30. November – Das Ei auf dem Rasen

Philip bestieg das merkwürdige Ei auf dem Rasen, das in seinem Garten gelandet war, durch eine schnöde aussehende Rampe. In seinem gepflegten Rasen würde diese sicherlich tiefe Löcher hinterlassen, ganz zu Schweigen von den ausgefahrenen Krallenbeinen, die das Ei in Waage hielten. Hauptsächlich weil er sich wegen seines zerstörten Rasens beschweren wollte, stieg er überhaupt die Rampe hinauf.

Zuerst hatte er dieses Geräusch gehört. So ein hohes Sirren, ein Fiepen und dann einen dumpfen Knall. Er war zur Terrassentür gelaufen und dort hatte er mit angesehen wie sich ein großes, schillerndes, eiförmiges Etwas auf seinem Rasen niederließ, dabei langsam eine Rampe öffnete und sich anschickte, unaufhaltsam tiefe Löcher in seinen Rasen zu graben.

„Oh, oh, nein!“, hatte er gebrüllt und die Terrassentür aufgerissen. Ohne nachzudenken, war er selbst in Patschen über den Rasen gerannt und hatte in die dunkle Öffnung im Ei hineingerufen.

„So eine Unverschämtheit! Sie ruinieren meinen Rasen!“ Daraufhin hatte eine raue Stimme aus dem Dunkel ihn eingeladen hineinzukommen. So kam es, dass Philip die Rampe in ein schillerndes Ei auf seinem gepflegten Rasen hinaufging.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an das gedämpfte Licht und er entdeckte einen alten Mann auf einem fest am Boden verschraubten Drehstuhl vor einer Konsole sitzen. Insgesamt war der Innenraum nicht sehr groß und enthielt außer dem Stuhl und den Bedienelementen nichts weiter. Die Wände waren weiß, glatt und konkav. Philip konnte nicht herausbekommen, woher das schummrige Licht kam. Beinahe kam es ihm so vor, als leuchteten die Wände.

Der Mann auf dem Drehstuhl wandte Philip den Rücken zu und klimperte auf einer Tastatur herum. Mit der linken Hand machte er eine beschwichtigende Geste in Philips Richtung.

„Einen Augenblick“, knarzte er.

Philip räusperte sich und holte tief Luft, schließlich hatte er vor sich zu beschweren. Aber gerade als er loslegen wollte, drehte sich der Mann herum und begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln und einem festen Händedruck. Philip schaute auf die Hand, die er schüttelte, und dann auf den Mann vor ihm. Dann klappte er erst einmal den Mund wieder zu, um ihn sofort wieder zu öffnen und doch nichts weiter hervorzubringen, als „ähähäh“.

Schließlich kam in seinem Gehirn an, was er dort sah. Sich selbst. Philip. Vielleicht zehn Jahre älter als er jetzt war, quietschfidel, mit Dreitagebart und lässigen Klamotten. Sogar ein wenig schmutzige Klamotten und ungeputzten Schuhen. Aber eindeutig er selbst. Oder einer, der genauso aussah wie er. Philip musste sich setzen. Wie durch Zauberhand fuhr eine bequeme Sitzbank genau hinter ihm aus der Wand. Wieder versuchte er es mit dem Sprechen. Aber auch diesmal wurde nur „wawawa“ daraus.

Der andere, ältere Philip grinste. Lässig strich er sich die langen Haare aus der Stirn, lehnte sich bequem zurück und sagte: „Wirklich scheußlich siehst du aus!“

„Was?“

„Mann-o-mann – irre, was ich für ein Spießer hätte werden können! – Immer wieder lustig das anzuschauen.“

„Was?“

Philip wurde es langsam zu bunt. Was wollte dieser widerliche Kerl damit sagen? Außerdem hatte er seinen Rasen zerstört und beleidigte ihn jetzt noch als Spießer.

„Hast du Lust, ein paar weitere von uns in Paralleldimensionen mit mir zu besuchen? Dachte das könnte Spaß machen!“

„Äh, äh, was?“

„Außer natürlich, du hast was Besseres vor“.

