30. April – Nichts als Mittelmaß

Georg schüttelte traurig den Kopf, als sein Blick über Leonies Zwischenzeugnis glitt. In Mathematik schon wieder eine Fünf und in Latein, Physik, Biologie und Sport eine Drei, in Kunst eine Eins, der Rest Zweien. Überall war seine Tochter nichts als Mittelmaß.

Außer natürlich in Mathe, da war sie schlecht. Trotz der teuren Nachhilfestunden. Vielleicht war das Gymnasium doch nicht das Richtige für das Kind. Wo war sie überhaupt wieder? Georg schaute in der ganzen Wohnung, keine Leonie. Aber die Malsachen fehlten. War sie also wieder draußen zum Zeichnen. Bei dem schönen Wetter kein Wunder. Nur war Leonie immer draußen, bei Regen, bei Schnee und bei Sonnenschein. Wenn Sie nur malen und zeichnen konnte, war sie glücklich.

Sicherlich, in Kunst hatte das Kind eine Eins. Die Lehrerin sprach von Talent und notwendiger Förderung. Aber wie sollte er dafür auch noch Geld aufbringen? Die Mathematiknachhilfe war schon teuer genug.

Und außerdem, was sollte Leonie den später mal damit machen? Künstler wurden doch meistens nicht berühmt und wenn waren das so selbstbewusste Showtypen, die sich in Szene setzen konnten. Auf die Qualität der Bilder kam es doch gar nicht an. Leonie war viel zu schüchtern. Obwohl ihre Mutter sie extra im Selbstbehauptungskurs angemeldet hatte.

Aber sogar dort hatte Leonie hauptsächlich gezeichnet. In schnellen Strichen festgehalten wie die Mädchen auf dick gepolsterte Schlaghandschuhe eindroschen. Wie sie auch in Rückenlage noch Zutreten und Kämpfen lernten. Die Zeichnungen waren wirklich gut. Aber Leonie sollte doch Selbstbehauptung lernen. Wie sollte sie denn so jemals in ihrem Leben zurechtkommen?

Georg hörte den Schlüssel in der Wohnungstür.

„Leonie“, rief er. „Was?“ „Komm mal her! Wo warst Du denn schon wieder? Malen? Stimmt’s? Hast Du schon Hausaufgaben gemacht?“

Leonie schüttelte den Kopf.

„Die mach’ ich gleich.“

„Nix da, gleich, sofort machst Du die!“

Anstatt wie sonst klein beizugeben, blieb Leonie vor ihrem Vater stehen.

„Nein, zuerst ordne ich meine Skizzen und arbeite weiter an meinem Gemälde. Endlich weiß ich, wie das Licht fallen muss.“

Einen Augenblick war Georg sprachlos. Dann holte er tief Luft.

Aber Leonie kam ihm zuvor: „Ich mache die Aufgaben danach, versprochen. Und Mathenachhilfe brauche ich auch nicht mehr. Die Svenja aus dem Selbstbehauptungskurs kann mir das viel besser beibringen. Die kommt dann Morgennachmittag.“Leonie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in ihrem Zimmer.

29. April – Anleitung zum richtig Aberglauben

Hier eine Anleitung zum richtig Aberglauben. Beachten Sie bitte die Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen: Bei Neumond draußen im Wald drei Mal über die Schulter gespuckt und fort sind die Warzen. Nur keiner schwarzen Katze erlauben sich von links zu nähern.

Niemals unter einer Leiter hindurchgehen und die glückbringenden Hufeisen immer über die linke Schulter werfen. Niemals, nie und nie über die rechte.

Und dann nicht die eigenen Hände betrachten und nicht pfeifen, um später immer genug Geld zu haben.

Keine Kröte anfassen, unter keinen Umständen. Niemals den grünen Strunk von Tomaten mitessen. Das ist doch alles giftig.

Und wenn es aus der Yuccapalme klopft, bitte nicht nachsehen, lieber gleich vor die Tür stellen das Ding, soll sich ein anderer mit der schrecklichen Spinne abgeben, die dort unweigerlich bald herauskriechen wird.

