„Himmelherrgottsakra! Kannst du mich nicht eine Minute in Ruhe lassen?“
„Ich wollte doch nur ganz kurz…“
„Raus, hier, raus, ich brauche meine Ruhe“.
Leise schließt Margarete die Tür und Wilhelm atmet auf.
So, jetzt kann es endlich losgehen. Der erste Satz. Kann ja so schwer nicht sein, ein Meisterwerk zu beginnen.
Zu seiner Rechten quillt zerknülltes Papier aus dem Korb. Ihm kommt es vor wie eine Million erste Sätze, aber – er überschlägt schnell, was dort am Boden und im Papierkorb liegt – es handelt sich wohl eher um knappe 45 missglückte Anfänge. Versuchsweise malt er noch ein weiteres Galgenmännchen auf das Stück Papier vor ihm auf dem Schreibtisch.
Wie macht Margarete das nur immer? Jeden Tag schreibt sie eine Geschichte oder ein paar Seiten an ihrem aktuellen Roman. Und er? Er schafft noch nicht einmal die ersten paar Worte oder Sätze, sofort ist alles Mist. Unfähig ist er. Sein Kugelschreiber gräbt sich tief ins Papier. Er malt dem Männchen eine weit herabbaumelnde Zunge. Sinnlos eigentlich noch weiter zu machen. Aber er hat es sich doch vorgenommen.
Endlich im Ruhestand wollte er seinen großen Roman schreiben. Im ersten Jahr hat er sich dann doch um den Garten kümmern müssen und im Heimatverein war so viel zu erledigen. Überhaupt, er musste sich erst einmal daran gewöhnen, ständig zu Hause zu sein. Aber jetzt, jetzt konnte er endlich beginnen. Am Computer wollte er nicht schreiben. Er war mehr für Papier und Stift. Da müssten die Sätze doch viel direkter aus der Hand aufs Papier fließen. Hatte er sich jedenfalls vorgestellt. Außerdem hasste er diese Höllenmaschinen. Seine E-Mails hatte er sich schließlich auch ausdrucken lassen, von seiner Sekretärin.
Apropos Sekretärin. Das wäre es vielleicht. Wenn er Frau Gruber hier hätte, dann könnte er seinen Roman diktieren. Moment mal, er kramt in der Schublade seines alten, dunklen Mahagonischreibtischs. Ja, da war es, das Diktiergerät. Das war doch die Lösung. Er würde einfach alles aufs Band sprechen und später ins Reine schreiben lassen. Er drückt auf den Aufnahmeknopf und legt los.
„Es war an einem dieser Sommertage, an denen es heiß und staubig nicht zu regnen beginnt. Katharina wischte sich den Schweiß von der Stirn und stöhnte als sie versuchte sich aufzurichten. Feldarbeit war ganz und gar nicht ihre…“.
Es klickt unvermittelt, das Band stoppt. Wilhelm fummelt an dem Apparat herum, aber er will sich nicht wieder einschalten lassen.
„Verdammt nochmal“, flucht er vor sich hin. Wahrscheinlich sind die Batterien leer.
Nun ja, das war gar nicht so schlecht. Vielleicht könnte er das einfach aufschreiben, was er da aufs Band gesprochen hatte. Aber, was war das nochmal? Irgendetwas mit Sommertag. Klar.
Er setzt sich hin und schreibt: „So ein heißer Sommertag. Es wollte einfach nicht regnen. Katharina schwitzte wie ein Stier.“
Wilhelm lässt den Stift sinken. Nein, das war doch gar nichts, völliger Blödsinn. Was er da aufs Band gesprochen hatte, war ihm besser vorgekommen. Er geht zur Tür, öffnet und ruft: „Marga!“
Keine Antwort.
„Marga, haben wir noch Batterien?“
„Was?“, schallt es aus der oberen Etage.
„Haben wir noch Batterien?“
„Welche denn?“
Wilhelm guckt verdutzt.
„Keine Ahnung!“
Margarete kommt die Stufen hinunter.
„Brauchst du Mignon-Batterien oder die kleinen, die AAA?“
Auf Wilhelms Gesicht steht ein großes Fragezeichen.
„So eine Batterie, wie in der Küchenuhr oder wie in der Fernbedienung vom Fernseher?“
„Öhm, ja, hab’ noch nicht nachgesehen.“
„Batterien liegen jedenfalls im Werkzeugschrank.“
Margarete lächelt ihn freundlich an.
„Brauchst du noch was?“
Wilhelm holt tief Luft.
„Ach, nein, mein Schatz, dank’ dir“.
Er lässt die Schultern hängen und verschwindet wieder in seinem Arbeitszimmer. Er kapiert einfach nicht, wie Marga das macht mit dem Schreiben. Und er schafft noch nicht einmal die ersten paar Sätze. Einen kleinen Augenblick ist er versucht, die Tür wieder aufzumachen, seine Hand liegt noch auf der Türklinke, und Margarete einfach zu fragen. Aber dann setzt er sich doch lieber an den Schreibtisch, versucht vergeblich die Abdeckung vom Batteriefach zu öffnen und flucht leise vor sich hin.