baldachin gekrönt, über und über mit Goldfäden bestickt. Auf der lang auslaufenden Schleppe prangte ein schlafender Drache. Rauchwolken quollen sanft aus seinen Nüstern.

Neben dem Elternschlafzimmer wurde der Unterricht für die Kinder erteilt. Der Hauslehrer hatte hier auch sein Bett stehen, dass am Tage mit einer bestickten Decke und großen bunten Kissen in ein Sofa verwandelt wurde. Dem Bett gegenüber reihten sich dunkelbraune Bücherregale an der Wand auf und ein Vitrinenschrank, in dem ein Globus in Miniaturgröße stand, einige Landkarten, ein Mikroskop und eine Schmetterlingssammlung hinter Glas. An der Kopfseite des Raumes stand der Schreibtisch des Hauslehrers und vor ihm auf zwei Doppelbänken saßen die Kinder des Hauses. Die Mädchen rechts, die Jungen links. Alle in unbequeme, gestärkte Kleidung gezwängt, mit steifen Kragen. Die Mädchen außerdem mit komplizierten Hochsteckfrisuren, kunstvoll zu Locken gedrehte Strähnen an den Schläfen herabhängend. Die übrigen Räume an der Rückseite des Hauses konnte Alex nur erahnen.

Im Erdgeschoss hatte Alex dafür einen freien Blick auf das Speisezimmer und den Salon. Im Salon blitzte ein blank polierter Parkettboden, an den Wänden hingen riesige, ovale Spiegel mit wuchtigen, handgeschnitzten und vergoldeten Rahmen, die Wände bespannt mit rosa Seide und ein glitzernder Kronleuchter hing von der Decke. Wie kleine Inseln im Ozean lagen Teppiche ausgebreitet und markierten die Lounge und den Kartentisch.
Die Wände des Speisezimmers waren mit weißem Holz getäfelt und die Kassetten mit dunkelblauem Brokat ausgekleidet. Der lange Esstisch war aus dunklem, schwerem Eichenholz wie auch die Anrichte. Die Stühle aber hatten zierlich gedrechselte Beine und handgeschnitzte Verzierungen an der Lehne, die Sitzflächen waren stark gepolstert und mit dunkelblauem Samt bezogen. Alex stellte sich vor, wie schön es wäre dieses wunderschöne Puppenhaus zu Hause zu haben. Es wäre wunderbar, damit zu spielen, die Einrichtung zu ändern oder es einfach nur zu betrachten, sich vorzustellen, was die Bewohner erlebten …

„Alexander, jetzt komm doch endlich!“, rief seine Frau. „Was schaust du dir denn so ein Puppenhaus an? Unser Enkelchen ist doch noch viel zu klein und außerdem ist das nichts für einen Jungen!“