Immer viel Scherben machen, das bringt schließlich Glück. Besonders vor einer Hochzeit.
Aber bloß keinen Spiegel zerdeppern, das bringt Unglück. Vor allem, wenn es ein wertvoller Spiegel war und die Versicherung nicht für den Schaden aufkommt.

Strümpfe oder Unterwäsche linksherum anziehen, damit keine Hexen an einen gehen.
Kein Salz wegwerfen, das bringt ganz sicher Unglück.

Dafür aber mit Reis schmeißen, um anderen Fruchtbarkeit zu wünschen.
Immer dran halten, dann wird alles gut.

Falls mal etwas schief geht, sofort dreimal auf dem Absatz herumdrehen und dazu den River-Kwai-Marsch pfeifen. Das hilft zwar nicht, sieht aber lustig aus.

28. April – Boltes Kater

Da hoppelt das kleine Karnickel über den Feldweg. Den Wind im Rücken riecht es nicht die Gefahr, die auf es zukommt. Im hohen Gras am Wegesrand schleicht sich der fette Kater von Boltes an.

Nun kauert er sich ganz dicht am Boden zusammen und trippelt mit den Hinterpfoten. Die Barthaare gesträubt, die Augen starr auf das Karnickel gerichtet, abschätzend. Er macht einen Satz und der große Bolzer ist über dem Karnickel.

Das schreit auf, schlägt mit den Hinterläufen aus, kann sich gerade noch befreien. In großen Sätzen verschwindet es im Maisfeld. Boltes Kater setzt sich aufs Hinterteil, leckt sich die Pfote. Dann läuft er mit hocherhobenem Schwanz zur Terrassentür und miaut solange bis Frau Bolte endlich die Tür aufmacht und ihm einen Napf mit Futter hinstellt.

27. April – Das alte Ufer

Das kleine Boot war nach langer, langer Zeit ans alte Ufer zurückgekehrt. Nicht für immer, nur zu Besuch. Es war so lange nicht an diesem alten Ufer gewesen, dass es ihm nun völlig verwandelt vorkam.

In seiner inzwischen verblassten Erinnerung war doch einmal alles so groß gewesen an dem alten Ufer. Und es hatte einen wunderbaren Steg gegeben aus Holz, stabil und leicht knarrend, wenn man darüber lief. Und die Anlegestelle war großzügig bemessen.

Aber jetzt, das kleine Boot schaute sich um. Es war alles geschrumpft, als hätte jemand die Luft heraus gelassen. Wahrscheinlich wirkte deswegen das alte Ufer inzwischen auch etwas abgelebt und schrumpelig.

Trotzdem hatte der Ort nach wie vor Würde. Das ja. Das kleine Boot merkte, dass es selbst inzwischen wohl gewachsen sein musste. Denn die Anlegestelle passte nicht mehr zu seinen Ausmaßen und die Wassertiefe erlaubte ihm, nur gerade so bis an das alte Ufer heranzufahren.

Von hier war es also einst aufgebrochen. Aber nein, es war zwar der gleiche Ort, aber schon lange nicht mehr derselbe, so viel Wasser war seither den Fluss hinabgeflossen. Nicht nur das Boot hatte sich verändert auch der Ort, von dem es stammte, und der Blick, mit dem es auf das Ufer schaute.

Das Boot verbrachte einen schönen Nachmittag am alten Ufer, aber dann brach es voller Freude wieder auf zu neuen Abenteuern.

26. April – Gutes Wetter für Wichtel

Auf einem Berg im Wald da lebt eine Wichtelfamilie ganz tief verborgen in Höhlen unter ein paar natürlichen Basaltfelsen. Manchmal kommen Menschen vorbei.

Die Wandern dann durch den Wald, manche schreien laut, andere sind ganz leise und wollen so wenig wie möglich gehört werden, wieder andere treffen sich zu einem romantischen Stelldichein und hoffen, dass sie hier oben im Wald auf dem Bergrücken ungestört bleiben.

