21. Juni – Knapp vorbei ist auch nah dran

Benni hasste Ballspiele jeglicher Art. Ob die nun mit großen Bällen wie Fußball, Basketball oder Volleyball gespielt wurden oder mit kleinen und kleinsten wie Tennis und Tischtennis. Er hatte einfach keine Chance. Aus irgendeinem dummen Grund war seine Koordination so unterentwickelt, dass er eben immer nur fast traf aber niemals richtig, weder das Tor, noch in den Korb, geschweige denn über das Netz. Schläger waren noch schlimmer. Wenn er mit dem Schläger überhaupt den Ball traf, dann flog der bestimmt nicht dahin, wo er sollte, sondern irgendwo hinter Benni oder aufs Garagendach.

Das löste bei seinen Eltern unterschiedliche Verhaltensmuster aus. Seine Mutter beugte sich tröstend über ihn und sagte: „Knapp vorbei ist auch nah dran. Das ist doch schon ganz gut. Das nächste Mal klappt’s bestimmt!“

Sein Vater aber sah sich in der Pflicht, dem ungeschickten Sohn endlich beizubringen, wie das richtig ging. Also pflasterte er den Rasen hinter dem Haus mit Fußballtor, Basketballkorb und einem Volleyballnetz. Das konnte man niedrig hängen und wenigsten Softball spielen, wenn es auch für echtes Tennis nicht reichte. Auch für Tischtennis hatte der Papa gesorgt, die Platte stand im Keller. So konnte Benni noch nicht einmal bei schlechtem Wetter auf eine Pause hoffen.

Obwohl sich keinerlei Besserung in Bennis Spiel einstellte, weigerte sich Bennis Vater, aufzugeben. Jeden Abend und jedes Wochenende nötigte er den immer bockiger werdenden Benni auf den Rasen. Schließlich brüllte Benni nur noch: „Ich will nicht, ich will nicht!“ Der Ball konnte ihm ruhig gegen den Kopf oder den Körper prallen, dann ließ er sich einfach fallen und betrachtete die Wolken. Bis sein Vater zu ihm kam und die Sicht verdeckte. „Ich will nicht!“, sagte Benni.

Also ließ Bennis Vater die Schultern hängen, trottete ins Haus und murmelte: „Dann eben morgen. Wäre doch gelacht.“ Aber aus morgen wurde übermorgen und überübermorgen. Benni machte einfach nicht mehr mit. Und sein Vater musste sich geschlagen geben. Er war noch nicht einmal mehr fähig das Tor, den Korb und das Volleyballnetz abzubauen, so enttäuscht war er.

Als Benni Geburtstag feierte, lud er seine Klassenkameraden ein. Die fanden das richtig toll in Bennis Garten. Vor allem konnte man prima Fußball spielen, wenn das blöde Volleyballnetz beiseite geräumt war. Also kickten die Jungs ein bisschen. Benni baten sie, sich ins Tor zu stellen. Den ganzen Tag gelang es seinen Klassenkameraden nicht, auch nur einen einzigen Ball ins Tor zu bekommen. Benni hielt den Kasten sauber.

Als am Abend sein Vater von der Arbeit nach Hause kam, traute er seinen Augen kaum. Benni spielte Fußball! Freiwillig! Und machte es auch noch gut! Da kam seine Frau zu ihm, legte tröstend ihren Arm um seine Schulter und sagte: „Knapp vorbei ist auch nah dran. Hab’ ich doch gleich gesagt, dass es das nächste Mal klappt.“

20. Juni – Einmal Karma und zurück

Gemeinhin wird Karma überschätzt. Die meisten schwärmen zwar davon, fühlen sich auch irgendwie ganz geläutert, wenn sie zurück sind. Aber für mich, ehrlich gesagt, ist das nichts.

Selbstverständlich kenne ich auch die Plakate und die Werbefilme, aber das allein hätte mich nicht dazu gebracht dieses sehr preisgünstige Last-Minute-Angebot nach Karma in Anspruch zu nehmen. Eher, würde ich sagen, waren es die enthusiastischen Schilderungen meiner Freundinnen. Die sagten, sie fühlten sich jetzt so rein und auch sehr viel schlauer als vorher. Und ein unvergessliches Erlebnis sei es auch gewesen.

Natürlich, als unvergesslich würde ich mein Erlebnis auch bezeichnen. Allein schon diese irre Talfahrt ins gleißende Licht nach dem ewigen Rumgehänge in so einem Vorbereitungsraum. Es ging dann schon gleich los, anstatt meiner Betreuerin an die Brust gelegt zu werden, wurde ich sofort entführt und in so einen Kasten gesteckt, da war es sehr warm aber auch elend einsam.

