1. April – Das gute Ende

Als Gerda klein war, da hat sie immer von ihrer Oma gehört: „Mit dir wird es mal ein schlimmes Ende nehmen!“

Was genau dieses schlimme Ende sein sollte, das wusste Gerda nicht. Vielleicht änderte sich das Szenario des schlimmen Endes auch ständig. Aber in jedem Fall prophezeite die Oma fleißig und unablässig das schlimme Ende.

Als Gerda älter wurde, da bemühte sie sich redlich, dieses schlimme Ende zu finden. Sie probierte eine Menge aus. Sie stieg heimlich aus dem Fenster, rutschte die Regenrinne hinab und fuhr mit ein paar Freunden auf dem Moped in die Disko.

Natürlich schwindelte sie über ihr Alter, um eingelassen zu werden, und manchmal war sie auch ganz doll verliebt in einen der Jungen. Aber meistens war das der, der ausgerechnet von ihr nichts wissen wollte. Dann weinte Gerda und fragte sich, ob dies vielleicht das schlimme Ende sei. Aber nein.

Das Leben ging einfach weiter und die Mopeds wurden zu Motorrädern dann zu Autos. Irgendwann da empfahl ihr Lehrer, sie solle doch unbedingt weiter zur Schule gehen, sie sei doch so ein gescheites Mädchen.

Da drehte Gerdas Oma fast durch. Das schlimmste aller schlimmen Enden musste bevorstehen, wenn das Kind wider die göttliche Ordnung nicht in den Haushalt oder in die Landwirtschaft ging, sondern weiter zur Schule. Bildung war Teufelszeug und das hatte bisher noch jedem geschadet.

Als Beispiel führte die Oma immer ihren Bruder Theobald an, der immer seine Nase in die Bücher gesteckt habe und deshalb an der Schwindsucht gestorben sei. Gerda konnte zwar keinen Zusammenhang feststellen, wusste aber aus Erfahrung, dass ihrer Großmutter mit logischen Argumenten ohnehin nicht beizukommen war.

Schließlich erzählte sie der Oma, dass es in der modernen Landwirtschaft unabdingbar sei, einen guten Schulabschluss zu haben. Das leuchtete der Oma dann fast ein und sie reduzierte ihre Weissagung auf ein lediglich schlimmes Ende wie gewöhnlich.

Also durfte Gerda weiter die Schule besuchen. Sie machte als allererstes Mädchen in ihrem Dorf Abitur und anstatt danach endlich in die Landwirtschaft oder einen Haushalt zu gehen, wie es die Oma nun wirklich erwartet hatte, zog das Mädchen in die Stadt und besuchte eine Universität. Der Oma war das völlig unverständlich, das konnte ja nur mit einem frühen Tod enden, wenn ein Mädchen ständig die Nase in die Bücher steckte.

Aber es kam noch viel schlimmer. Gerda arbeitete hart und wurde tatsächlich dank Ihres Fleißes und der finanziellen Unterstützung durch ein Stipendium schließlich eine Ärztin der Medizin.

Sie arbeitete an einem Krankenhaus.
Und die Oma war sich sicher, dass dies nun aber ganz bestimmt zu einem schlimmen Ende führen musste.

Was dort alles für Keime herumschwirrten, diese kranken Menschen, das war doch gefährlich.

Aber Gerda schien das alles mit Links zu meistern. Sie lernte einen netten Mann kennen, bekam zwei Kinder, arbeitete weiter, ließ sich schließlich als praktische Ärztin nieder und führte ein angesehenes und glückliches Leben.

Nun lauerte Gerdas Oma darauf, dass vielleicht die Kinder missrieten oder die Ehe ihrer Enkelin scheitern würde.

Aber nichts, außer den üblichen Wehwehchen fehlte keinem etwas.

Ganz im Gegenteil, Gerda nahm schließlich die Oma zu sich, als sie nicht mehr allein leben konnte und sich nicht mehr allein zurechtfand.

Eines Nachmittags als die erste Frühlingssonne gerade so schön durch das große Fenster im Wohnzimmer hereinschien, da tastete die Oma nach Gerdas Hand und sagte:
„Ach, Du bist so ein gutes Mädchen, das habe ich ja schon immer gesagt. Ende gut alles gut!“