Das hatten die Wichtel auch gehofft. Ihnen war der 400 Meter hohe Berg riesig vorgekommen und sie hatten gedacht, da lassen uns die Menschen sicher in Ruhe.
Aber Pustekuchen, machen die Menschen natürlich nur selten. Im Winter zum Beispiel oder wenn es ganz doll regnet.

So bedeutet bei den Wichteln nicht so wie bei uns Sonnenschein und warme Luft gutes Wetter, sondern Regen und Schnee, Minusgrade und dichter Nebel.

Denn dann können die Wichtel nach Herzenslust auf ihrem Berg im Wald herumstreunen und sich so richtig austoben.

Das ist für sie das allerbeste Ausflugswetter!

25. April – Wahre Schwestern

Es waren einmal zwei Schwestern, die eine war groß und schlank und hatte Haare wie Mahagoni und Haut wie Karamell und Lippen rot wie Erdbeergelee, die andere war klein und drahtig und hatte Haare wie Weizen und Haut wie Milch und Lippen rosa wie Brausepulver.

Die beiden Schwestern waren auch in ihren Charaktereigenschaften und Fähigkeiten sehr unterschiedlich, nur in einem waren sie sich völlig einig: in der unverbrüchlichen Liebe zueinander. Alles taten sie gemeinsam. Und da sie sich derart gut ergänzten, gelang ihnen fast alles. Wenn ihnen aber etwas misslang, dann lachten sie nur darüber.

Doch eines Tages kam ein Jüngling in ihre Stadt, der war so schön, hatte dunkles Haar und lange Wimpern, war nicht zu groß und nicht zu klein, war nicht zu klug und nicht zu dumm, in allem war er genau richtig. Und beide Schwestern verliebten sich heiß und innig in den Jungen und keine wollte ihn teilen.

Soweit also waren sie sich einig, aber welche der beiden sollte den Jüngling nun bekommen. Nach einer Weile kamen sie überein, dass der Junge entscheiden sollte. Also gingen sie zu ihm und fragten ihn.

Der aber lachte und sagte: „Ach, ihr lieben Schwestern. Ihr beide seid sehr schön und es ist ein großes Kompliment, dass ihr mich derart liebt, dass ihr eure innige Liebe zueinander aufs Spiel setzt. Aber ich bin bereits verlobt und werde bald heiraten.“

Da schauten sich die beiden Schwestern verdutzt an. Niemals wären sie darauf gekommen, dass irgendjemand sie beide verschmähen könnte. Nun ja, aber der Jüngling musste es ja wissen.

„Ach“, sagten da die Schwestern zueinander, „der wird auch mal alt und häßlich und vielleicht ist er gar nicht so toll wie er uns jetzt erscheint, schließlich kennen wir ihn kaum. Und nun ja, das Mädchen wird wohl gut zu ihm passen, wenn die beiden nun einmal verlobt sind, müssen wir uns drein schicken. Hauptsache wir haben einander.“

Und später verliebte sich jede der Schwestern in einen eigenen Mann und sie blieben immer in inniger Liebe verbunden.

Der Jüngling aber hatte die beiden Mädchen angelogen, nirgendwo wartete eine Braut auf ihn. Aber er wusste auch, dass er niemals glücklich geworden wäre, wenn er sich für eine der beiden Schwestern entschieden hätte. Und so wurde er zu guter Letzt auch glücklich.

24. April – Helene

Helene schaut mich schräg von der Seite an. Blassgrüne, wache Augen, rotblondes Haar zu einem strengen Knoten am Hinterkopf zusammengefasst. Sie trägt ein dunkelblaues, hochgeschlossenes Kleid mit Stehkragen. Sie mustert mich, schaut auf mich herab, beobachtet, was ich hier tue. Sie ist noch unentschlossen, ob sie sich mir ganz zuwenden oder lieber umdrehen und gehen soll.

Ihr Kinn ist kantig, ihre Wangenknochen zeigen einen selbstbewussten Schwung, leicht kräuseln sich ein paar kurze Haare im zarten Nacken. Helene hat nicht vor zu mir zu sprechen. Ihr Mund ist fest geschlossen. Die Stirn hoch und glatt.

