15. Juni – Zeus‘ Verhandlung

Zeus saß auf der Anklagebank. Er schmollte. Mit fest vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er den Richter, der gerade den Saal betrat. GOTT nannte sich der Typ oder auch Jehova. Behauptete neuerdings, der einzige wahre Gott zu sein. Ganz schön unverschämt. Zeus weigerte sich, aufzustehen und schob demonstrativ die Unterlippe vor, während Stühle schurrten, Füße scharrten und Kleider raschelten. GOTT setzte sich und die Menge tat es ihm nach.

„Angeklagter“, wandte sich GOTT an Zeus, „Ihnen wird zur Last gelegt, sich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung in 48 schweren Fällen schuldig gemacht zu haben. Dabei – so legen es die Aussagen der Geschädigten nahe – haben sie sich meist als Tier verkleidet, um sich Ihren Opfern unerkannt nähern zu können und ihr Vertrauen zu gewinnen.“ Zeus rutschte ein wenig auf seinem Stuhl herum und warf einen Seitenblick zu Hera, die auch anwesend war. Ihr Blick war eisig. Trotzdem stand sie zu ihrem Gatten – glaubte Zeus jedenfalls.

Dann erteilte GOTT Gabriel das Wort, der die Interessen der Gottesmacht vertrat. Der verlas die Anklageschrift im Detail und zählte auf, an welchen Frauen sich Zeus in welcher Form vergangen habe. Die Liste war lang. Zeus bemühte sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck. Aber manchmal zuckte doch seine Augenbraue, besonders als die Namen Leda, Europa und Io fielen. Dann führte Gabriel sogar noch Alkmene an, der er sich in der Gestalt ihres Ehemannes Amphitryon genähert haben sollte.

Wieder warf Zeus einen verstohlenen Blick zu Hera. Hoffentlich glaubte sie den ganzen Quatsch nicht. Es war doch klar, dass ihm der ganze Kram nur angedichtet wurde. Das musste sie doch auch wissen. Ihr Blick war immer noch eisig. Eine halbe Stunde später war Gabriel endlich fertig mit der Liste seiner Anschuldigungen. Und Satan erhob sich, um Zeus zu verteidigen.

Natürlich war Satan ein dämlicher Lackaffe und gehörte überdies zu GOTTES Personal. Zeus versprach sich also nicht besonders viel von seiner Verteidigung. Obwohl Satan ihm versichert hatte, er wäre ganz scharf darauf, GOTT fertig zu machen.

Trotzdem hätte Zeus lieber Hades als seinen Verteidiger berufen. Aber der saß selbst gerade in Untersuchungshaft. Er soll angeblich seine Frau als junges Mädchen entführt und dann in seinem unterirdischen Bunker gefangen gehalten haben. Das war natürlich Unsinn. Völlig lachhaft. Schließlich war Persephone Zeus’ Tochter und er würde doch niemals eine solche Behandlung seines Kindes zulassen. Andererseits Demeter war Zeus’ Schwester, vielleicht sollte er das lieber nicht an die große Glocke hängen, dass sie eine gemeinsame Tochter hatten. Das war ja heutzutage nicht so gern gesehen. Hatte er gehört.

In Wirklichkeit war Demeter doch nur stinkig, dass Persephone sich an so einen Unterweltrocker weggeworfen hatte, anstatt sich einen anständigen Gott als Lebenspartner zu wählen. Deswegen hatte sie diese dumme Geschichte in die Welt gesetzt. Persephone hatte zwar für Hades ausgesagt, aber ein Gutachter hatte behauptet, sie litte an so einem albernen Syndrom. Zeus erinnerte sich nicht mehr genau. Das hieß nach irgendeiner nordischen Stadt. Helsinki oder so.

Die Schergen GOTTES jedenfalls, diese Engel, waren natürlich voll auf diese ganzen Märchen und Mythen abgefahren. Dabei wusste Zeus gar nicht, warum GOTT sich überhaupt solch eine Mühe machte. Schließlich war der Olymp inzwischen nur noch ein Gebirge in Griechenland und Zeus und seine Götterfamilie zählten eher zur Folklore, als das jemand sie noch ernsthaft verehrte. Warum also jetzt diese Prozesslawine? Zeus hatte ehrlich gesagt keine Idee. Aber er behauptete ja auch nicht von sich, allmächtig zu sein. Vielleicht würde er im Laufe des Prozesses noch dahinter kommen, was GOTT wirklich beabsichtigte.