„Öh, ich…“

„Dachte ich mir doch.“

Der Kerl drehte sich auf seinem Stuhl um und tippte ein paar Zahlen ein. Philip sah beim Schließen der Rampe, wie ein großes Stück Rasen herunterfiel.

Der war wirklich ruiniert. Er seufzte. Ob es in anderen Dimensionen unzerstörbaren Rasen gab?

29. November – Badewanne

Eine Badewanne ist natürlich dazu da, um große Wasserschlachten zwischen den gelben Quietscheentchen und den grünen Spritzfröschen abzuhalten. Manchmal mischt sich auch noch ein Hai oder ein Blauwal ein.

Einmal verirrte sich sogar der Tyrannosaurus Rex ins Wasser, aber dann trieb er doch mehr auf der Seite so halb unter Wasser dahin und wirkte nicht besonders furchteinflößend. Wasserschlachten sind herrlich, einfach das Größte. Wenn nur Mama nicht immer so schimpfen würde, dass danach das Bad komplett unter Wasser steht. Wer gewonnen hat interessiert sie meistens gar nicht. Wir sollen dann nur schnell ins Bett.

Aber das macht nichts. Denn im Bett ist es ja fast noch schöner als in der Badewanne, dort können wir mit der großen Kissenschlacht weitermachen. Und wenn Mama uns das verbietet, dann setzen wir uns mit der Taschenlampe unter die Bettdecke und schauen uns unsere Lieblingsbücher an.

28. November – Automaten

Automaten sind etwas ganz Besonderes. Vor allem ganz etwas Anderes als diese heute allgegenwärtigen technischen Spielzeuge, vollgestopft mit Digitaltechnik und Batterien.

Ein Automat ist häufig aus gutem alten Blech und wird aufgezogen, so ähnlich wie ein Uhrwerk. Und dann fängt er an zu laufen, die Pauke zu schlagen, sich zu drehen oder wozu auch immer er konstruiert wurde. Bis die Feder sich entspannt hat. Dann hilft nur erneutes Aufziehen. Mit Liebe und Vorsicht. Denn wird die Federspule überdreht, ist es aus und vorbei mit dem schönen Automaten.

27. November – Provinz

Alle Wege führen nach Rom, nach Berlin oder wenigstens Frankfurt am Main. Die Wege beginnen bei den meisten irgendwo im Nirgendwo – in der schnarchlangweiligen, gefürchteten oder manchmal auch romantisch verklärten Provinz.

Dabei ist es so schön auf dem Lande. Kaum ein Motorenlärm zu hören. Die Nachbarn achten noch aufeinander, keiner bleibt tot in der Wohnung liegen bis er stinkt. Da sind die Frau Boltes und Herr Schultes vor, die immer gucken, was die Nachbarschaft so treibt.

Natürlich ist diese Rundumüberwachung für so eine aus der Stadt, wie ich es bin, ein klein wenig ungewohnt und auch anstrengend. Dafür hätte der gute Herr Schäuble hier bei uns seine helle Freude. Wir achten genau darauf, ob unsere Nachbarn sich normal verhalten. Jeder „Schläfer“ würde bei uns sofort enttarnt. Langschläfer sowieso!

25. November – Die Sachenflüsterin

Wenn bei uns etwas verloren geht, dann werde meistens ich herbeigerufen, um das Etwas zu finden. Ich gelte nämlich als Sachenflüsterin. In den meisten Fällen allerdings handelt es sich nur um etwas Verlegtes.

Das ist die häufigste Variante eines scheinbar verlorenen Gegenstandes. Die Klassiker sind natürlich die Brille und der Schlüsselbund. Aber ab und zu ‚verliert‘ mein Mann auch seinen Schraubendreher, seinen Elektrotacker oder das Nudelholz.

Zugegeben – das Nudelholz ging nur einmal verloren – aber das ist eine andere Geschichte.

Um einen verlegten Gegenstand zu finden, ist vor allem innere Ruhe notwendig. Sich von allem Wollen freimachen, sich entspannen. Dann geschieht es ganz häufig, dass ich einfach ohne lange, womöglich noch systematisch suchen zu müssen den Gegenstand finde.