Helene schaut nur, als erwarte sie etwas.

Vielleicht erwartet sie, dass ich sie bei der Hand nehme und einlade, sich zu mir zu setzen.

23. April – Mojo

„Hör auf Dein Mojo, Mann! Das ist das allerwichtigste! Echt Alter, nicht beirren lassen. Niemals den Mojo aufgeben!“

Frank schaute etwas misstrauisch auf den jungen Burschen, der sich mit einer Rotweinflasche in der Hand neben ihn gestellt hatte. Unauffällig kontrollierte er, ob Schlüssel, Brieftasche und Uhr noch an ihrem Platz waren.

Es schien alles in Ordnung. Also nickte er nur mit einem maskenhaften, kurzen Lächeln und rückte vorsichtig etwas von dem ungewaschenen Kerl mit strubbeligen Haaren und sehr phantasievoller Kleidung ab.

„Machst Du Musik, Mann“, wollte der nun wissen und rückte Frank wieder auf die Pelle.
„Siehst aus wi’en Saxophonist. Sinnliche Lippen, Mann. Egal, was Du machst, Alter, denk immer an Dein Mojo.“

„Danke für den Hinweis.“

Frank überlegte, ob er nicht lieber doch ein Taxi nehmen sollte. Bei seinem Glück nahm dieser Typ die gleiche Straßenbahn und dann hatte er ihn die ganze Fahrt über am Hals.

„Du machts doch bestimmt Musik, oder? Ey Alter, siehst aus wie ein cooler Mufti. Machst bestimmt Musik. Hey, komm, sach doch?“

Nun gut, Frank straffte die Schultern.

„Entschuldigen Sie bitte, ich möchte mich nicht unterhalten“, sagte er förmlich.

Der junge Mann sank etwas in sich zusammen, zog den Kopf ein, die Schultern hoch und stellte sich schließlich in die andere Ecke des Wartehauses. Frank hörte ihn noch eine Weile vor sich hinmurmeln. Dann kam die Straßenbahn und als Frank einstieg, hörte er, wie der junge Mann den aussteigenden Fahrgästen zurief.

„Hör auf Dein Mojo, Mann, hör auf Dein Mojo!“

Dann klappten die Türen zu, Frank ließ sich in einen freien Sitz fallen und hatte das Gefühl, auf sein Mojo gehört zu haben.

22. April – Gerhard und Paul

Gerhard und Paul saßen in ihrem Pfau, auf der Ladefläche zwei 150er Abwasserrohre. Mit mäßiger Geschwindigkeit zockelten sie über die Kieswege des Parks, der gerade für den Sommer fein gemacht wurde.

Auf der Aussichtsplattform am Aquädukt hatten sie einen Zugang zum Wassergraben ausgehoben. Der war jetzt mit einer Europalette abgedeckt und natürlich eingezäunt, dass kein Parkbesucher dort hineinstürzte.

Als sie dort ankamen, saßen zwei Parkbesucher auf der schmalen Bank direkt neben der Baustelle. Augenscheinlich ein Paar, sie unterhielten sich über Arbeit, vielleicht doch nur Kollegen.

Gerhard sagte freundlich „Guten Tag!“

Paul schob sich einfach an ihnen vorbei. Er lehnte es ab, von Besuchern Notiz zu nehmen. Die lebten in einer anderen Welt, ruhten sich aus, ergingen sich im Park.

Paul arbeitete, war im Dienst. Am besten man bemerkte ihn gar nicht.

Umständlich räumte Gerhard die Abzäunung weg, hob die Europalette hoch und stellte sie zur Seite.

Paul kletterte derweil über die Basaltmauer, um von der anderen Seite an den Abfluss zu gelangen. Gerhard reichte ihm das 150er Rohr.

Aber der Durchmesser war zu groß. Paul gab es zurück und machte sich wieder auf den Weg über die Mauer, lief sofort zum Pfau, stieg ein, ließ den Motor an. Gerhard warf zuerst das Rohr auf die kleine Ladefläche. Es ragte nach hinten mindestens einen halben Meter über.