Das hatten die wahrscheinlich im Kleingedruckten erwähnt, dass es auch richtig mieses Karma geben kann. Irgendwie erinnere ich mich auch dunkel, dass da so irgendetwas stand, von wegen „die Ursachen entfalten jetzt ihre Wirkung“, oder so ähnlich. Na, muss ich das verstehen? Bei einem eben mal schnell gebuchten Last-Minute-Trip? Eben!

So fing das an. Später kam ich dann doch wieder zu meiner Betreuerin, die bestand darauf, dass ich sie Mama nenne, also tat ich ihr den Gefallen – allerdings erst viel später. Denn lachhafterweise konnte ich weder sprechen noch herumgehen. Ich war ganz auf die freundliche Hilfe meiner Betreuerin angewiesen.

Die schleppte mich zu sich nach Hause, da traf ich noch so ein paar arme Reisende, die nicht recht wussten, wie ihnen geschah. Ein paar Jahre Erfahrung hatten sie mir dennoch voraus. Also hielt ich mich erst einmal an ihre Ratschläge.

Von der Reiseleitung weit und breit keine Spur. Ich konnte mich also noch nicht einmal beschweren. Das war schon sehr ärgerlich. Vor allem als das so richtig losging mit den unangenehmen Erlebnissen. Zähne bekommen, ständig Umfallen beim Laufen lernen, ständige Konfrontation mit mies gelauntem, männlichem Hausgenossen, der in irgendeiner nicht genau zu ergründenden Beziehung zu meiner Betreuerin stand.

Dann natürlich Streit mit den anderen Reisenden, die dachten doch glatt, sie wüssten alles besser. Dann wurde ich in etwas geschickt, was sich Schule nannte, ganze neun Jahre musste ich da zubringen! Und dann die Komplikationen mit den anderen Schulbesuchern. Da gab es nämlich männliche und weibliche Kategorie. Bis ich da erst einmal dahinter kam, dauerte es ein paar Jahre.

Als ich dann aber entdeckte, dass die weibliche Kategorie echt voll blöde war, weil ich dann angeblich immer mit Puppen spielen sollte und nicht mit Autos einen Verkehrsunfall nachstellen durfte. Außerdem sollte ich nicht auf Bäume klettern, keine Jungs verhauen und überhaupt mein Licht ständig unter den Scheffel stellen, damit die Jungs sich nicht benachteiligt fühlen, sondern groß und stark und heldenhaft.

Da dachte ich doch, irgendwas ist hier echt schief gelaufen mit meinem Trip nach Karma. Und gerade habe ich auf meinem Ticket gesehen, dass die Rückreise in frühestens 54 Jahren anzutreten ist. Was mir da wohl noch alles bevorsteht? Aber eins weiß ich genau, wenn ich zu Hause bin, da schwärme ich den Daheimgebliebenen auch was vor, wie toll das hier ist. Ich sehe doch nicht ein, dass ich die Einzige bin, die auf diese falschen Empfehlungen reingefallen ist.

19. Juli – Lilien

Lilien – grün und weiß. Wachsen wo? In der Nähe von Gewässern vielleicht. Als altes Stadtkind kenne ich die meisten Blumen, Pflanzen, Obstsorten nur aus Geschäften. Geordnet, genormt, ins beste Licht gerückt. Weiße Lilie – Trauerblume.

Warum eigentlich? Wächst sie nicht genauso wie die Rose, die Tulpe oder das Gänseblümchen aus der Erde mit Sonnenschein, Wasser und Mineralien als Nahrung?

Im Sommer, wenn die Straßen staubig werden und die Hitze mich zur Langsamkeit zwingt, dann säße ich gerne im Kelch einer Lilie, leicht beschattet, ein paar Wassertropfen perlen an der glatten Blütenwand. Über mir nichts als Himmel und Wolken und ab und zu eine brummende Hummel, die Blütenstaub von Blüte zu Blüte trägt. Also ehrlich, falls Lilien durch Hummeln bestäubt werden.

Natur ist mir so fern, darum kann ich auch gefahrlos davon träumen, inmitten von ihr zu entspannen.

18. Juni – Das Malbuch und das kleine Mädchen

„Kann ich helfen?“ Julia beugt sich über das kleine Mädchen, das am Boden sitzt und in einem Malbuch herumkritzelt. Ein unbezahltes Malbuch, mitten im Laden, auf dem Fußboden, die Stifte stammen auch von hier und sind genauso wenig bezahlt.

„Wo ist denn deine Mutti?“

Julia versucht, freundlich zu bleiben. Das Kind kann doch nichts dafür. Aber wo sind die Eltern? Julia schaut suchend über die Verkaufstische und Displays. Niemand zu sehen. Die Buchhandlung ist plötzlich wie leergefegt.