Zunächst vertagte GOTT aber erst einmal. Zeus wandte sich flüsternd an Satan, ob er nicht wenigstens seine Freilassung auf Kaution beantragen könne, aber der schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das passt nicht zu meiner Strategie!“ Tja, toll, Strategie, dachte Zeus, bevor er wieder in seine langweilige Zelle geführt wurde. Mit einem Besuch von Hera rechnete er jedenfalls nicht.

Am nächsten Verhandlungstag rief Gabriel alle 48 geschädigten Frauen in den Zeugenstand. Dies dauerte den ganzen Vormittag. Aber Zeus hatte den Verdacht, dass GOTT die Zeit manipulierte. Für Zeus verging der Vormittag jedenfalls in rasender Schnelle und gerann zu einer einzigen charakteristischen Handbewegung: dem ausgestreckten auf ihn gerichteten Zeigefinger.

Satan schien seinen Job schlecht zu machen. Er fragte wenig, versuchte gar nicht, die Unglaubwürdigkeit der Zeuginnen zu beweisen. Aber immer wenn Zeus sich zu ihm umwandte, gluckste Satan nur zufrieden und glücklich in sich hinein, als hätte er noch einen Trumpf im Ärmel. Zeus hoffte jedenfalls, dass der Ausdruck in Satans Gesicht diese Bedeutung hatte. Vielleicht freute er sich auch nur darüber, dass Zeus bald für immer und ewig im Knast landete. Die Demütigung nur noch ein Folklore- und Operettengott zu sein, hatte ihn schon hart genug getroffen. Mehr – das wurde ihm immer bewusster – würde er nicht ertragen.

Dann rief Gabriel Hera auf – als Zeugin der Anklage. Am liebsten hätte Zeus sich unter dem Tisch versteckt. Ihr Blick! Ihr Blick war für ihn einfach unerträglich. Er hörte nicht wirklich, was sie sagte. Erst später sollte er sich bruchstückhaft erinnern. Aber dieser Blick, der sagte ihm alles. Zeus war inzwischen überzeugt, dass seine Chancen als freier Gott diesen Gerichtssaal zu verlassen gegen Null tendierten. Trotzdem – Satan gluckste immer noch.

Nach der Mittagspause geschah dann das Unfassbare. Satan rief GOTT in den Zeugenstand. Der versuchte sich erst herauszuwinden. Ein Richter könne nicht in den Zeugenstand gerufen werden. Aber Satan überzeugte ihn davon, dass er als allmächtiger Gott alles könne. Das nannte Zeus, GOTT mit seiner Eitelkeit austricksen, und schöpfte das erste Mal wieder Hoffnung.

Satan freute sich augenscheinlich teuflisch, GOTT in die Zange zu nehmen. Als erstes verlangte er, dass GOTT auf die Bibel schwor, die Wahrheit zu sagen. „GOTT“, fuhr Satan danach fort, „ich weiß aus sicherer Quelle, dass Deine Marketingabteilung Dich dazu gedrängt hat, diesen Prozess anzustrengen, um Dein Image aufzupolieren!“ Zeus setzte sich auf und sah GOTT gespannt an. Der räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.

„Schließlich macht dein Bodenpersonal immer mehr Mist, kaum einer hält sich noch ans Zölibat und Verbot der Empfängnisverhütung. Frauen verlangen immer mehr Gleichberechtigung – auch in deiner Kirche. Und um glaubwürdig vorzutäuschen, wie sehr du die Belange der Frauen unterstützt – ohne dass dein katholisches Bodenpersonal sich auch nur einen Zentimeter ändern muss – hast du die alten griechischen Götter und deren Missetaten aus dem Hut gezogen. Stimmt das?“

Zeus lehnte sich weiter vor. GOTT räusperte sich noch einmal. „Mmh! JA!“, sagte er. Das war’s dann wohl. Gabriel schlug die Hände vors Gesicht. Die Zuschauer pfiffen und buhten. Satan drehte sich theatralisch zu Zeus um und ließ sich die Hand schütteln. Die Gerichtsdiener öffneten die Türen. GOTT war auf seinen Platz als Richter zurückgekehrt und brüllte: „DIE ANKLAGE WIRD FALLENGELASSEN!“

Als Zeus den Saal verließ, zwinkerte er Maria zu. Es stimmte schon, GOTT hatte sich einfach geschickter angestellt. Diesen Trick mit der jungfräulichen Empfängnis musste er sich merken. Da war sein oller Goldregen natürlich nichts gegen.