Dann kam er zurück, legte wieder die Europalette über die Grube. Dann schob er die Absperrung davor. Immer wieder beobachtet von der Frau, die währenddessen aber ständig weiter mit ihrem Begleiter sprach.

Ein letztes Kopfnicken.

Gerhard setzte sich zu Paul ins Auto. Mühsam fuhr der Minitransporter an und quälte sich über die Anhöhe davon.

21. April – Der gebrannte Mann

Torben ist der gebrannte Mann. Er scheute das Feuer, nun nicht wirklich das Feuer, sondern die Frauen. Erst hatten sie ihn gezwungen, sich beim Pinkeln zu setzen, zu lernen, wie man die Wohnung putzt und Klamotten wäscht und auch noch über seine Gefühle zu reden. Und das verlangte nun wirklich sehr viel Phantasie.

Immer wieder musste er Frauenzeitschriften wälzen, um zu erfahren, was Frauen darunter verstanden und von ihm erwarteten. Und die Krönung war, dass sie ihn dann Weichei und Heulsuse nannten und einfach sitzen ließen.

Also hockte er nun allein mit seinem Bier vor dem Fernseher und ärgerte sich, dass er völlig ohne Nörgelei sämtliche 500 Programme rauf- und runterzappen konnte.

Was war das Leben denn noch Wert ohne eine Frau an seiner Seite, die sich ständig über zusammengeknüllte Socken unterm Bett und lange Abende mit Freunden in der Kneipe aufregte.

Torsten ging auch schon gar nicht mehr weg. Jetzt musste er ja nicht mehr.
Dass er Putzen und Waschen gelernt hatte, zahlte sich natürlich aus.

Aber das mit den Gefühlen, das war echt das schlimmste.

Jetzt waren die einfach manchmal da.

Keine Frau weit und breit, um zu demonstrieren, wie feinfühlig er war.

Aber trotzdem Heulkrämpfe, Wutanfälle und ins Kissen beißen.

Was sollte so ein Mann jetzt machen?

20. April – Recherchefahrt

Die Recherchefahrt für meinen aktuellen Roman führte mich in die Bretagne. Meine Französischkenntnisse habe ich seit dem Schulunterricht in der neunten Klasse nicht mehr aufgefrischt. Mein Englisch habe ich mir mehr schlecht als Recht selbst beigebracht. So kam ich mir schon sehr abenteuerlich vor, als ich in die Fremde aufbrach.

Es lief alles prima, bis ich in dem Ort ankam, in dem sich meine Unterkunft befinden sollte. Leider war weit und breit keine Madame Rose aufzutreiben, bei der ich per Internet ein Zimmer reserviert hatte.

Nachdem ich eine Weile in dem kleinen Ort kreuz und quer gefahren war, fragte ich schließlich einen Einheimischen.

„Pardon Monsieur, je cherche la maison de Madame Rose. Could you help me, please“, und zeigte auf die Adresse meiner Reservierungsbestätigung.

Dann folgte ein Redeschwall, von dem mir immerhin ein paar Worte bekannt vorkamen.
„…garage… a gauche… a droite“, dabei tanzte seine rechte Hand durch die Lüfte und ich betrachtete sie fasziniert.

Als er aufgehört hatte zu sprechen, sah er mich erwartungsvoll an und ich nickte, als hätte ich ihn verstanden.

Dann spuckte er schon wieder eine Reihe von Silben aus. Und nach einer Schrecksekunde formte sich in meinem Hirn eine Ahnung, wohin diese Unterhaltung führen sollte.
„Oh, non, non! I come from Deutschland, Germany, Allemagne!“

Da freute sich der Herr und strahlte übers ganze Gesicht.

Nach einer Weile wurde mir klar, dass er von der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sprach. Glaubte ich jedenfalls.

Vielleicht aber auch davon, dass er Kohlköpfe anpflanzt und abends gerne eine Halbe Roten trinkt.