„Wie heißt du denn?“

Das Kind sagt kein Wort, schaut Julia nur mit großen Augen an, bevor es sich wieder über das Malbuch beugt und ungeschickt den Himmel knallrot anmalt. Das gibt es doch nicht. Wer lässt denn einfach sein Kind hier zurück? Die Kleine ist höchstens drei.

„Den Himmel musst du aber blau machen!“

Wieder schaut das Mädchen mit großen Augen zu Julia hoch, blickt sie kurz mit einem strahlenden Lächeln an und kritzelt weiter einen blutroten Himmel über einem noch nicht ausgemalten Karussell.

In einer halben Stunde schließt Julia den Laden.

Bis dahin muss das Kind verschwunden sein.

Unruhig geht sie im Laden auf und ab, schaut in jede Ecke, sogar unter die Verkaufstische. Vielleicht ist die Mutter ohnmächtig geworden und liegt jetzt unter den aufgestapelten Aktionswaren. Aber nein, niemand da. Es ist wie verhext. Kein einziger Kunde betritt mehr die Buchhandlung.

Julia steht an der Tür und schaut die Straße entlang. Irgendwo muss doch die Mutter sein. Julia sieht aber nur die alte Schawitzki von gegenüber mit ihrem Hund Poldi Gassi gehen. Ein paar Jugendliche drücken sich an der Ecke vor der Spielhalle herum. Niemand weit und breit, der zu dem Kind gehören könnte.

Eigentlich müsste Julia jetzt nach Hause, aber was macht sie dann mit dem Kind? Vermutlich sollte sie die Polizei rufen. Sie schließt von innen die Tür ab, geht zum Telefon.
Die Kleine malt immer noch. Die Sonne in ihrem tiefroten Himmel ist schwarz.

Das ist doch sicher kein gutes Zeichen, wenn das Kind den Himmel blutrot malt und die Sonne schwarz. Außerdem müsste sie längst sprechen können.

Natürlich, Julia ist keine Psychologin, aber das hat sie ja schon oft genug im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich wird die Kleine misshandelt. Julia wählt Eins Eins Null. Freizeichen.
In dem Moment schaut die Kleine wieder zu ihr hoch und sagt: „Mama!“

Julia zuckt zusammen.

Das arme Kind. Sie kann sie doch nicht einfach der Polizei ausliefern. Sie legt auf.

„Gut, dann nehme ich dich eben mit!“, sagt sie zu dem Mädchen.

17. Juni – Fluch der Biologie

„Das sind doch alles nur die Hormone!“ Das war der Standardspruch meiner Mutter, wenn sich einer aufregte, wütend war, fluchte, weinte oder sich sonst wie gefühlig benahm.

Natürlich klar, die Hormone! Wollte ich nie haben, fand ich überflüssig. Aber Heulen und Trotzen und Wüten und Fluchen, das fand ich richtig gut. Warum ich dazu gleich Hormone brauchte, konnte ich nie verstehen.

Auch als dann das mit der Liebe anfing. Süße Jungs im Freibad bewarf ich immer mit nassen Papierkugeln oder Grassoden, manchmal auch mit Kies.

„Das sind die Hormone“, sagte meine Mutter, als mir der Platzwart deswegen Hausverbot erteilte.

Dieser Sommer war echt beschissen, da saß ich nun mit meinen Hormonen vorm Zaun und hörte die anderen Kinder kreischen und planschen. Und dann der Geruch nach Pommes und Chlor, der durch die gedrahteten Rauten waberte. Alles ohne mich.

Das war der heißeste Sommer meiner Kindheit. Völlig ohne Abkühlung, und das verdankte ich nur den berühmten Hormonen meiner Mutter.

Später dann fuhr ich das Moped meines Bruders gegen das Garagentor. Das waren selbstverständlich auch die Hormone. Diesmal machten sie also Beulen in Metall. Ich selbst bekam nur ein paar Schrammen ab und blaue Flecke, von den Schlägen meines Bruders, als er den Schaden bemerkte.

Die Hormone ließen seine Fäuste zu großen Keulen wachsen, die auf meinen Oberarmen und meinem Rücken trommelten. Ich weinte aber nicht, sondern trat ihm gegen das Schienbein. Das war ein akzeptabler Ausdruck meiner hormonellen Steuerung.

Mutter schüttelte nur den Kopf. Ihre Hormonproduktion war längst eingestellt, diesen Dauerstress könne doch kein Pferd länger aushalten.