Meine Kinder nennen mich deshalb die Sachenflüsterin. Sie sind davon überzeugt, dass ich mich innerlich in die Sachen hineinversetze und deshalb intuitiv ‚weiß‘, wo sie abgeblieben sind. Im Grunde haben sie damit Recht. Aber es gibt auch Dinge, die sich meinem Talent verschließen. Wirklich und echt verlorene Sachen.

Der unachtsam abgestreifte Ohrring ist so ein Kandidat. Der will meistens nicht gefunden werden. Falls doch, dann klackert er auch gut hörbar auf dem Fußboden oder im Waschbecken, sobald er sich vom Ohrläppchen löst. Jede Finderin, die etwas auf sich hält, wird den Ohrring dann unter dem Badezimmerschrank oder aus dem Abfluss retten. Auch wenn sie vorher erst einmal die Rohrzange finden muss, die aus unerklärlichen Gründen nicht im Werkzeugkoffer liegt, wo sie eigentlich hingehört.

Aber oft genug verschwindet ein Ohrring lautlos und auf Nimmerwiedersehen. Das hat er mit den linken Socken gemein, die sich auch so gerne in irgendwelchen Ritzen verkriechen und erst wieder auftauchen, wenn sein rechtes Pendant längst zum Schuhputzen abkommandiert ist.

24. November – Etymologie

Ein Blick ins etymologische Wörterbuch kann mir mit seiner Etymologie den ganzen Tag verhageln. Wie interessant es auch immer ist die Herkunft der Wörter unserer Sprache zu verstehen und zu durchdringen. Bei der Herleitung des einen oder anderen Wortes läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.

Zum Beispiel bei dem Wort ‚glauben‘. Das lässt sich nachweisen aus dem Althochdeutschen ‚gilouben‘ und hat tatsächlich mit dem Laub zu tun. Hergeleitet aus dem Locken von Tieren mit einem Büschel Laub in der Hand, bedeutet es vertrauen, vertraut machen bzw. ursprünglich handzahm machen.

Einer, der glaubt, ist also einer, der auf das Laubbüschel in der Hand des anderen setzt, im schlimmsten Falle hineinfällt. Einer, der sich einfangen lässt, locken lässt, mit der Gier nach Futter verführen lässt. Glauben hat also mit der Aufgabe von Autonomie zu tun. Glauben bedeutet, ich überlasse anderen, mich zu nähren – sie haben die Oberhoheit über mein Leben, meine Gedanken, meine Entscheidungen.

Selber denken und sich selber vertrauen, auf die eigenen Erfahrungen hören wird aus Gründen der Bequemlichkeit aufgegeben. Sobald ich glaube, bin ich handzahm geworden und folge somit den Interessen eines anderen. Irgendwie erschreckend. Oder?

23. November – Vergeben und vergessen

Unsere Gehirnzellen ebenso wie unsere Seele sind auf Vergessen programmiert. Wir wollen und sollen uns nicht an jede Kleinigkeit erinnern.

An das Schöne, Wahre, Gute erinnern wir uns fast immer gern. Aber auch die Erinnerung an das Hässliche, Verlogene, Böse kann uns lieb sein. Schließlich gibt es keine bessere Methode um alte Feindschaften zu pflegen und uns dennoch auf der Seite des Rechts zu fühlen. Wenn wir schon hassen dann mit Grund.

Aber welcher Grund gilt? Betrogen worden zu sein, belogen worden zu sein, geschlagen und verletzt worden zu sein, missachtet und gequält worden zu sein? Ist es nicht dennoch unsere Verantwortung zu verzeihen und aus dem Kreislauf von Wut und Zerstörung auszubrechen. Einem Opfer mag dieser Schritt leichter fallen als dem Täter.

Denn ein Opfer leidet spürbar, der Täter verbirgt sich im schlimmsten Falle hinter Rechtschaffenheit, aber auf jedem Fall hinter dem Gefühl von Macht und Stärke, das ihm seine Taten verschafft hat. Ein Opfer verbirgt sich nur hinter seinem Leiden. Das ist unangenehm und grausam. Darüber hinauszuwachsen ist die Chance zum Leben.