„Thanks a lot for your help. Very nice to met you. Merci beaucoup, au revoir!“
Dann setzte ich mich wieder in meinen Citroën, versuchte mich, einen Augenblick völlig vom Verstehen wollen zu befreien und einfach zu wissen, wohin ich jetzt fahren musste.
Es war dann in der Tat auch ganz leicht.

An der Autowerkstatt links abbiegen, dann geradeaus und nach einem halben Kilometer rechts in die gesuchte Straße.

Madame Rose erwartete mich bereits.

Wenn das weiter so gut läuft, fahre ich nächstes Jahr nach China.

19. April – Der Baum der Glückseligkeit

Die Herolde des Königs machten im ganzen Reich bekannt, dass derjenige, der den sagenhaft Baum der Glückseligkeit finden würde und ihm eine Frucht von diesem Baum bringen würde, seine Tochter heiraten dürfe und sein Nachfolger im Herrscheramt sein würde. Das hörte Josefine, kurz auch Jo oder Fine genannt. Die dachte bei sich: „Das wäre doch genau das Richtige für mich.“

Außerdem fand sie die Prinzessin sowieso immer schon so nett und ein Königreich regieren könnte doch auch Spaß machen, auch wenn es nur so klein ist wie das hiesige. Also machte sich Josefine auf den Weg, um den sagenhaften Baum der Glückseligkeit zu finden.

Dabei traf sie viele junge Männer, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatten. Die lachten Josefine aus. Wie wollte denn ein Mädchen solch eine schwere Aufgabe bewältigen. Und dann auch noch die Prinzessin heiraten, das gab es schon gleich gar nicht. Aber Josefine schalt sie nur Dummbeutel und ging weiter ihres Weges.

Die jungen Männer schwärmten aus in alle Gärten der Welt, um den Baum der Glückseligkeit zu finden. Aber Josefine vertraute einfach ihrem Glück. Ihr schien das die richtige Methode den Baum der Glückseligkeit zu entdecken. Und so zog sie durch die Welt.
Schließlich kam sie in einen großen Wald, der war ganz dicht und unheimlich. Kaum ein Licht drang durch das dichte Blätterdach auf den Boden des Waldes, der ganz mit Moosen und Farnen überwuchert war. Josefine konnte kaum erkennen, wo sie ihre Füße hinsetzte.

So lief sie einen ganzen Tag durch diesen Wald und es war immer noch kein Ende in Sicht. Da wurde es ihr doch unheimlich und sie kletterte in die Astgabel eines großen Baumes, weil ihr das für die Nacht sicherer erschien. Sie aß noch ein wenig von ihrer Wegzehrung und schlief erschöpft ein.

Gegen Mitternacht wurde sie wach und hörte leise Stimmen unter dem Baum. Sie wollte sich schon beschweren, weil die Stimmen sie aus so einem wunderschönen Traum geweckt hatten. Aber dann blieb sie still und hörte zu.

„Da kommt doch nie einer drauf, dass der Baum der Glückseligkeit einfach so hier mitten im Wald steht zwischen tausenden anderer Bäume“, sagte die eine Stimme.

„Ja“, stimmte die andere Stimme zu, „aber das ist doch traurig. Ich finde, der König hat es verdient ein Stück von der Frucht des unsagbaren Glücks zu naschen.“

„Ach ja?“, sagte die andere Stimme. „Der ist ja so dumm und denkt, der Baum der Glückseligkeit wäre ein Apfelbaum oder ein Pflaumenbaum oder sowas. Menschen sind doch einfach zu dumm.“

„Da hast Du natürlich Recht,“ stimmte die andere Stimme zu. „Aber wer käme auch darauf in einer uralten Eiche mitten im Wald den Baum der Glückseligkeit zu vermuten?“
„Ich sage ja, Menschen sind dumm. Die sehen eben gar nichts, auch wenn sie es direkt vor den Augen haben.“

Josefine spitzte die Ohren. Aber leider sagte keine der Stimmen, woran sie denn nun den Baum erkennen könne. Eichen gab es viele hier im Wald. Schließlich schlief Josefine wieder ein.