„Bei solchen Kindern“, sagte sie immer, „kommt frau doch gern in die Wechseljahre!“
Inzwischen bin ich erwachsen. Da hat sich vieles geändert. Meine Tochter zum Beispiel hält gar nichts von Hormonen, die ist eine Verfechterin der Genetik.

Immer wenn sie mal wieder Mist baut, sagt sie: „Das sind alles deine schlechten Gene, Mama! Ich kann nichts dafür.“

16. Juni – Begegnung

Rita schlenderte die Goethestraße entlang. Endlich frei! Was sollte sie mit diesem wunderschönen Sommertag anfangen? Vielleicht im Park einen ausgedehnten Spaziergang und danach ein Eis bei „da Carlo“, den gehetzten Menschen zuschauen, den quengeligen Kindern, den gestressten Müttern. Und sie hatte heute alle Zeit der Welt.
„Hey, Rita, wie geht’s denn so? Lange nicht gesehen!“

Rita drehte sich um. Die Stimme kam ihr doch bekannt vor. Schon sah sie Georg über die Straße zwischen zwei Autos hindurch auf sie zulaufen. Oh, nein ausgerechnet Georg. Rita zwang sich zu einem Lächeln.

„Hi!“

„Gut siehst du aus!“ Georg grinste sie breit an.

Rita konnte dieses Kompliment nun wirklich nicht erwidern. Georg hatte sich völlig verändert. Sein Gesicht aufgedunsen und auch sonst wirkte er moppeliger als früher. Dabei war er auch in der Oberstufe schon keine Schönheit gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an seine stillen aber ausdauernden Annäherungsversuche.

Er kapierte einfach nicht, dass sie ihn zum Kotzen fand. Einfach unausstehlich. Widerlich. Und jetzt schaute er schon wieder so.

„Mensch, dass wir uns mal wiedersehen! Bist du immer noch mit diesem Dings, dem Anwalt zusammen?“

Rita runzelte die Stirn.

„Bastian meinst du? Nein, nein.“

Um Gottes willen! Georg erinnerte sich noch an den! Das war doch mindestens 15 Jahre her. Wie kam er darauf, dass sie immer noch mit diesem Totalversager zusammen war?

„Und, was treibst du so?“

„Och“, sagte sie.

Was konnte sie erzählen? Bloß nichts sagen, aus dem Georg Rückschlüsse auf ihren Arbeitsplatz oder Wohnort ziehen konnte. Der fing wieder an mit albernen Geschenken und schmalzigen Briefen!

„Ich bin jetzt beim Fernsehen“, platzte Georg heraus, „kleiner Privatsender, aber voll seriös. Nicht so Spiele, richtig Moderation!“

„Schön, gratuliere.“

Rita rang sich ein Lächeln ab. Das passte zu Georg, vor 15 Jahren hatte er rumgesponnen mal den Gottschalk abzulösen. Große Samstagabendshow. Klar! Was war falsch mit ihr, dass solche Totalversager auf sie abfuhren? Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

„Du, war nett. Hab’s leider eilig!“ Seitdem ich dich Hirni getroffen habe, ergänzte sie bei sich und lächelte wieder gequält.

„Oh, ja klar“, sagte Georg, „toll, dass wir uns mal getroffen haben!“

„Ja, wirklich toll.“ Warum merkte er nicht, dass sie diese Begegnung alles andere als toll fand? Sie wandte sich halb zum Gehen.

„Will dich nicht aufhalten.“ Und warum laberte er dann weiter?

„Mach’s gut. Viel Erfolg noch mit deiner Sendung“. Mühsam hielt sie die Maske der Höflichkeit aufrecht. Drei Meter hatte sie schon zwischen sich und ihn gebracht.

„Ja, Tschüß dann, hab’ auch noch n Termin!“, rief er.

Wer’s glaubt, wird selig!

Rita schlenkerte unbestimmt mit der rechten Hand in der Luft, lächelte ein letztes Mal wie aufgezogen und ging mit eiligen Schritten davon.

Als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie, wie Georg ihr nachblickte, die Hand immer noch zum Abschiedsgruß erhoben.

15. Juni – Zeus‘ Verhandlung

Zeus saß auf der Anklagebank. Er schmollte. Mit fest vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er den Richter, der gerade den Saal betrat. GOTT nannte sich der Typ oder auch Jehova. Behauptete neuerdings, der einzige wahre Gott zu sein. Ganz schön unverschämt. Zeus weigerte sich, aufzustehen und schob demonstrativ die Unterlippe vor, während Stühle schurrten, Füße scharrten und Kleider raschelten. GOTT setzte sich und die Menge tat es ihm nach.