Denen zu vergeben, die nicht um Vergebung bitten, die halsstarrig an der Richtigkeit ihrer Taten festhalten, die sich jeglichem Mitgefühl verweigern. Das wird uns Überlebenden abverlangt, um zum Leben zurückzukehren. Mögen wir dankbar für die Gnade der Vergebung sein, die wir die Macht haben zu gewähren.

22. November – Ruhe im Sturm

Ruhe im Sturm, Ruhe in der Hektik des Alltags. Wenn das Blut vibriert und jede einzelne Zelle im Körper vor Aufregung zappelt, dann ist, Ruhe finden, eine hohe Kunst.

Ein langer Spaziergang ist toll, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Am besten am Meer oder auch im Wald. Nur macht das wenig Freude, wenn es wie gerade stürmt und schneit. Sich einfach hinsetzen und auf den eigenen Atem konzentrieren, nichts denken – es zumindest versuchen nichts zu denken, das geht fast immer.

Wenn die Zeit nicht wieder davonläuft und das Große „Ich-Muss-Noch“ uns antreibt und treibt und vor sich herjagt bis wir mit hängender Zunge und völlig entkräftet niedersinken. Und doch von Ruhe und Entspannung meilenweit entfernt, weil die Zellen immer noch zappeln und rufen und das ganze Adrenalin einfach nicht loswerden.

Kein Wunder, dass wir uns spätestens an Weihnachten mit der halben Verwandtschaft zerstreiten müssen. Irgendwo muss es ja hin, das ganze Hormongemisch. Nimm es lieber mit in den Fitnessraum, in den Wald, schrei gegen den Wind, wirf ein paar Heuballen durch die Gegend.

21. November – Ver-flixt

Das Ver- kroch eines Morgens aus dem Bett und setzte sich vor das -schwitzt. Und schon war klar, wie es sich fühlte: Verschwitzt.

Laut gähnend wankte es in die Küche, kratzte sich am Bauch und goß sich dann eine Tasse Kaffee ein. Erst dann schaute das Ver- auf die Uhr und stellte fest, dass es sich schon wieder hoffnungslos verspäten würde.

„So ein Mist!“, fluchte es und schüttete den Kaffee so schnell hinunter, dass es sich die Zunge verbrannte.

„Verdampt“, lallte es mühsam und rannte zum Wasserhahn, um die Verbrennung zu kühlen. Das war aber auch ein verflixter Tag. Das Ver mochte es viel lieber sich zu verlieben oder die Verwandschaft zu besuchen. Am besten verkroch es sich wieder ins Bett und verschlief wenigstens gründlich. Jetzt kam es ohnehin nicht mehr darauf an.

20. November – Genug Zeit

Niemals habe ich genug Zeit. Keine Ahnung, wo die eigentlich immer ist, wenn ich sie brauche. Kaum versuche ich, sie zu ergreifen, rennt sie schon wieder vor mir davon.
Letztens versuchte ich sogar, ein bisschen Zeit im Internet zu ersteigern. Aber die scheint so knapp zu sein, dass sie freiwillig keiner hergibt. Ich konnte jedenfalls kein einziges Angebot finden.

Zeitmesser gibt es dafür zuhauf. Damit kann ich mich inzwischen totschmeißen. Ich habe Dutzende davon. Die meisten allerdings funktionieren nicht mehr so richtig. Uhren sind nämlich der letzte Mist. Mehr Zeit konnte ich aus denen jedenfalls nicht herausholen.

Dabei habe ich alles versucht. Als Erstes die Zeiger blockiert, um die Zeit anzuhalten. Das kümmert die leider gar nicht. Die Zeit läuft auch ohne tickende Zeiger lustig weiter. Egal ob Sanduhr, Sonnenuhr, Digitaluhr. Ich habe sie alle auf jede erdenkliche Weise manipuliert. Die Zeit konnte ich damit nicht austricksen. Die läuft und läuft.

Neulich hat mir eine ältere Nachbarin einen Tipp gegeben: Wurzelbehandlung. Die wirkt immer. Da würde ich Augen machen, wie eine Wurzelbehandlung die Zeit dehnt. Eine Unterhaltung mit Frau Bolte hätte ungefähr die gleiche Wirkung. Und wenn mir das immer noch nicht ausreiche, dann solle ich mal eine Vorlesung von Professor Zeh besuchen. Dem gelinge es mühelos, die Zeit ins Unendliche zu verlängern.