Am Morgen wurde sie vom Gesang der Vögel geweckt. Aber im Wald herrschte wieder das dämmrige Zwielicht. Was sollte Josefine jetzt tun? Sie konnte natürlich ewig in diesem Wald herumirren auf der Suche nach dem Baum der Glückseligkeit. Und vor allem, wie wollte sie denn herausfinden, dass es wirklich der richtige Baum war. Das konnte sie doch nur, wenn sie die Früchte aß. Aber von jedem Baum die Eicheln kosten, das war dann doch etwas zu viel verlangt.

Als sie noch so dasaß und grübelte, kam plötzlich ein Waldmensch zu ihr und sagte: „Suchst Du den Baum der Glückseligkeit?“ Josefine nickte.

„Ja, das tue ich. Kannst Du mich denn dort hinführen?“ Der Waldmensch wackelte lustig mit seinem Kopf von einer Seite zur anderen. Dabei berührte er mit seinen großen Ohren fast seine Schultern. Josefine musste lachen.

„Schau, was ich kann“, rief sie und machte eine alberne Fratze. Da lachte der Waldmensch auch. So alberten die beiden eine Weile herum.

Schließlich sagte der Waldmensch zu Josefine: „Du bist schon auch ein bisschen dumm, aber weil wir so nett miteinander gelacht haben, sage ich es Dir. Du bist schon da. Der Baum der Glückseligkeit ist genau hier.“

„Oh“, sagte Josefine und schaute den Baum an, in dem sie die Nacht verbracht hatte. „Hätte ich ja auch drauf kommen können.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Danke, dass Du es mir gesagt hast“.

Nun lachte der Waldmensch und streckte ihr zum Abschied die Zunge heraus, bevor er verschwand. Da sammelte Josefine einen ganzen Beutel Eicheln auf und eine schälte und probierte sie. Das schmeckte gar nicht so schlecht, wie sie erwartet hatte. Wow, und die Wirkung war auch erstaunlich.

Ein solches Glücksgefühl kannte noch nicht einmal die stets gut gelaunte Josefine. Ohne lange zu überlegen, schlug sie den richtigen Weg ein, um aus dem Wald hinaus zu finden. Dann zog sie weiter Richtung Heimat. Schließlich kam sie beim König an. Der war es schon langsam leid, ständig irgendwelches Obst zu kosten, dass nun wirklich rein gar keine Glückseligkeit bei ihm hervorrief.

So war der König auch nicht begeistert, als Josefine vor ihm stand und behauptete den Baum der Glückseligkeit gefunden zu haben. Und dann sollte die Frucht auch noch eine Eichel sein. War er denn ein Schwein, dass er so etwas probieren sollte.

„Dann gib die Frucht doch einem Deiner Diener zu essen“, schlug Josefine vor. Und darauf ließ der König sich ein.

Doch kaum hatte der Diener die Eichel verzehrt, da strahlte geradezu das Glück aus all seinen Poren. Er schwebte mindestens 10 Zentimeter über dem Boden, so glücklich war er. Da fielen dem König fast die Augen aus dem Kopf und er konnte gar nicht schnell genug eine weitere Eichel verlangen, um sie selbst zu probieren.

Da gab Josefine ihm den Beutel mit den Eicheln. Und der König futterte sie eine nach der anderen auf. In all der Glückseligkeit machte es ihm dann gar nichts aus, Josefine seine Tochter zur Frau zu geben und abzudanken. Aber ach, die Früchte der Glückseligkeit waren allzu schnell aufgezehrt.

Da hungerte den König nach mehr, so bekniete er Josefine, ihm den Weg zu verraten. Und die zierte sich keine Sekunde und beschrieb ihm genau, wie der den Baum der Glückseligkeit finden könne. Der abgedankte König zog aus in die Welt und kam niemals mehr wieder. Manche glauben ja, dass er den Baum niemals gefunden hat.

Und wahrscheinlich ist das ohnehin nur ein albernes Märchen.