„Angeklagter“, wandte sich GOTT an Zeus, „Ihnen wird zur Last gelegt, sich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung in 48 schweren Fällen schuldig gemacht zu haben. Dabei – so legen es die Aussagen der Geschädigten nahe – haben sie sich meist als Tier verkleidet, um sich Ihren Opfern unerkannt nähern zu können und ihr Vertrauen zu gewinnen.“ Zeus rutschte ein wenig auf seinem Stuhl herum und warf einen Seitenblick zu Hera, die auch anwesend war. Ihr Blick war eisig. Trotzdem stand sie zu ihrem Gatten – glaubte Zeus jedenfalls.

Dann erteilte GOTT Gabriel das Wort, der die Interessen der Gottesmacht vertrat. Der verlas die Anklageschrift im Detail und zählte auf, an welchen Frauen sich Zeus in welcher Form vergangen habe. Die Liste war lang. Zeus bemühte sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck. Aber manchmal zuckte doch seine Augenbraue, besonders als die Namen Leda, Europa und Io fielen. Dann führte Gabriel sogar noch Alkmene an, der er sich in der Gestalt ihres Ehemannes Amphitryon genähert haben sollte.

Wieder warf Zeus einen verstohlenen Blick zu Hera. Hoffentlich glaubte sie den ganzen Quatsch nicht. Es war doch klar, dass ihm der ganze Kram nur angedichtet wurde. Das musste sie doch auch wissen. Ihr Blick war immer noch eisig. Eine halbe Stunde später war Gabriel endlich fertig mit der Liste seiner Anschuldigungen. Und Satan erhob sich, um Zeus zu verteidigen.

Natürlich war Satan ein dämlicher Lackaffe und gehörte überdies zu GOTTES Personal. Zeus versprach sich also nicht besonders viel von seiner Verteidigung. Obwohl Satan ihm versichert hatte, er wäre ganz scharf darauf, GOTT fertig zu machen.

Trotzdem hätte Zeus lieber Hades als seinen Verteidiger berufen. Aber der saß selbst gerade in Untersuchungshaft. Er soll angeblich seine Frau als junges Mädchen entführt und dann in seinem unterirdischen Bunker gefangen gehalten haben. Das war natürlich Unsinn. Völlig lachhaft. Schließlich war Persephone Zeus’ Tochter und er würde doch niemals eine solche Behandlung seines Kindes zulassen. Andererseits Demeter war Zeus’ Schwester, vielleicht sollte er das lieber nicht an die große Glocke hängen, dass sie eine gemeinsame Tochter hatten. Das war ja heutzutage nicht so gern gesehen. Hatte er gehört.

In Wirklichkeit war Demeter doch nur stinkig, dass Persephone sich an so einen Unterweltrocker weggeworfen hatte, anstatt sich einen anständigen Gott als Lebenspartner zu wählen. Deswegen hatte sie diese dumme Geschichte in die Welt gesetzt. Persephone hatte zwar für Hades ausgesagt, aber ein Gutachter hatte behauptet, sie litte an so einem albernen Syndrom. Zeus erinnerte sich nicht mehr genau. Das hieß nach irgendeiner nordischen Stadt. Helsinki oder so.

Die Schergen GOTTES jedenfalls, diese Engel, waren natürlich voll auf diese ganzen Märchen und Mythen abgefahren. Dabei wusste Zeus gar nicht, warum GOTT sich überhaupt solch eine Mühe machte. Schließlich war der Olymp inzwischen nur noch ein Gebirge in Griechenland und Zeus und seine Götterfamilie zählten eher zur Folklore, als das jemand sie noch ernsthaft verehrte. Warum also jetzt diese Prozesslawine? Zeus hatte ehrlich gesagt keine Idee. Aber er behauptete ja auch nicht von sich, allmächtig zu sein. Vielleicht würde er im Laufe des Prozesses noch dahinter kommen, was GOTT wirklich beabsichtigte.

Zunächst vertagte GOTT aber erst einmal. Zeus wandte sich flüsternd an Satan, ob er nicht wenigstens seine Freilassung auf Kaution beantragen könne, aber der schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das passt nicht zu meiner Strategie!“ Tja, toll, Strategie, dachte Zeus, bevor er wieder in seine langweilige Zelle geführt wurde. Mit einem Besuch von Hera rechnete er jedenfalls nicht.

Am nächsten Verhandlungstag rief Gabriel alle 48 geschädigten Frauen in den Zeugenstand. Dies dauerte den ganzen Vormittag. Aber Zeus hatte den Verdacht, dass GOTT die Zeit manipulierte. Für Zeus verging der Vormittag jedenfalls in rasender Schnelle und gerann zu einer einzigen charakteristischen Handbewegung: dem ausgestreckten auf ihn gerichteten Zeigefinger.