Wurzelbehandlung gut und schön, aber wie soll ich die Tastatur bedienen, während ich den Mund aufreiße. Aber die Vorlesung vom Professor klingt richtig super. Nächste Woche probiere ich das aus. Vielleicht schaffe ich so in einer Stunde mein ganzes Tagespensum und habe dann sogar noch ein bisschen Zeit zum Lesen.

19. November – Eine Entscheidung treffen

Heute traf ich beim Bummeln in der Innenstadt eine Entscheidung. Die war wirklich sehr schick, hatte eine richtig tolle Frisur, modische Kleidung und erschien sehr vertrauenserweckend. Ich lud die Entscheidung auf einen Kaffee und Bagel ein. Die ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das muss ich leider sagen. Mit der guten Kinderstube war es bei ihr also nicht so weit her.

Schließlich haben wir doch alle das gekonnte Sich-Zieren in jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit eingeübt. Bei der schicken Entscheidung davon keine Spur. Die bestellte gleich den größten und teuersten Kaffee und noch ein Mineralwasser dazu, außerdem den exklusivsten Bagel, der sich auftreiben ließ. Klar, ich hatte ja versprochen zu zahlen. Nicht, dass ich besonders geizig wäre. Aber die Kinderstube eben, die Manieren. Mir wurde da doch etwas mehr Zurückhaltung beigebracht.

Na gut, Schwamm drüber. Aber das war dann so der erste Anlass, warum es mir so ein klein wenig unbehaglich wurde mit dieser Entscheidung. Hätte mir nicht eine andere über den Weg laufen können? Vielleicht nicht so up to date, mehr so gediegen, womöglich schon ein klein wenig angestaubt, dafür aber solide und bescheiden.

Ach, es ging nämlich gerade so weiter mit der tollen Entscheidung. Zuerst phantasierte sie mir das Rot und Grün von den Weihnachtsdekorationen herunter, dann log sie dreist, dass sich die Stuhlbeine bogen. Es wurde insgesamt recht ungemütlich in dem kleinen Coffeeshop, mit grauer, trister Weihnachtsdeko und Säbelbeinen am Stuhl, die jeden Augenblick unter mir zusammenbrechen drohten.

Beinahe wäre die Entscheidung noch mit zum Essen zu mir nach Hause gekommen, aber das konnte ich gerade noch abwenden, indem ich eine wichtige Verabredung vorschützte.
Also wirklich, habt Ihr eigentlich auch solche Probleme mit Entscheidungen?

18. November – Oberste Regel für Pfadfinder

Das ist die oberste Regel für Pfadfinder. Jeden Tag ein guter Gedanke. Ein Gedanke, der nicht auf den alten Pfaden bequem dahinschreitet, sondern der sich frei in die Lüfte erhebt, sich mutig durchs Dickicht schlägt, waghalsig die Steilwand erklimmt oder unerschrocken die Tiefe des Meeres erkundet.

Jeden Tag nur ein solcher Gedanke. Das würde vielleicht schon ausreichen, um die Welt zu verändern. Zumindest meine Welt, meine Wirklichkeit. Möglicherweise wirkt das nach und nach auf alle mit mir verbundenen Seelen. Wer weiß das schon so genau.

Vielleicht kann einer dieser Gedanken wie der Flügelschlag eines Schmetterlings sein, der auf der anderen Seite der Erde einen Orkan auslöst. Nur dass ich lieber Gedanken hätte, die Millionen von Schmetterlingen mit den Flügeln schlagen lassen, die Millionen von Menschen in Freudentränen ausbrechen lassen, die Millionen von Blumen erblühen lassen.

Trotzdem – jeder Gedanke muss gedacht werden dürfen. Auch die, die Stürme und Feuer und Elend bewirken. Genauso wenig wie der unschuldig seine Flügel gebrauchende Schmetterling Schuld auf sich lädt, weil er fliegt, kann ich Schuld auf mich laden, weil ich denke. Schließlich tun wir beide, der Schmetterling und ich, nur das, wozu wir hier sind.

Ja, ich denke. Ja, ich schlage den Flügel. Flapp.