7. Januar – Stille Tage in Klischee

Wenn ich vom ganzen Trubel in unserem nordhessischen Dorf mal wieder gründlich die Nase voll habe, mache ich mich auf und verbringe ein paar Tage in Klischee. Dort ist alles genau so, wie es niemand erwartet, und das lüftet meine Gehirnzellen ganz vorzüglich.
Kaum in den Bahnhof eingefahren werde ich schon von drei Jugendlichen mit Migrationshintergrund freundlich empfangen. Der junge Mann mit Burka stolpert zwar etwas über den Saum seines langen Gewandes, als er mir den Blumenstrauß überreicht, aber die beiden anderen Burschen in ihren alpenländischen Trachten singen herzzerreißende Lieder von der verlorenen Liebsten, die nur in ihrem Heimatland Arbeit fand und jetzt jede Woche Geld schickt für Mann und Großeltern in Klischee.

Meinen Koffer muss ich selbst tragen. Das ficht mich nicht an, mein Hotel liegt nicht weit vom Bahnhof. Ich muss nur den Marktplatz überqueren, auf dem ständig ein schönes Lagerfeuer brennt, zu jeder vollen Stunde gibt es furchterregende Feuerspiele, die Glut spritzt in alle Richtungen und die Flammen schießen in großen Fontänen himmelwärts. Eine Punkerin mit Nickelbrille und strengem Kostüm schenkt mir einen Euro.

Die Straßenkehrerin kippt gerade den Müll auf den Platz und verteilt ihn großzügig. Am Ende stopft sie sich noch ein paar Kaugummis in den Mund, kaut hektisch und spuckt die klebrigen Klumpen auf den Gehweg. Einen mir genau vor die Füße, ich kann gerade noch ausweichen.

Im Hotel angekommen werde ich an der Rezeption mit einer lauten Schimpfkanonade empfangen. Ich kenne das bereits, nehme mir einfach meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett, 349 steht auf dem großen Schlüsselanhänger in Knochenform.
Also laufe ich schnurstracks in den zweiten Stock und schließe Zimmer 785 auf.

Wunderbar, alles ist bereit: Das Zimmer verwüstet, alles in Unordnung. Ich suche mir frische Bettwäsche und Putzzeug aus dem großen Schrank im Frühstückszimmer. Das Frühstück wird dafür in der Besenkammer serviert aber nur abends zwischen sieben und neun. Kaum bin ich mit Aufräumen fertig, werfe ich mich mit angezogenen Schuhen aufs Bett, kreuze die Arme im Nacken und freue mich auf weitere, stille Tage in Klischee!