Satan schien seinen Job schlecht zu machen. Er fragte wenig, versuchte gar nicht, die Unglaubwürdigkeit der Zeuginnen zu beweisen. Aber immer wenn Zeus sich zu ihm umwandte, gluckste Satan nur zufrieden und glücklich in sich hinein, als hätte er noch einen Trumpf im Ärmel. Zeus hoffte jedenfalls, dass der Ausdruck in Satans Gesicht diese Bedeutung hatte. Vielleicht freute er sich auch nur darüber, dass Zeus bald für immer und ewig im Knast landete. Die Demütigung nur noch ein Folklore- und Operettengott zu sein, hatte ihn schon hart genug getroffen. Mehr – das wurde ihm immer bewusster – würde er nicht ertragen.

Dann rief Gabriel Hera auf – als Zeugin der Anklage. Am liebsten hätte Zeus sich unter dem Tisch versteckt. Ihr Blick! Ihr Blick war für ihn einfach unerträglich. Er hörte nicht wirklich, was sie sagte. Erst später sollte er sich bruchstückhaft erinnern. Aber dieser Blick, der sagte ihm alles. Zeus war inzwischen überzeugt, dass seine Chancen als freier Gott diesen Gerichtssaal zu verlassen gegen Null tendierten. Trotzdem – Satan gluckste immer noch.

Nach der Mittagspause geschah dann das Unfassbare. Satan rief GOTT in den Zeugenstand. Der versuchte sich erst herauszuwinden. Ein Richter könne nicht in den Zeugenstand gerufen werden. Aber Satan überzeugte ihn davon, dass er als allmächtiger Gott alles könne. Das nannte Zeus, GOTT mit seiner Eitelkeit austricksen, und schöpfte das erste Mal wieder Hoffnung.

Satan freute sich augenscheinlich teuflisch, GOTT in die Zange zu nehmen. Als erstes verlangte er, dass GOTT auf die Bibel schwor, die Wahrheit zu sagen. „GOTT“, fuhr Satan danach fort, „ich weiß aus sicherer Quelle, dass Deine Marketingabteilung Dich dazu gedrängt hat, diesen Prozess anzustrengen, um Dein Image aufzupolieren!“ Zeus setzte sich auf und sah GOTT gespannt an. Der räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.

„Schließlich macht dein Bodenpersonal immer mehr Mist, kaum einer hält sich noch ans Zölibat und Verbot der Empfängnisverhütung. Frauen verlangen immer mehr Gleichberechtigung – auch in deiner Kirche. Und um glaubwürdig vorzutäuschen, wie sehr du die Belange der Frauen unterstützt – ohne dass dein katholisches Bodenpersonal sich auch nur einen Zentimeter ändern muss – hast du die alten griechischen Götter und deren Missetaten aus dem Hut gezogen. Stimmt das?“

Zeus lehnte sich weiter vor. GOTT räusperte sich noch einmal. „Mmh! JA!“, sagte er. Das war’s dann wohl. Gabriel schlug die Hände vors Gesicht. Die Zuschauer pfiffen und buhten. Satan drehte sich theatralisch zu Zeus um und ließ sich die Hand schütteln. Die Gerichtsdiener öffneten die Türen. GOTT war auf seinen Platz als Richter zurückgekehrt und brüllte: „DIE ANKLAGE WIRD FALLENGELASSEN!“

Als Zeus den Saal verließ, zwinkerte er Maria zu. Es stimmte schon, GOTT hatte sich einfach geschickter angestellt. Diesen Trick mit der jungfräulichen Empfängnis musste er sich merken. Da war sein oller Goldregen natürlich nichts gegen.

14. Juni – Durchgeknallt

Einfach durchgeknallt, die Glassplitter flogen Karin nur so um die Ohren. Verdammt nochmal, das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Schon die zweite Glühbirne, die explodierte, sobald Karin den Schalter umlegte.

Vielleicht war das jetzt die Rache, weil sie keine Energiesparbirnen eingeschraubt hatte. Zum Glück dämmerte es draußen erst, so konnte Karin wenigstens etwas sehen. Trotzdem stieß sie sich das Knie an der Ecke der großen Eichentruhe. Mist!

Dieses blöde Haus war viel zu groß. Das hatte sie Herbert gleich gesagt. Und alt. Und renovierungsbedürftig. Aber er konnte nicht anders als zuschlagen.

„Für den Spottpreis bekommst du nie wieder so eine Villa mit einem Riesengrundstück“, hatte er gesagt.

Aber Herbert gehörte auch zu den Leuten, die fünfzehn Topfuntersetzer kauften, weil sie im Preis reduziert waren. Ob er den Mist wirklich brauchte, hatte ihn noch nie interessiert.

Und nun war Karin hier allein, eine Glühbirne nach der anderen knallte durch. Bald würde es stockduster sein. Kerzen waren keine im Haus. Die hatte es wohl nicht irgendwo im Angebot gegeben, dachte Karin missgelaunt. So ein Blödsinn. Und der Mobilempfang war hier auch äußerst lausig.

Im nächsten Raum tat sich einfach gar nichts, als sie den Lichtschalter betätigte, war auch kein Wunder, es hing gar keine Lampe an der Decke. Wenigstens war der Raum völlig leer bis auf den zerrissenen und aufgerollten Teppich in einer Zimmerecke. Was suchte sie nochmal hier? Jetzt hatte Karin es vergessen.

Im nächsten Zimmer gab es einen Kamin und eine atemberaubende Aussicht durch ein großes Panoramafenster. Der Himmel schien rosa auf im letzten zarten Blau. Die Schwärze der Nacht kroch ganz langsam näher, aber noch konnte Karin den Park und die Berge in absoluter Klarheit erkennen. Sie trat ans Fenster.

Ohne es zu bemerken, streichelte sie mit ihrer Hand leicht über die Fensterbank aus Marmor. Eine Ricke lief über den Rasen, gefolgt von zwei Kitzen. Einen Augenblick drehten sie die Köpfe in Karins Richtung und schauten sie aufmerksam aus schwarzen Augen an, ihre Ohren leuchteten im letzten Abendrot.

Dann drehte sich die Ricke um und trottete davon, die beiden Kleinen sprangen hinterher.

Karin wandte sich ins Zimmer zurück. Ein schönes Feuer im Kamin wäre sicher nicht schlecht. Mit ein bisschen Farbe hier und da, ein paar neuen elektrischen Leitungen und neuen Teppichen könnte man aus dem Haus vielleicht doch etwas machen.

13. Juni – Der Geborenentest

Wenn du ganz scharf nachdenkst, dann erinnerst du dich bestimmt noch an den Geborenentest, den du vor deiner Zeugung und Geburt absolvieren musstest.

Denn es darf nicht einfach so jede oder jeder im Bauch einer Frau heranwachsen und geboren werden. Eine gewisse Grundeignung wird inzwischen verlangt.

Vor allem in Anbetracht des großen Ansturms von Seelen, die in einen Leib geboren werden wollen. Und für alle Nichtgeborenen hier eine kleine Auswahl aus dem Fragenkatalog, dann könnt ihr schon einmal darüber nachdenken, was Ihr antwortet und ob Ihr nicht doch lieber auf Wolke Sieben bleibt:

„Wie lautet der Name des Planeten für den du dich beworben hast?“

„Wie heißt die Lebensform, für die du dich qualifizieren möchtest?“

„Warum bist du dafür besonders gut geeignet?“

„Was möchtest du lernen?“

„Was möchtest du zum Wohl aller geborenen und ungeborenen Seelen beitragen?“

Und zum Schluß der Warnhinweis:
„Du wirst als Geborener großes Glück erleben. Du wirst alles erreichen und lernen, was du dir hier und jetzt gewünscht hast, aber dies wird auch mit unangenehmen Erfahrungen, Schmerzen und Leid verbunden sein. Bist du dazu bereit diese Eigenschaften des Geborenseins in Kauf zu nehmen? Bist du bereit die große Einsamkeit des Geborenseins kennenzulernen? Wenn ja, unterschreibe unten links.“

Tja, liebe geborene Leserin, lieber geborener Leser, du hast ja schon vor langer Zeit Ja gesagt zum Leben.

Wenn du ganz ehrlich bist, war das doch alles in allem eine richtig gute Entscheidung, nicht wahr?

12. Juni – Der Zwerg

Es war einmal ein Zwerg, der wohnte im Land der Riesen. Dort fühlte er sich immer klein, unnütz und hässlich. Die Riesen verspotteten ihn und machten Weitwurf mit ihm oder steckten ihn in eine Showkanone und schossen ihn damit in einen Riesendunghaufen. Es war ein elendes Leben.

Und der Zwerg jammerte und haderte: „Es ist ja so gemein, was diese Riesen mir antun“. Jeden Tag betete er: „Lieber Gott, rette mich aus dieser gräßlichen Lage!“

Eines Tages hatte Gott ein einsehen. Er nahm den Zwerg und setzte ihn in die Welt der Zwerge. Plötzlich war der Zwerg nichts Besonderes mehr, er war nicht größer, nicht kleiner, nicht schöner, nicht hässlicher als all die anderen Zwerge um ihn herum.

Da begann er sich zu fürchten. Wo waren die Beschimpfungen und Demütigungen, wo die Kanonenschüsse und Weitwürfe geblieben? Welchen Sinn hatte sein Leben jetzt noch?

Also heuerte der Zwerg bei einem Zirkus an, der Zwergenweitwurf zeigte, Zwerge mit Kanonen in Dunghaufen schoss und alberne Zwergenclowns über sich selbst lustig machen ließ. Aber im Zwergenland wollte keiner diesen merkwürdigen Zirkus sehen.

So kehrte der Zwerg in dem Zirkus zu den Riesen zurück und führte nun freiwillig die Nummern auf, mit denen er damals gedemütigt wurde. Aber eines Abends trat er vor seinen Wohnwagen und schaute hinauf zu den Sternen.

Da wurde ihm klar, dass er endlich wachsen musste. So ließ er den Zirkus hinter sich und kehrte nie wieder ins Land der Riesen und Zwerge zurück.

11. Juni – Tierische Gartenparty

Du denkst vielleicht, dass es nachts in Deinem Garten völlig ruhig und gesittet zugeht. Die Vöglein haben sich alle schlafen gelegt, die Würmer räkeln sich endlich unbekümmert in der Erde und sogar die Bienen, Hummeln und sonstigen Flieg- und Krabbeltiere haben sich zur Nachtruhe begeben. Aber in Wahrheit ist es aus einem ganz anderen Grunde so ruhig.

Der kleine Maulwurf hat wie jede Nacht außer montags in seinen Nightclub geladen. Die Grillen spielen auf zum Tanz, die Glühwürmchen leuchten, was die Hinterleiber hergeben und alle Tiere, die tagsüber brav ihren Aufgaben nachgehen, scheren sich einen Dreck um all das, was gemeinhin von ihnen erwartet wird. Die Vögel und die Würmer stehen einträchtig an der Bar und schlürfen einen leicht vergorenen Nektar, die Motten summen zur Musik und die Igel legen mit den Mardern eine kesse Sohle aufs Parkett.

Nur die Schnecken treffen meist zu spät ein, weil sie solange überlegen, ob sie heute als Männchen oder Weibchen kommen. Manchmal dürfen sogar ein paar Hauskatzen mitfeiern. Die sind ja bekannt für ihre Diskretion und Verschwiegenheit. Und wenn er besonders gut gelaunt ist, dann spielt der Maulwurf ein Lied auf seiner Stehgeige und singt dazu.

Meistens ist die Party dann so gegen Mitternacht schon vorbei, manchmal auch erst um drei Uhr morgens. Dann schlafen die Tiere wirklich. Der nächste Tag verlangt ja wieder allerhand tierisches Gehabe von ihnen. In Brehms Tierleben steht darüber natürlich nichts. Für uns Menschen muss schließlich alles seine Ordnung haben. Und daran wird auch nicht gerüttelt.

10. Juni – Lottogewinn

Sergej ist völlig aus dem Häuschen! Seit fast zwanzig Jahren spielt er regelmäßig Lotto und wenn er ehrlich ist, so richtig hat er nie daran geglaubt, dass überhaupt jemals irgendjemand richtiges Geld gewinnt. Aber jetzt, er kann es kaum fassen.

Ludmilla tanzt schon auf dem Tisch. Das große Los, ein Sechser mit Zusatzzahl und Superzahl. Ein paar Millionen werden das bestimmt. Wie gut, dass die Kinder nicht zu Hause sind. Besser wenn die nichts erfahren. Sonst weiß es am Ende jeder und Sergej muss aller Welt Geld schenken oder Geld leihen.

Er möchte diese peinlichen Situationen nun wirklich vermeiden. Aber das Haus können sie abbezahlen, auf einen Schlag. Und es ist genug für das Studium der Mädchen da. Und Ludmillas Mutter kann endlich in eine anständige Wohnung ziehen.

Aber natürlich, alles muss in Ruhe bedacht werden. Ein neues Auto wäre auch schön. Nur die Fragen, die bohrenden Fragen von den Verwandten und Arbeitskollegen.
„Nein, nein. Sei nur vorsichtig, Sergej“, tadelt er sich selbst.

Dann springt Ludmilla vom Tisch auf und holt den Krimskoye aus dem Kühlschrank. Immer noch vor Freude trällernd stellt sie die Sektflöten auf den Couchtisch.

„Los mach auf!“, fordert sie Sergej auf.

„Warum haben wir so teuren Sekt im Haus?“, braust Sergej auf.

„Ach Lieber“, Ludmilla sinkt ihm auf den Schoß, „ich habe doch geträumt, dass es so kommt. Was denkst du? Mach’ dir nicht soviel Gedanken. Es wird alles gut!“